Aeckern rings umher, in zahllosen Mengen, schlank und zier- lich erhoben.
Oftmals hatte sie diese schönen Bäume bewundert und sie mit Tänzerinnen verglichen, wenn der Sturm ihre schwe- ren Kronen erfaßte und ihre schlanken Stämme bald hier- hin bald dorthin beugte. Wie häufig hatte sie sich gesagt, hier müsse die Heimat des Phönix *), des Vogels aus dem Palmenlande sein, der, wie die Priester erzählten, alle 500 Jahre zu dem Tempel des Ra nach Heliopolis kam, wo- selbst er sich in heiligen Weihrauchflammen verbrannte, um schöner zu erstehen aus seiner Asche und nach drei Ta- gen in seine östliche Heimat zurückzufliegen. Und während sie dieses Vogels gedachte und gleich ihm aus der Asche des Unglücks zu neuem, schönerem Glücke zu erstehen wünschte, da flog von den Cypressen her, welche die Wohnung dessen verbargen, den sie liebte und der sie so elend gemacht hatte, ein großer Vogel mit glänzendem Gefieder auf, schwang sich höher und höher und ließ sich endlich auf einer Palme dicht vor ihrem Fenster nieder. Einen gleichen Vogel hatte sie noch nie gesehen, und es konnte auch kein gewöhnlicher Vogel sein, denn ein goldenes Kettlein hing an seinem Fuße, und sein Schweif bestand nicht aus Federn, sondern, wie sie meinte, aus Sonnenstrahlen. Dieß war Benno 111), der Vogel des Ra! Andächtig fiel sie von Neuem auf die Kniee nieder und sang das alte Phönixlied, indem sie von dem strahlenden Luftbewohner keinen Blick verwandte.
"Hoch über den Häuptern der Menschen daher Durchschneidet mein Fittig das Aethermeer. Der Schöpfer, der mächtige, hat mich gemacht; Er gab meinem Kleide die glänzende Pracht;
*) Siehe Anmerkung 114 des I. Theils.
Aeckern rings umher, in zahlloſen Mengen, ſchlank und zier- lich erhoben.
Oftmals hatte ſie dieſe ſchönen Bäume bewundert und ſie mit Tänzerinnen verglichen, wenn der Sturm ihre ſchwe- ren Kronen erfaßte und ihre ſchlanken Stämme bald hier- hin bald dorthin beugte. Wie häufig hatte ſie ſich geſagt, hier müſſe die Heimat des Phönix *), des Vogels aus dem Palmenlande ſein, der, wie die Prieſter erzählten, alle 500 Jahre zu dem Tempel des Ra nach Heliopolis kam, wo- ſelbſt er ſich in heiligen Weihrauchflammen verbrannte, um ſchöner zu erſtehen aus ſeiner Aſche und nach drei Ta- gen in ſeine öſtliche Heimat zurückzufliegen. Und während ſie dieſes Vogels gedachte und gleich ihm aus der Aſche des Unglücks zu neuem, ſchönerem Glücke zu erſtehen wünſchte, da flog von den Cypreſſen her, welche die Wohnung deſſen verbargen, den ſie liebte und der ſie ſo elend gemacht hatte, ein großer Vogel mit glänzendem Gefieder auf, ſchwang ſich höher und höher und ließ ſich endlich auf einer Palme dicht vor ihrem Fenſter nieder. Einen gleichen Vogel hatte ſie noch nie geſehen, und es konnte auch kein gewöhnlicher Vogel ſein, denn ein goldenes Kettlein hing an ſeinem Fuße, und ſein Schweif beſtand nicht aus Federn, ſondern, wie ſie meinte, aus Sonnenſtrahlen. Dieß war Benno 111), der Vogel des Ra! Andächtig fiel ſie von Neuem auf die Kniee nieder und ſang das alte Phönixlied, indem ſie von dem ſtrahlenden Luftbewohner keinen Blick verwandte.
