Das Thor, durch welches der königliche Zug in die Stadt gelangte, hatte vor den hohen Ankömmlingen seine fünfzig Ellen hohen, ehernen Flügel weit geöffnet. Die- sen Eingang beschirmte von jeder Seite ein Festungsthurm, vor je welchem sich, als Wächter, ein riesiger, geflügelter Stier von Stein mit ernstem, bärtigem Menschenkopfe ausstreckte 14).
Diese Ungeheuer versinnbildlichten die Allgewalt der Gottheit und vereinten in sich die größte Kraft im Leibe des Stiers, die höchste Einsicht im Menschenhaupte und die größte Schnelligkeit in den Flügeln des Adlers. Stau- nend blickte Nitetis auf diese Riesenpforte, freudig bewegt in die lange, breite Straße der großen Stadt, welche, ihr zu Ehren, im schönsten Festgewande prangte.
Sobald sich der König und der goldene Wagen zeigte, brach die zusammengelaufene Menge in lauten Jubel aus; dieser steigerte sich aber zu einem unaufhörlichen, donnern- den und kreischenden Freudengeschrei, als man den heim- kehrenden Bartja, den Liebling des Volkes, erblickte. Die Menge hatte auch Kambyses lange nicht gesehen, denn der König zeigte sich, nach medischer Sitte, nur selten in der Oeffentlichkeit. Unsichtbar, wie die Gottheit, sollte er re- gieren, und sein Erscheinen unter dem Volke gleich einer Festfreude erwartet werden. So hatte sich denn auch heute ganz Babylon aufgemacht, um den gefürchteten Herrscher und den geliebten Heimkehrenden zu sehen und zu begrü- ßen. Alle Fenster waren von neugierigen Frauen besetzt, welche den Heranziehenden Blumen vor die Füße warfen und wohlriechende Essenzen auf dieselben hernieder gossen. Das ganze Pflaster war mit Myrten und Palmenzweigen bestreut, grüne Bäume aller Arten standen vor den Thüren, Teppiche und Tücher hingen aus den Fenstern, Blumen-
Das Thor, durch welches der königliche Zug in die Stadt gelangte, hatte vor den hohen Ankömmlingen ſeine fünfzig Ellen hohen, ehernen Flügel weit geöffnet. Die- ſen Eingang beſchirmte von jeder Seite ein Feſtungsthurm, vor je welchem ſich, als Wächter, ein rieſiger, geflügelter Stier von Stein mit ernſtem, bärtigem Menſchenkopfe ausſtreckte 14).
Dieſe Ungeheuer verſinnbildlichten die Allgewalt der Gottheit und vereinten in ſich die größte Kraft im Leibe des Stiers, die höchſte Einſicht im Menſchenhaupte und die größte Schnelligkeit in den Flügeln des Adlers. Stau- nend blickte Nitetis auf dieſe Rieſenpforte, freudig bewegt in die lange, breite Straße der großen Stadt, welche, ihr zu Ehren, im ſchönſten Feſtgewande prangte.
Sobald ſich der König und der goldene Wagen zeigte, brach die zuſammengelaufene Menge in lauten Jubel aus; dieſer ſteigerte ſich aber zu einem unaufhörlichen, donnern- den und kreiſchenden Freudengeſchrei, als man den heim- kehrenden Bartja, den Liebling des Volkes, erblickte. Die Menge hatte auch Kambyſes lange nicht geſehen, denn der König zeigte ſich, nach mediſcher Sitte, nur ſelten in der Oeffentlichkeit. Unſichtbar, wie die Gottheit, ſollte er re- gieren, und ſein Erſcheinen unter dem Volke gleich einer Feſtfreude erwartet werden. So hatte ſich denn auch heute ganz Babylon aufgemacht, um den gefürchteten Herrſcher und den geliebten Heimkehrenden zu ſehen und zu begrü- ßen. Alle Fenſter waren von neugierigen Frauen beſetzt, welche den Heranziehenden Blumen vor die Füße warfen und wohlriechende Eſſenzen auf dieſelben hernieder goſſen. Das ganze Pflaſter war mit Myrten und Palmenzweigen beſtreut, grüne Bäume aller Arten ſtanden vor den Thüren, Teppiche und Tücher hingen aus den Fenſtern, Blumen-
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Das Thor, durch welches der königliche Zug in die
Stadt gelangte, hatte vor den hohen Ankömmlingen ſeine
fünfzig Ellen hohen, ehernen Flügel weit geöffnet. Die-
ſen Eingang beſchirmte von jeder Seite ein Feſtungsthurm,
vor je welchem ſich, als Wächter, ein rieſiger, geflügelter
Stier von Stein mit ernſtem, bärtigem Menſchenkopfe
ausſtreckte 14).
Dieſe Ungeheuer verſinnbildlichten die Allgewalt der
Gottheit und vereinten in ſich die größte Kraft im Leibe
des Stiers, die höchſte Einſicht im Menſchenhaupte und
die größte Schnelligkeit in den Flügeln des Adlers. Stau-
nend blickte Nitetis auf dieſe Rieſenpforte, freudig bewegt
in die lange, breite Straße der großen Stadt, welche, ihr
zu Ehren, im ſchönſten Feſtgewande prangte.
Sobald ſich der König und der goldene Wagen zeigte,
brach die zuſammengelaufene Menge in lauten Jubel aus;
dieſer ſteigerte ſich aber zu einem unaufhörlichen, donnern-
den und kreiſchenden Freudengeſchrei, als man den heim-
kehrenden Bartja, den Liebling des Volkes, erblickte. Die
Menge hatte auch Kambyſes lange nicht geſehen, denn der
König zeigte ſich, nach mediſcher Sitte, nur ſelten in der
Oeffentlichkeit. Unſichtbar, wie die Gottheit, ſollte er re-
gieren, und ſein Erſcheinen unter dem Volke gleich einer
Feſtfreude erwartet werden. So hatte ſich denn auch heute
ganz Babylon aufgemacht, um den gefürchteten Herrſcher
und den geliebten Heimkehrenden zu ſehen und zu begrü-
ßen. Alle Fenſter waren von neugierigen Frauen beſetzt,
welche den Heranziehenden Blumen vor die Füße warfen
und wohlriechende Eſſenzen auf dieſelben hernieder goſſen.
Das ganze Pflaſter war mit Myrten und Palmenzweigen
beſtreut, grüne Bäume aller Arten ſtanden vor den Thüren,
Teppiche und Tücher hingen aus den Fenſtern, Blumen-
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/18>, abgerufen am 22.07.2024.
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