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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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unter wie vielen Leiden, erreichen. Osiris hat sie aufge-
nommen, sie war schuldlos. Auch Nitetis ist todt. Wo
ist der Brief des Nebenchari? -- Da steht es: ,Sie starb,
indem sie einen großen Fluch über Dich und die Deinen
ausrief. Diese Kunde, welche so wahr ist, wie mein Haß
gegen Dich, sendet Dir der arme, verbannte, verhöhnte und
beraubte Augenarzt aus Babylon.'"

"Höre diese Worte, Psamtik, und laß Dir von Deinem
sterbenden Vater sagen, daß jedes Unrecht, welches Dir
auf Erden eine Drachme Genuß verschafft, Deine Todes-
stunde mit einem Talent Verzweiflung belastet. Um Ni-
tetis willen wird furchtbares Unglück über Aegypten
hereinbrechen. Die Nachricht der arabischen Händler ist
wahr. Kambyses rüstet gegen uns und wird Aegypten
überfallen, wie ein brennender Wüstenwind. Vieles, was
ich geschaffen, woran ich den Schlaf meiner Nächte und
das Mark meines Lebens setzte, wird vernichtet werden.
Aber dennoch hab' ich nicht umsonst gelebt, denn vierzig
Jahre lang bin ich der sorgende Vater, der Wohlthäter
eines großen Volkes gewesen. Ferne Enkel werden den
Namen des Amasis als eines großen, weisen und menschen-
freundlichen Königs nennen, und von meinen Bauten zu
Sais und Theben mit Bewunderung lesen den Namen
ihres Gründers und preisen die Fülle seiner Macht! Ja,
auch Osiris und die zweiundvierzig Richter werden mich
in der Unterwelt nicht verdammen, und die Göttin der
Wahrheit, die Herrin der Wagschale 79), wird finden, daß
das Gewicht meiner guten die Last meiner bösen Thaten
überwiegt!" -- Der König seufzte und schwieg lange
Zeit. Endlich blickte er seine Gattin mit herzlicher Jnnig-
keit an und sagte: "Du, Ladike, bist mein treues, tugend-
haftes Weib gewesen. Jch danke Dir dafür und bitte

unter wie vielen Leiden, erreichen. Oſiris hat ſie aufge-
nommen, ſie war ſchuldlos. Auch Nitetis iſt todt. Wo
iſt der Brief des Nebenchari? — Da ſteht es: ‚Sie ſtarb,
indem ſie einen großen Fluch über Dich und die Deinen
ausrief. Dieſe Kunde, welche ſo wahr iſt, wie mein Haß
gegen Dich, ſendet Dir der arme, verbannte, verhöhnte und
beraubte Augenarzt aus Babylon.‘“

„Höre dieſe Worte, Pſamtik, und laß Dir von Deinem
ſterbenden Vater ſagen, daß jedes Unrecht, welches Dir
auf Erden eine Drachme Genuß verſchafft, Deine Todes-
ſtunde mit einem Talent Verzweiflung belaſtet. Um Ni-
tetis willen wird furchtbares Unglück über Aegypten
hereinbrechen. Die Nachricht der arabiſchen Händler iſt
wahr. Kambyſes rüſtet gegen uns und wird Aegypten
überfallen, wie ein brennender Wüſtenwind. Vieles, was
ich geſchaffen, woran ich den Schlaf meiner Nächte und
das Mark meines Lebens ſetzte, wird vernichtet werden.
Aber dennoch hab’ ich nicht umſonſt gelebt, denn vierzig
Jahre lang bin ich der ſorgende Vater, der Wohlthäter
eines großen Volkes geweſen. Ferne Enkel werden den
Namen des Amaſis als eines großen, weiſen und menſchen-
freundlichen Königs nennen, und von meinen Bauten zu
Sais und Theben mit Bewunderung leſen den Namen
ihres Gründers und preiſen die Fülle ſeiner Macht! Ja,
auch Oſiris und die zweiundvierzig Richter werden mich
in der Unterwelt nicht verdammen, und die Göttin der
Wahrheit, die Herrin der Wagſchale 79), wird finden, daß
das Gewicht meiner guten die Laſt meiner böſen Thaten
überwiegt!“ — Der König ſeufzte und ſchwieg lange
Zeit. Endlich blickte er ſeine Gattin mit herzlicher Jnnig-
keit an und ſagte: „Du, Ladike, biſt mein treues, tugend-
haftes Weib geweſen. Jch danke Dir dafür und bitte

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[120/0130] unter wie vielen Leiden, erreichen. Oſiris hat ſie aufge- nommen, ſie war ſchuldlos. Auch Nitetis iſt todt. Wo iſt der Brief des Nebenchari? — Da ſteht es: ‚Sie ſtarb, indem ſie einen großen Fluch über Dich und die Deinen ausrief. Dieſe Kunde, welche ſo wahr iſt, wie mein Haß gegen Dich, ſendet Dir der arme, verbannte, verhöhnte und beraubte Augenarzt aus Babylon.‘“ „Höre dieſe Worte, Pſamtik, und laß Dir von Deinem ſterbenden Vater ſagen, daß jedes Unrecht, welches Dir auf Erden eine Drachme Genuß verſchafft, Deine Todes- ſtunde mit einem Talent Verzweiflung belaſtet. Um Ni- tetis willen wird furchtbares Unglück über Aegypten hereinbrechen. Die Nachricht der arabiſchen Händler iſt wahr. Kambyſes rüſtet gegen uns und wird Aegypten überfallen, wie ein brennender Wüſtenwind. Vieles, was ich geſchaffen, woran ich den Schlaf meiner Nächte und das Mark meines Lebens ſetzte, wird vernichtet werden. Aber dennoch hab’ ich nicht umſonſt gelebt, denn vierzig Jahre lang bin ich der ſorgende Vater, der Wohlthäter eines großen Volkes geweſen. Ferne Enkel werden den Namen des Amaſis als eines großen, weiſen und menſchen- freundlichen Königs nennen, und von meinen Bauten zu Sais und Theben mit Bewunderung leſen den Namen ihres Gründers und preiſen die Fülle ſeiner Macht! Ja, auch Oſiris und die zweiundvierzig Richter werden mich in der Unterwelt nicht verdammen, und die Göttin der Wahrheit, die Herrin der Wagſchale 79), wird finden, daß das Gewicht meiner guten die Laſt meiner böſen Thaten überwiegt!“ — Der König ſeufzte und ſchwieg lange Zeit. Endlich blickte er ſeine Gattin mit herzlicher Jnnig- keit an und ſagte: „Du, Ladike, biſt mein treues, tugend- haftes Weib geweſen. Jch danke Dir dafür und bitte

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/130>, abgerufen am 26.11.2024.