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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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Die beiden Mädchen an der Seite der Ladike, Tachot
und Nitetis, wurden Zwillingsschwestern genannt; zeigten
aber keine Spur jener Aehnlichkeit, welche man sonst bei
Zwillingen zu finden pflegt.

Tachot war blond und blauäugig 127), klein und zier-
lich gebaut, während Nitetis, groß und voll, mit schwar-
zen Haaren und Augen, durch jede Bewegung errathen
ließ, daß sie einem königlichen Hause entstammte.

"Wie bleich Du aussiehst, meine Tochter," sprach
Ladike, die Wange der Nitetis küssend. "Sei frohen
Muthes und sieh getrost der Zukunft entgegen. Jch
bringe Dir den Bruder Deines zukünftigen Gatten, den
edlen Bartja."

Nitetis erhob ihre sinnigen dunklen Augen und ließ
sie lange prüfend auf dem schönen Jünglinge ruhen. Dieser
verneigte sich tief, küßte das Gewand des erröthenden
Mädchens und sprach:

"Sei gegrüßt als meine zukünftige Königin und
Schwester! Jch glaube gern, daß Dir der Abschied von
der Heimat, von Eltern und Geschwistern, das Herz be-
klemmt; aber sei guten Muthes, denn Dein Gatte ist
ein großer Held und ein mächtiger König; unsere Mutter,
Kassandane, die edelste der Frauen, und die Schönheit
und Tugend des Weibes, wird bei den Persern geehrt, wie
das Leben spendende Licht der Sonne. Dich, Du Schwe-
ster der Lilie Nitetis, -- die ich neben ihr ,die Rose' nen-
nen möchte, -- bitte ich um Verzeihung, daß wir gekom-
men sind, Dir Deine liebste Freundin zu rauben."

Die Blicke des Jünglings strahlten bei diesen Wor-
ten in die blauen Augen der schönen Tachot, welche sich,
die Hand auf's Herz drückend, stumm verneigte und Bartja
noch lange nachschaute, als ihn Amasis fortzog, um ihm

Die beiden Mädchen an der Seite der Ladike, Tachot
und Nitetis, wurden Zwillingsſchweſtern genannt; zeigten
aber keine Spur jener Aehnlichkeit, welche man ſonſt bei
Zwillingen zu finden pflegt.

Tachot war blond und blauäugig 127), klein und zier-
lich gebaut, während Nitetis, groß und voll, mit ſchwar-
zen Haaren und Augen, durch jede Bewegung errathen
ließ, daß ſie einem königlichen Hauſe entſtammte.

„Wie bleich Du ausſiehſt, meine Tochter,“ ſprach
Ladike, die Wange der Nitetis küſſend. „Sei frohen
Muthes und ſieh getroſt der Zukunft entgegen. Jch
bringe Dir den Bruder Deines zukünftigen Gatten, den
edlen Bartja.“

Nitetis erhob ihre ſinnigen dunklen Augen und ließ
ſie lange prüfend auf dem ſchönen Jünglinge ruhen. Dieſer
verneigte ſich tief, küßte das Gewand des erröthenden
Mädchens und ſprach:

„Sei gegrüßt als meine zukünftige Königin und
Schweſter! Jch glaube gern, daß Dir der Abſchied von
der Heimat, von Eltern und Geſchwiſtern, das Herz be-
klemmt; aber ſei guten Muthes, denn Dein Gatte iſt
ein großer Held und ein mächtiger König; unſere Mutter,
Kaſſandane, die edelſte der Frauen, und die Schönheit
und Tugend des Weibes, wird bei den Perſern geehrt, wie
das Leben ſpendende Licht der Sonne. Dich, Du Schwe-
ſter der Lilie Nitetis, — die ich neben ihr ‚die Roſe‘ nen-
nen möchte, — bitte ich um Verzeihung, daß wir gekom-
men ſind, Dir Deine liebſte Freundin zu rauben.“

Die Blicke des Jünglings ſtrahlten bei dieſen Wor-
ten in die blauen Augen der ſchönen Tachot, welche ſich,
die Hand auf’s Herz drückend, ſtumm verneigte und Bartja
noch lange nachſchaute, als ihn Amaſis fortzog, um ihm

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[78/0096] Die beiden Mädchen an der Seite der Ladike, Tachot und Nitetis, wurden Zwillingsſchweſtern genannt; zeigten aber keine Spur jener Aehnlichkeit, welche man ſonſt bei Zwillingen zu finden pflegt. Tachot war blond und blauäugig 127), klein und zier- lich gebaut, während Nitetis, groß und voll, mit ſchwar- zen Haaren und Augen, durch jede Bewegung errathen ließ, daß ſie einem königlichen Hauſe entſtammte. „Wie bleich Du ausſiehſt, meine Tochter,“ ſprach Ladike, die Wange der Nitetis küſſend. „Sei frohen Muthes und ſieh getroſt der Zukunft entgegen. Jch bringe Dir den Bruder Deines zukünftigen Gatten, den edlen Bartja.“ Nitetis erhob ihre ſinnigen dunklen Augen und ließ ſie lange prüfend auf dem ſchönen Jünglinge ruhen. Dieſer verneigte ſich tief, küßte das Gewand des erröthenden Mädchens und ſprach: „Sei gegrüßt als meine zukünftige Königin und Schweſter! Jch glaube gern, daß Dir der Abſchied von der Heimat, von Eltern und Geſchwiſtern, das Herz be- klemmt; aber ſei guten Muthes, denn Dein Gatte iſt ein großer Held und ein mächtiger König; unſere Mutter, Kaſſandane, die edelſte der Frauen, und die Schönheit und Tugend des Weibes, wird bei den Perſern geehrt, wie das Leben ſpendende Licht der Sonne. Dich, Du Schwe- ſter der Lilie Nitetis, — die ich neben ihr ‚die Roſe‘ nen- nen möchte, — bitte ich um Verzeihung, daß wir gekom- men ſind, Dir Deine liebſte Freundin zu rauben.“ Die Blicke des Jünglings ſtrahlten bei dieſen Wor- ten in die blauen Augen der ſchönen Tachot, welche ſich, die Hand auf’s Herz drückend, ſtumm verneigte und Bartja noch lange nachſchaute, als ihn Amaſis fortzog, um ihm

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/96>, abgerufen am 27.04.2024.