„Hoch über den Häuptern der Menſchen daher Durchſchneidet mein Fittig das Aethermeer. Der Schöpfer, der mächtige, hat mich gemacht; Er gab meinem Kleide die glänzende Pracht;
*) Siehe Anmerkung 114 des I. Theils.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0189"n="187"/>
Aeckern rings umher, in zahlloſen Mengen, ſchlank und zier-<lb/>
lich erhoben.</p><lb/><p>Oftmals hatte ſie dieſe ſchönen Bäume bewundert und<lb/>ſie mit Tänzerinnen verglichen, wenn der Sturm ihre ſchwe-<lb/>
ren Kronen erfaßte und ihre ſchlanken Stämme bald hier-<lb/>
hin bald dorthin beugte. Wie häufig hatte ſie ſich geſagt,<lb/>
hier müſſe die Heimat des Phönix <noteplace="foot"n="*)">Siehe Anmerkung 114 des <hirendition="#aq">I.</hi> Theils.</note>, des Vogels aus dem<lb/>
Palmenlande ſein, der, wie die Prieſter erzählten, alle 500<lb/>
Jahre zu dem Tempel des Ra nach Heliopolis kam, wo-<lb/>ſelbſt er ſich in heiligen Weihrauchflammen verbrannte,<lb/>
um ſchöner zu erſtehen aus ſeiner Aſche und nach drei Ta-<lb/>
gen in ſeine öſtliche Heimat zurückzufliegen. Und während<lb/>ſie dieſes Vogels gedachte und gleich ihm aus der Aſche<lb/>
des Unglücks zu neuem, ſchönerem Glücke zu erſtehen wünſchte,<lb/>
da flog von den Cypreſſen her, welche die Wohnung deſſen<lb/>
verbargen, den ſie liebte und der ſie ſo elend gemacht hatte,<lb/>
ein großer Vogel mit glänzendem Gefieder auf, ſchwang<lb/>ſich höher und höher und ließ ſich endlich auf einer Palme<lb/>
dicht vor ihrem Fenſter nieder. Einen gleichen Vogel hatte<lb/>ſie noch nie geſehen, und es konnte auch kein gewöhnlicher<lb/>
Vogel ſein, denn ein goldenes Kettlein hing an ſeinem<lb/>
Fuße, und ſein Schweif beſtand nicht aus Federn, ſondern,<lb/>
wie ſie meinte, aus Sonnenſtrahlen. Dieß war Benno <hirendition="#sup">111</hi>),<lb/>
der Vogel des Ra! Andächtig fiel ſie von Neuem auf die<lb/>
Kniee nieder und ſang das alte Phönixlied, indem ſie von<lb/>
dem ſtrahlenden Luftbewohner keinen Blick verwandte.</p><lb/><lgtype="poem"><l>„Hoch über den Häuptern der Menſchen daher</l><lb/><l>Durchſchneidet mein Fittig das Aethermeer.</l><lb/><l>Der Schöpfer, der mächtige, hat mich gemacht;</l><lb/><l>Er gab meinem Kleide die glänzende Pracht;</l><lb/></lg></div></body></text></TEI>
[187/0189]
Aeckern rings umher, in zahlloſen Mengen, ſchlank und zier-
lich erhoben.
Oftmals hatte ſie dieſe ſchönen Bäume bewundert und
ſie mit Tänzerinnen verglichen, wenn der Sturm ihre ſchwe-
ren Kronen erfaßte und ihre ſchlanken Stämme bald hier-
hin bald dorthin beugte. Wie häufig hatte ſie ſich geſagt,
hier müſſe die Heimat des Phönix *), des Vogels aus dem
Palmenlande ſein, der, wie die Prieſter erzählten, alle 500
Jahre zu dem Tempel des Ra nach Heliopolis kam, wo-
ſelbſt er ſich in heiligen Weihrauchflammen verbrannte,
um ſchöner zu erſtehen aus ſeiner Aſche und nach drei Ta-
gen in ſeine öſtliche Heimat zurückzufliegen. Und während
ſie dieſes Vogels gedachte und gleich ihm aus der Aſche
des Unglücks zu neuem, ſchönerem Glücke zu erſtehen wünſchte,
da flog von den Cypreſſen her, welche die Wohnung deſſen
verbargen, den ſie liebte und der ſie ſo elend gemacht hatte,
ein großer Vogel mit glänzendem Gefieder auf, ſchwang
ſich höher und höher und ließ ſich endlich auf einer Palme
dicht vor ihrem Fenſter nieder. Einen gleichen Vogel hatte
ſie noch nie geſehen, und es konnte auch kein gewöhnlicher
Vogel ſein, denn ein goldenes Kettlein hing an ſeinem
Fuße, und ſein Schweif beſtand nicht aus Federn, ſondern,
wie ſie meinte, aus Sonnenſtrahlen. Dieß war Benno 111),
der Vogel des Ra! Andächtig fiel ſie von Neuem auf die
Kniee nieder und ſang das alte Phönixlied, indem ſie von
dem ſtrahlenden Luftbewohner keinen Blick verwandte.
„Hoch über den Häuptern der Menſchen daher
Durchſchneidet mein Fittig das Aethermeer.
Der Schöpfer, der mächtige, hat mich gemacht;
Er gab meinem Kleide die glänzende Pracht;
*) Siehe Anmerkung 114 des I. Theils.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/189>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.