Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

Deines Vaters zu verfallen; der hellenische Geist, welcher
dieser Erde das höchste Recht zuspricht, ohne dabei der
Himmlischen zu vergessen, wird, sage ich Dir, das Volk
der Griechen zu einer vollkommneren Höhe erheben, als
unser Aegypten jemals erreicht hat, erreichen wird oder
kann.

"Abermals bin ich unterbrochen worden. Thutmes,
der große Arzt, war angekommen, um nach dem Befinden
unsrer lieben Kranken zu sehen. Er gibt wenig Hoffnung,
ja er scheint sich darüber zu wundern, daß dieser zarte
Körper den harten Angriffen des Todes so lange Zeit zu
widerstehen vermag. -- ,Sie wäre längst nicht mehr,' sagte
er gestern, ,wenn sie nicht der feste Willen fort zu leben
und eine nimmer rastende Sehnsucht aufrecht erhielte. --
Sie könnte, wenn sie die Lust, leben zu wollen, aufgäbe,
sich sterben lassen, wie wir uns in den Schlaf hinüber
träumen. -- Sollte ihr Wunsch befriedigt werden, so kann
sie vielleicht (aber das ist unwahrscheinlich) ihr Dasein
noch Jahre lang fristen; bleibt ihre Hoffnung nur noch
kurze Zeit unerfüllt, so wird sie von derselben Sehnsucht,
welche sie jetzt nicht sterben läßt, aufgerieben und getödtet
werden.' Ahnst Du, wonach sie sich sehnt? Unsere Tachot,
mit einem Worte ist es gesagt, liebt den schönen Bruder
Deines Gatten, wie nur eine beständige Aegypterin zu
lieben vermag. Schon vor Deiner Abreise bemerkte ich,
daß Deine Schwester dem Perser zugethan sei, aber ich
ahnte nicht, daß dieß zarte, harmlose Kind einer so tiefen
Leidenschaft fähig wäre. Jhre ersten Thränen glaubten
wir Deiner Abreise zuschreiben zu müssen; als sie jedoch
in jenes stumme Träumen versank, bemerkte Jbykus, wel-
cher damals noch an unserm Hofe verweilte, die Jungfrau
müsse ihr Herz einem Manne geschenkt haben.

Deines Vaters zu verfallen; der helleniſche Geiſt, welcher
dieſer Erde das höchſte Recht zuſpricht, ohne dabei der
Himmliſchen zu vergeſſen, wird, ſage ich Dir, das Volk
der Griechen zu einer vollkommneren Höhe erheben, als
unſer Aegypten jemals erreicht hat, erreichen wird oder
kann.

