Ein Gefäß mit Wasser vor der Thür bedeutet, daß ihr einem Sterbehause nahe seid. Doch die Stunde des Marktes naht, meine Freunde! Jch muß euch verlassen, denn mich rufen wichtige Geschäfte."
"Jch begleite Dich," rief Zopyros, "und bestelle Kränze für das Haus der Sappho!"
"Ahaha" -- lachte der Milesier. "Du sehnst Dich nach den Blumenmädchen! O, Dein Leugnen hilft Dir nichts! Wenn Du wünschest, so kannst Du mich immerhin begleiten; ich bitte Dich aber, weniger freigebig zu sein, als gestern, und Dich an eure Verkleidung, die leicht ge- fährlich werden könnte, wenn sichre Nachrichten von dem drohenden Kriege eintreffen sollten, zu erinnern!"
Der Hellene ließ sich von einem Sklaven die Sandalen an die Füße binden und begab sich in Begleitung des Zopyros auf den Markt, um wenige Stunden später heim- zukehren. Wichtige Dinge mußten sich zugetragen haben, denn der sonst so heitere Mann schien außergewöhnlich ernst, als er zu den zurückgebliebenen Freunden trat.
"Jch fand die ganze Stadt in großer Aufregung," -- begann er zu erzählen, "denn ein Gerücht verkündete, Amasis sei tödtlich erkrankt. Als wir nun eben, um Ge- schäfte abzuschließen, auf der Börse 60) beisammen standen, und ich im Begriff war, durch den schnellen Verkauf all' meiner hoch im Preise stehenden Vorräthe große Summen zu sammeln, die ich, wenn durch die sichere Aussicht auf einen großen Krieg der Werth der Waaren gefallen sein wird, zum Ankauf neuer Handelsgüter anzuwenden ge- dachte (die frühe Kenntniß von den Rüstungen Deines erhabenen Bruders kann mir großen Nutzen bringen), er- schien der Toparch in unserer Mitte und brachte die Nach- richt, daß Amasis nicht nur erkrankt sei, sondern, von allen
Ein Gefäß mit Waſſer vor der Thür bedeutet, daß ihr einem Sterbehauſe nahe ſeid. Doch die Stunde des Marktes naht, meine Freunde! Jch muß euch verlaſſen, denn mich rufen wichtige Geſchäfte.“
„Jch begleite Dich,“ rief Zopyros, „und beſtelle Kränze für das Haus der Sappho!“
„Ahaha“ — lachte der Mileſier. „Du ſehnſt Dich nach den Blumenmädchen! O, Dein Leugnen hilft Dir nichts! Wenn Du wünſcheſt, ſo kannſt Du mich immerhin begleiten; ich bitte Dich aber, weniger freigebig zu ſein, als geſtern, und Dich an eure Verkleidung, die leicht ge- fährlich werden könnte, wenn ſichre Nachrichten von dem drohenden Kriege eintreffen ſollten, zu erinnern!“
Der Hellene ließ ſich von einem Sklaven die Sandalen an die Füße binden und begab ſich in Begleitung des Zopyros auf den Markt, um wenige Stunden ſpäter heim- zukehren. Wichtige Dinge mußten ſich zugetragen haben, denn der ſonſt ſo heitere Mann ſchien außergewöhnlich ernſt, als er zu den zurückgebliebenen Freunden trat.
„Jch fand die ganze Stadt in großer Aufregung,“ — begann er zu erzählen, „denn ein Gerücht verkündete, Amaſis ſei tödtlich erkrankt. Als wir nun eben, um Ge- ſchäfte abzuſchließen, auf der Börſe 60) beiſammen ſtanden, und ich im Begriff war, durch den ſchnellen Verkauf all’ meiner hoch im Preiſe ſtehenden Vorräthe große Summen zu ſammeln, die ich, wenn durch die ſichere Ausſicht auf einen großen Krieg der Werth der Waaren gefallen ſein wird, zum Ankauf neuer Handelsgüter anzuwenden ge- dachte (die frühe Kenntniß von den Rüſtungen Deines erhabenen Bruders kann mir großen Nutzen bringen), er- ſchien der Toparch in unſerer Mitte und brachte die Nach- richt, daß Amaſis nicht nur erkrankt ſei, ſondern, von allen
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Ein Gefäß mit Waſſer vor der Thür bedeutet, daß
ihr einem Sterbehauſe nahe ſeid. Doch die Stunde des
Marktes naht, meine Freunde! Jch muß euch verlaſſen,
denn mich rufen wichtige Geſchäfte.“
„Jch begleite Dich,“ rief Zopyros, „und beſtelle
Kränze für das Haus der Sappho!“
„Ahaha“ — lachte der Mileſier. „Du ſehnſt Dich
nach den Blumenmädchen! O, Dein Leugnen hilft Dir
nichts! Wenn Du wünſcheſt, ſo kannſt Du mich immerhin
begleiten; ich bitte Dich aber, weniger freigebig zu ſein,
als geſtern, und Dich an eure Verkleidung, die leicht ge-
fährlich werden könnte, wenn ſichre Nachrichten von dem
drohenden Kriege eintreffen ſollten, zu erinnern!“
Der Hellene ließ ſich von einem Sklaven die Sandalen
an die Füße binden und begab ſich in Begleitung des
Zopyros auf den Markt, um wenige Stunden ſpäter heim-
zukehren. Wichtige Dinge mußten ſich zugetragen haben,
denn der ſonſt ſo heitere Mann ſchien außergewöhnlich
ernſt, als er zu den zurückgebliebenen Freunden trat.
„Jch fand die ganze Stadt in großer Aufregung,“ —
begann er zu erzählen, „denn ein Gerücht verkündete,
Amaſis ſei tödtlich erkrankt. Als wir nun eben, um Ge-
ſchäfte abzuſchließen, auf der Börſe 60) beiſammen ſtanden,
und ich im Begriff war, durch den ſchnellen Verkauf all’
meiner hoch im Preiſe ſtehenden Vorräthe große Summen
zu ſammeln, die ich, wenn durch die ſichere Ausſicht auf
einen großen Krieg der Werth der Waaren gefallen ſein
wird, zum Ankauf neuer Handelsgüter anzuwenden ge-
dachte (die frühe Kenntniß von den Rüſtungen Deines
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/109>, abgerufen am 21.07.2024.
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