Dich für Manches um Verzeihung. -- Du, Neithoteph, hast Deine Pflicht als Priester stets erfüllt; ob Du das Gleiche als Diener Deines Königs thatest, will ich jetzt nicht beurtheilen. Sage Deinen Brüdern von Heliopolis Theben und Memphis, daß ich sie, als das Gewissen des Volkes, immer verehrt habe; daß ich aber dem Glauben ihrer Mysterien *) nicht hold sei. Er ist so kalt und ge- staltenlos; ich aber hänge gar zu sehr an der lebendigen, greifbaren Form, um an die Schöpferkraft eines unsicht- baren Nichts glauben zu können, oder besser, zu wollen. Jch sehe täglich, wie das Licht unsres Ra, zu dem ich von Kind auf gebetet habe, die Welt erleuchtet, wie die wohl- thätige Wärme, der hohe Ptah, die Früchte zeitigt und in der Flamme glüht, wie Ammon die lebensspendende Luft, Alles was athmet, blühet und lebt, erhält und bewacht, wie Nutpe, die Himmelsgöttin, mit ihrem Sternengeschmeide sich über die Erde breitet und die Welt bedacht, wie Osi- ris, das befruchtende Naß, der gütigen Jsis reiche Gaben abringt, die Horus, ihr Sohn, der liebliche Lenz, seiner holden Mutter abschmeichelt; wie endlich Neith, meine große Herrin und Beschützerin, deren Tempel ich so herr- lich zu schmücken wußte, unwandelbar fortschreitend, die Ewigkeit mit ihrem Weberschiffe abspinnt. Sie ist, so steht an ihrem Tempel geschrieben, Alles, was ist, was gewesen ist und sein wird 80), d. h. das einzig Unbe- grenzte, die Zeit.
"Siehst Du, Neithoteph, ich bin rechtgläubiger als Du, der Oberpriester, denn ich mag nichts von dem vor- nehmen Mysterien-Gedanken wissen und halte mich, als Sohn des Volkes, an dem Glauben desselben, den ich mit
*)III. Theil Anmerk. 35.
Dich für Manches um Verzeihung. — Du, Neithoteph, haſt Deine Pflicht als Prieſter ſtets erfüllt; ob Du das Gleiche als Diener Deines Königs thateſt, will ich jetzt nicht beurtheilen. Sage Deinen Brüdern von Heliopolis Theben und Memphis, daß ich ſie, als das Gewiſſen des Volkes, immer verehrt habe; daß ich aber dem Glauben ihrer Myſterien *) nicht hold ſei. Er iſt ſo kalt und ge- ſtaltenlos; ich aber hänge gar zu ſehr an der lebendigen, greifbaren Form, um an die Schöpferkraft eines unſicht- baren Nichts glauben zu können, oder beſſer, zu wollen. Jch ſehe täglich, wie das Licht unſres Ra, zu dem ich von Kind auf gebetet habe, die Welt erleuchtet, wie die wohl- thätige Wärme, der hohe Ptah, die Früchte zeitigt und in der Flamme glüht, wie Ammon die lebensſpendende Luft, Alles was athmet, blühet und lebt, erhält und bewacht, wie Nutpe, die Himmelsgöttin, mit ihrem Sternengeſchmeide ſich über die Erde breitet und die Welt bedacht, wie Oſi- ris, das befruchtende Naß, der gütigen Jſis reiche Gaben abringt, die Horus, ihr Sohn, der liebliche Lenz, ſeiner holden Mutter abſchmeichelt; wie endlich Neith, meine große Herrin und Beſchützerin, deren Tempel ich ſo herr- lich zu ſchmücken wußte, unwandelbar fortſchreitend, die Ewigkeit mit ihrem Weberſchiffe abſpinnt. Sie iſt, ſo ſteht an ihrem Tempel geſchrieben, Alles, was iſt, was geweſen iſt und ſein wird 80), d. h. das einzig Unbe- grenzte, die Zeit.
„Siehſt Du, Neithoteph, ich bin rechtgläubiger als Du, der Oberprieſter, denn ich mag nichts von dem vor- nehmen Myſterien-Gedanken wiſſen und halte mich, als Sohn des Volkes, an dem Glauben deſſelben, den ich mit
*)III. Theil Anmerk. 35.
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Dich für Manches um Verzeihung. — Du, Neithoteph,
haſt Deine Pflicht als Prieſter ſtets erfüllt; ob Du das
Gleiche als Diener Deines Königs thateſt, will ich jetzt
nicht beurtheilen. Sage Deinen Brüdern von Heliopolis
Theben und Memphis, daß ich ſie, als das Gewiſſen des
Volkes, immer verehrt habe; daß ich aber dem Glauben
ihrer Myſterien *) nicht hold ſei. Er iſt ſo kalt und ge-
ſtaltenlos; ich aber hänge gar zu ſehr an der lebendigen,
greifbaren Form, um an die Schöpferkraft eines unſicht-
baren Nichts glauben zu können, oder beſſer, zu wollen.
Jch ſehe täglich, wie das Licht unſres Ra, zu dem ich von
Kind auf gebetet habe, die Welt erleuchtet, wie die wohl-
thätige Wärme, der hohe Ptah, die Früchte zeitigt und in
der Flamme glüht, wie Ammon die lebensſpendende Luft,
Alles was athmet, blühet und lebt, erhält und bewacht,
wie Nutpe, die Himmelsgöttin, mit ihrem Sternengeſchmeide
ſich über die Erde breitet und die Welt bedacht, wie Oſi-
ris, das befruchtende Naß, der gütigen Jſis reiche Gaben
abringt, die Horus, ihr Sohn, der liebliche Lenz, ſeiner
holden Mutter abſchmeichelt; wie endlich Neith, meine
große Herrin und Beſchützerin, deren Tempel ich ſo herr-
lich zu ſchmücken wußte, unwandelbar fortſchreitend, die
Ewigkeit mit ihrem Weberſchiffe abſpinnt. Sie iſt, ſo
ſteht an ihrem Tempel geſchrieben, Alles, was iſt, was
geweſen iſt und ſein wird 80), d. h. das einzig Unbe-
grenzte, die Zeit.
„Siehſt Du, Neithoteph, ich bin rechtgläubiger als
Du, der Oberprieſter, denn ich mag nichts von dem vor-
nehmen Myſterien-Gedanken wiſſen und halte mich, als
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*) III. Theil Anmerk. 35.
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/131>, abgerufen am 26.11.2024.
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