„Abermals bin ich unterbrochen worden. Thutmes,
der große Arzt, war angekommen, um nach dem Befinden
unſrer lieben Kranken zu ſehen. Er gibt wenig Hoffnung,
ja er ſcheint ſich darüber zu wundern, daß dieſer zarte
Körper den harten Angriffen des Todes ſo lange Zeit zu
widerſtehen vermag. — ‚Sie wäre längſt nicht mehr,‘ ſagte
er geſtern, ‚wenn ſie nicht der feſte Willen fort zu leben
und eine nimmer raſtende Sehnſucht aufrecht erhielte. —
Sie könnte, wenn ſie die Luſt, leben zu wollen, aufgäbe,
ſich ſterben laſſen, wie wir uns in den Schlaf hinüber
träumen. — Sollte ihr Wunſch befriedigt werden, ſo kann
ſie vielleicht (aber das iſt unwahrſcheinlich) ihr Daſein
noch Jahre lang friſten; bleibt ihre Hoffnung nur noch
kurze Zeit unerfüllt, ſo wird ſie von derſelben Sehnſucht,
welche ſie jetzt nicht ſterben läßt, aufgerieben und getödtet
werden.‘ Ahnſt Du, wonach ſie ſich ſehnt? Unſere Tachot,
mit einem Worte iſt es geſagt, liebt den ſchönen Bruder
Deines Gatten, wie nur eine beſtändige Aegypterin zu
lieben vermag. Schon vor Deiner Abreiſe bemerkte ich,
daß Deine Schweſter dem Perſer zugethan ſei, aber ich
ahnte nicht, daß dieß zarte, harmloſe Kind einer ſo tiefen
Leidenſchaft fähig wäre. Jhre erſten Thränen glaubten
wir Deiner Abreiſe zuſchreiben zu müſſen; als ſie jedoch
in jenes ſtumme Träumen verſank, bemerkte Jbykus, wel-
cher damals noch an unſerm Hofe verweilte, die Jungfrau
müſſe ihr Herz einem Manne geſchenkt haben.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0095" n="93"/>
Deines Vaters zu verfallen; der helleni&#x017F;che Gei&#x017F;t, welcher<lb/>
die&#x017F;er Erde das höch&#x017F;te Recht zu&#x017F;pricht, ohne dabei der<lb/>
Himmli&#x017F;chen zu verge&#x017F;&#x017F;en, wird, &#x017F;age ich Dir, das Volk<lb/>
der Griechen zu einer vollkommneren Höhe erheben, als<lb/>
un&#x017F;er Aegypten jemals erreicht hat, erreichen wird oder<lb/>
kann.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Abermals bin ich unterbrochen worden. Thutmes,<lb/>
der große Arzt, war angekommen, um nach dem Befinden<lb/>
un&#x017F;rer lieben Kranken zu &#x017F;ehen. Er gibt wenig Hoffnung,<lb/>
ja er &#x017F;cheint &#x017F;ich darüber zu wundern, daß die&#x017F;er zarte<lb/>
Körper den harten Angriffen des Todes &#x017F;o lange Zeit zu<lb/>
wider&#x017F;tehen vermag. &#x2014; &#x201A;Sie wäre läng&#x017F;t nicht mehr,&#x2018; &#x017F;agte<lb/>
er ge&#x017F;tern, &#x201A;wenn &#x017F;ie nicht der fe&#x017F;te Willen fort zu leben<lb/>
und eine nimmer ra&#x017F;tende Sehn&#x017F;ucht aufrecht erhielte. &#x2014;<lb/>
Sie könnte, wenn &#x017F;ie die Lu&#x017F;t, leben zu wollen, aufgäbe,<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;terben la&#x017F;&#x017F;en, wie wir uns in den Schlaf hinüber<lb/>
träumen. &#x2014; Sollte ihr Wun&#x017F;ch befriedigt werden, &#x017F;o kann<lb/>
&#x017F;ie vielleicht (aber das i&#x017F;t unwahr&#x017F;cheinlich) ihr Da&#x017F;ein<lb/>
noch Jahre lang fri&#x017F;ten; bleibt ihre Hoffnung nur noch<lb/>
kurze Zeit unerfüllt, &#x017F;o wird &#x017F;ie von der&#x017F;elben Sehn&#x017F;ucht,<lb/>
welche &#x017F;ie jetzt nicht &#x017F;terben läßt, aufgerieben und getödtet<lb/>
werden.&#x2018; Ahn&#x017F;t Du, wonach &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;ehnt? Un&#x017F;ere Tachot,<lb/>
mit einem Worte i&#x017F;t es ge&#x017F;agt, liebt den &#x017F;chönen Bruder<lb/>
Deines Gatten, wie nur eine be&#x017F;tändige Aegypterin zu<lb/>
lieben vermag. Schon vor Deiner Abrei&#x017F;e bemerkte ich,<lb/>
daß Deine Schwe&#x017F;ter dem Per&#x017F;er zugethan &#x017F;ei, aber ich<lb/>
ahnte nicht, daß dieß zarte, harmlo&#x017F;e Kind einer &#x017F;o tiefen<lb/>
Leiden&#x017F;chaft fähig wäre. Jhre er&#x017F;ten Thränen glaubten<lb/>
wir Deiner Abrei&#x017F;e zu&#x017F;chreiben zu mü&#x017F;&#x017F;en; als &#x017F;ie jedoch<lb/>
in jenes &#x017F;tumme Träumen ver&#x017F;ank, bemerkte Jbykus, wel-<lb/>
cher damals noch an un&#x017F;erm Hofe verweilte, die Jungfrau<lb/>&#x017F;&#x017F;e ihr Herz einem Manne ge&#x017F;chenkt haben.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0095] Deines Vaters zu verfallen; der helleniſche Geiſt, welcher dieſer Erde das höchſte Recht zuſpricht, ohne dabei der Himmliſchen zu vergeſſen, wird, ſage ich Dir, das Volk der Griechen zu einer vollkommneren Höhe erheben, als unſer Aegypten jemals erreicht hat, erreichen wird oder kann. „Abermals bin ich unterbrochen worden. Thutmes, der große Arzt, war angekommen, um nach dem Befinden unſrer lieben Kranken zu ſehen. Er gibt wenig Hoffnung, ja er ſcheint ſich darüber zu wundern, daß dieſer zarte Körper den harten Angriffen des Todes ſo lange Zeit zu widerſtehen vermag. — ‚Sie wäre längſt nicht mehr,‘ ſagte er geſtern, ‚wenn ſie nicht der feſte Willen fort zu leben und eine nimmer raſtende Sehnſucht aufrecht erhielte. — Sie könnte, wenn ſie die Luſt, leben zu wollen, aufgäbe, ſich ſterben laſſen, wie wir uns in den Schlaf hinüber träumen. — Sollte ihr Wunſch befriedigt werden, ſo kann ſie vielleicht (aber das iſt unwahrſcheinlich) ihr Daſein noch Jahre lang friſten; bleibt ihre Hoffnung nur noch kurze Zeit unerfüllt, ſo wird ſie von derſelben Sehnſucht, welche ſie jetzt nicht ſterben läßt, aufgerieben und getödtet werden.‘ Ahnſt Du, wonach ſie ſich ſehnt? Unſere Tachot, mit einem Worte iſt es geſagt, liebt den ſchönen Bruder Deines Gatten, wie nur eine beſtändige Aegypterin zu lieben vermag. Schon vor Deiner Abreiſe bemerkte ich, daß Deine Schweſter dem Perſer zugethan ſei, aber ich ahnte nicht, daß dieß zarte, harmloſe Kind einer ſo tiefen Leidenſchaft fähig wäre. Jhre erſten Thränen glaubten wir Deiner Abreiſe zuſchreiben zu müſſen; als ſie jedoch in jenes ſtumme Träumen verſank, bemerkte Jbykus, wel- cher damals noch an unſerm Hofe verweilte, die Jungfrau müſſe ihr Herz einem Manne geſchenkt haben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/95
Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/95>, abgerufen am 24.11.2024.