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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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seines Gewandes nach dem Freipasse suchte, wandte sich der
Peitschenträger einem sich nähernden Kameraden zu, zeigte
auf das spärliche Gefolge des Reisenden und sagte: "Hast
Du je solchen wunderlichen Aufzug gesehn? Jch will nicht
Giw heißen, wenn hinter diesen Ankömmlingen nichts Be-
sonderes steckt. Der unterste Teppichbreiter des Königs
reist ja mit viermal größerem Gefolge, als dieser Mensch,
der einen Freipaß führt und die Kleider eines Tischgenossen
trägt!"

Jetzt streckte ihm der Beargwohnte ein zusammen-
gerolltes, nach Moschus duftendes Seidenröllchen 115) ent-
gegen, auf dem das Siegel des Königs und einige Schrift-
zeichen zu sehen waren.

Der Peitschenträger ergriff dasselbe und prüfte das
Siegel. "Es ist richtig", murmelte er. Dann begann er
die Buchstaben anzublicken. Kaum hatte er die ersten der-
selben entziffert, als er den Reisenden scharf und immer
schärfer anschaute, und mit dem Rufe: "Herbei ihr Leute,
umstellt den Wagen. Dieser Mann ist ein Betrüger!" den
Pferden in die Zügel fiel.

Nachdem er sich überzeugt hatte, daß kein Entrinnen
möglich war, näherte er sich wieder dem Fremden und sagte:

"Du führst einen Freipaß, der Dir nicht zugehört.
Gyges, der Sohn des Krösus, für den Du Dich ausgeben
willst, sitzt im Gefängniß und soll noch heute hingerichtet
werden. Du hast keine Aehnlichkeit mit ihm und wirst es
bereuen, Dich für denselben ausgegeben zu haben. Steige
aus und folge mir."

Der Reisende leistete diesem Befehle keinen Gehorsam,
sondern bat den Hauptmann in gebrochenem Persisch, sich
vielmehr zu ihm in den Wagen zu setzen, weil er ihm
wichtige Dinge anzuvertrauen habe. Der Beamte zauderte

ſeines Gewandes nach dem Freipaſſe ſuchte, wandte ſich der
Peitſchenträger einem ſich nähernden Kameraden zu, zeigte
auf das ſpärliche Gefolge des Reiſenden und ſagte: „Haſt
Du je ſolchen wunderlichen Aufzug geſehn? Jch will nicht
Giw heißen, wenn hinter dieſen Ankömmlingen nichts Be-
ſonderes ſteckt. Der unterſte Teppichbreiter des Königs
reist ja mit viermal größerem Gefolge, als dieſer Menſch,
der einen Freipaß führt und die Kleider eines Tiſchgenoſſen
trägt!“

Jetzt ſtreckte ihm der Beargwohnte ein zuſammen-
gerolltes, nach Moſchus duftendes Seidenröllchen 115) ent-
gegen, auf dem das Siegel des Königs und einige Schrift-
zeichen zu ſehen waren.

Der Peitſchenträger ergriff dasſelbe und prüfte das
Siegel. „Es iſt richtig“, murmelte er. Dann begann er
die Buchſtaben anzublicken. Kaum hatte er die erſten der-
ſelben entziffert, als er den Reiſenden ſcharf und immer
ſchärfer anſchaute, und mit dem Rufe: „Herbei ihr Leute,
umſtellt den Wagen. Dieſer Mann iſt ein Betrüger!“ den
Pferden in die Zügel fiel.

Nachdem er ſich überzeugt hatte, daß kein Entrinnen
möglich war, näherte er ſich wieder dem Fremden und ſagte:

„Du führſt einen Freipaß, der Dir nicht zugehört.
Gyges, der Sohn des Kröſus, für den Du Dich ausgeben
willſt, ſitzt im Gefängniß und ſoll noch heute hingerichtet
werden. Du haſt keine Aehnlichkeit mit ihm und wirſt es
bereuen, Dich für denſelben ausgegeben zu haben. Steige
aus und folge mir.“

Der Reiſende leiſtete dieſem Befehle keinen Gehorſam,
ſondern bat den Hauptmann in gebrochenem Perſiſch, ſich
vielmehr zu ihm in den Wagen zu ſetzen, weil er ihm
wichtige Dinge anzuvertrauen habe. Der Beamte zauderte

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[200/0202] ſeines Gewandes nach dem Freipaſſe ſuchte, wandte ſich der Peitſchenträger einem ſich nähernden Kameraden zu, zeigte auf das ſpärliche Gefolge des Reiſenden und ſagte: „Haſt Du je ſolchen wunderlichen Aufzug geſehn? Jch will nicht Giw heißen, wenn hinter dieſen Ankömmlingen nichts Be- ſonderes ſteckt. Der unterſte Teppichbreiter des Königs reist ja mit viermal größerem Gefolge, als dieſer Menſch, der einen Freipaß führt und die Kleider eines Tiſchgenoſſen trägt!“ Jetzt ſtreckte ihm der Beargwohnte ein zuſammen- gerolltes, nach Moſchus duftendes Seidenröllchen 115) ent- gegen, auf dem das Siegel des Königs und einige Schrift- zeichen zu ſehen waren. Der Peitſchenträger ergriff dasſelbe und prüfte das Siegel. „Es iſt richtig“, murmelte er. Dann begann er die Buchſtaben anzublicken. Kaum hatte er die erſten der- ſelben entziffert, als er den Reiſenden ſcharf und immer ſchärfer anſchaute, und mit dem Rufe: „Herbei ihr Leute, umſtellt den Wagen. Dieſer Mann iſt ein Betrüger!“ den Pferden in die Zügel fiel. Nachdem er ſich überzeugt hatte, daß kein Entrinnen möglich war, näherte er ſich wieder dem Fremden und ſagte: „Du führſt einen Freipaß, der Dir nicht zugehört. Gyges, der Sohn des Kröſus, für den Du Dich ausgeben willſt, ſitzt im Gefängniß und ſoll noch heute hingerichtet werden. Du haſt keine Aehnlichkeit mit ihm und wirſt es bereuen, Dich für denſelben ausgegeben zu haben. Steige aus und folge mir.“ Der Reiſende leiſtete dieſem Befehle keinen Gehorſam, ſondern bat den Hauptmann in gebrochenem Perſiſch, ſich vielmehr zu ihm in den Wagen zu ſetzen, weil er ihm wichtige Dinge anzuvertrauen habe. Der Beamte zauderte

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/202>, abgerufen am 30.04.2024.