ein hinsiechender düsterer Greis geworden. -- Der Tod des Apis, die schlimmen Constellationen und Orakelsprüche beängstigen sein Herz. Die Nacht, in welcher er lebt, umflort seine Heiterkeit. Das Bewußtsein, nicht ohne Stütze fortschreiten zu können, beraubt ihn seines sichern Willens. Der kühne, selbstständige Herrscher ist im Be- griff, zum willenlosen Werkzeuge der Priester zu werden.
"Stundenlang verweilt er jetzt im Tempel der Neith, um zu beten und zu opfern. Dort läßt er auch eine An- zahl von Werkleuten an einer Todtenwohnung für seine eigne Mumie arbeiten, während eine gleiche Anzahl von Maurern das von den Hellenen begonnene Heiligthum des Apollon zu Memphis der Erde gleich machen muß. Sein eignes und das Unglück der Tachot nennt er eine gerechte Strafe der Unsterblichen.
"Seine Besuche am Lager der Kranken gereichen der- selben zu geringem Troste; denn statt der Armen freund- lich zuzureden, sucht er derselben zu beweisen, daß auch sie die Strafe der Unsterblichen verdient habe. -- Er ver- sucht das arme Kind mit der ganzen Kraft seiner siegen- den Beredsamkeit dahin zu bringen, der Erde ganz und gar zu vergessen, und durch fortwährende Gebete und Opfer die Gnade des Osiris und der Richter in der Un- terwelt zu gewinnen.
",Du wirst bald sterben.' -- ,Das Leben ist kurz; die Dauer des Todes unendlich lang.' Mit diesen und ähnlichen Worten foltert er die Seele unsrer theuren Kran- ken, welche so gerne leben möchte.
"Jene Anschauung der Aegypter, welche das Dasein im Tode zur Hauptsache, das Leben in dieser Welt zu einem Nichts, einer kurzen Wanderung, einem Traume stempelt, hat Viele in die Gefahr gebracht, der Stimmung
ein hinſiechender düſterer Greis geworden. — Der Tod des Apis, die ſchlimmen Conſtellationen und Orakelſprüche beängſtigen ſein Herz. Die Nacht, in welcher er lebt, umflort ſeine Heiterkeit. Das Bewußtſein, nicht ohne Stütze fortſchreiten zu können, beraubt ihn ſeines ſichern Willens. Der kühne, ſelbſtſtändige Herrſcher iſt im Be- griff, zum willenloſen Werkzeuge der Prieſter zu werden.
„Stundenlang verweilt er jetzt im Tempel der Neith, um zu beten und zu opfern. Dort läßt er auch eine An- zahl von Werkleuten an einer Todtenwohnung für ſeine eigne Mumie arbeiten, während eine gleiche Anzahl von Maurern das von den Hellenen begonnene Heiligthum des Apollon zu Memphis der Erde gleich machen muß. Sein eignes und das Unglück der Tachot nennt er eine gerechte Strafe der Unſterblichen.
„Seine Beſuche am Lager der Kranken gereichen der- ſelben zu geringem Troſte; denn ſtatt der Armen freund- lich zuzureden, ſucht er derſelben zu beweiſen, daß auch ſie die Strafe der Unſterblichen verdient habe. — Er ver- ſucht das arme Kind mit der ganzen Kraft ſeiner ſiegen- den Beredſamkeit dahin zu bringen, der Erde ganz und gar zu vergeſſen, und durch fortwährende Gebete und Opfer die Gnade des Oſiris und der Richter in der Un- terwelt zu gewinnen.
„‚Du wirſt bald ſterben.‘ — ‚Das Leben iſt kurz; die Dauer des Todes unendlich lang.‘ Mit dieſen und ähnlichen Worten foltert er die Seele unſrer theuren Kran- ken, welche ſo gerne leben möchte.
„Jene Anſchauung der Aegypter, welche das Daſein im Tode zur Hauptſache, das Leben in dieſer Welt zu einem Nichts, einer kurzen Wanderung, einem Traume ſtempelt, hat Viele in die Gefahr gebracht, der Stimmung
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ein hinſiechender düſterer Greis geworden. — Der Tod
des Apis, die ſchlimmen Conſtellationen und Orakelſprüche
beängſtigen ſein Herz. Die Nacht, in welcher er lebt,
umflort ſeine Heiterkeit. Das Bewußtſein, nicht ohne
Stütze fortſchreiten zu können, beraubt ihn ſeines ſichern
Willens. Der kühne, ſelbſtſtändige Herrſcher iſt im Be-
griff, zum willenloſen Werkzeuge der Prieſter zu werden.
„Stundenlang verweilt er jetzt im Tempel der Neith,
um zu beten und zu opfern. Dort läßt er auch eine An-
zahl von Werkleuten an einer Todtenwohnung für ſeine
eigne Mumie arbeiten, während eine gleiche Anzahl von
Maurern das von den Hellenen begonnene Heiligthum des
Apollon zu Memphis der Erde gleich machen muß. Sein
eignes und das Unglück der Tachot nennt er eine gerechte
Strafe der Unſterblichen.
„Seine Beſuche am Lager der Kranken gereichen der-
ſelben zu geringem Troſte; denn ſtatt der Armen freund-
lich zuzureden, ſucht er derſelben zu beweiſen, daß auch
ſie die Strafe der Unſterblichen verdient habe. — Er ver-
ſucht das arme Kind mit der ganzen Kraft ſeiner ſiegen-
den Beredſamkeit dahin zu bringen, der Erde ganz und
gar zu vergeſſen, und durch fortwährende Gebete und
Opfer die Gnade des Oſiris und der Richter in der Un-
terwelt zu gewinnen.
„‚Du wirſt bald ſterben.‘ — ‚Das Leben iſt kurz;
die Dauer des Todes unendlich lang.‘ Mit dieſen und
ähnlichen Worten foltert er die Seele unſrer theuren Kran-
ken, welche ſo gerne leben möchte.
„Jene Anſchauung der Aegypter, welche das Daſein
im Tode zur Hauptſache, das Leben in dieſer Welt zu
einem Nichts, einer kurzen Wanderung, einem Traume
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/94>, abgerufen am 22.07.2024.
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