die seltene Großmutter, und vielleicht auch, wenn wir allein bleiben, die Enkelin sehen, und schnell begreifen, daß diese Menschen keinem Glücke, sondern ihrer Trefflichkeit Alles verdanken. Ha, da sind sie! Jetzt gehen sie dem Hause zu. -- Hörst Du die Sclavinnen singen? Jetzt tre- ten sie ein. Laß sie sich erst niederlassen, dann folge mir, und beim Abschiede will ich Dich fragen, ob Du bereust, mit mir gegangen zu sein, und ob Rhodopis nicht eher einer Königin gleicht, als einer freigelassenen Sclavin."
Das Haus der Rhodopis 25) war in griechischem Styl erbaut. Die Außenseite des einstöckigen länglichen Ge- bäudes mußte nach unseren Begriffen durchaus einfach ge- nannt werden, während die innere Einrichtung hellenische Formenschönheit mit ägyptischer Farbenpracht vereinte. Durch die weite Hauptthüre kam man in die Hausflur *), an deren linker Seite ein großer Speisesaal seine Fenster- öffnungen dem Strome zukehrte. Diesem gegenüber lag die Küche, ein Raum, welcher sich nur bei reichen Helle- nen vorfand, während die ärmeren ihre Speisen an dem Herde im Wohnzimmer zu bereiten pflegten. Die Em- pfangshalle lag an der Mündung der Hausflur, hatte die Gestalt eines Quadrats und war rings von einem Säulen- gange umgeben, in welchen viele Gemächer **) münde- ten. Jnmitten dieser Halle, dem Aufenthaltsorte für die Männer ***), brannte auf einem altarartigen Herde von reicher äginetischer Metallarbeit 26) das Feuer des Hauses.
Bei Tage erhielt dieser Raum sein Licht mittels der Oeffnungen im Dache, durch welche zu gleicher Zeit der Rauch des Herdfeuers seinen Ausgang fand. Ein der
*)Thyroreion.
**)Oikemata.
***)Andronitis.
die ſeltene Großmutter, und vielleicht auch, wenn wir allein bleiben, die Enkelin ſehen, und ſchnell begreifen, daß dieſe Menſchen keinem Glücke, ſondern ihrer Trefflichkeit Alles verdanken. Ha, da ſind ſie! Jetzt gehen ſie dem Hauſe zu. — Hörſt Du die Sclavinnen ſingen? Jetzt tre- ten ſie ein. Laß ſie ſich erſt niederlaſſen, dann folge mir, und beim Abſchiede will ich Dich fragen, ob Du bereuſt, mit mir gegangen zu ſein, und ob Rhodopis nicht eher einer Königin gleicht, als einer freigelaſſenen Sclavin.“
Das Haus der Rhodopis 25) war in griechiſchem Styl erbaut. Die Außenſeite des einſtöckigen länglichen Ge- bäudes mußte nach unſeren Begriffen durchaus einfach ge- nannt werden, während die innere Einrichtung helleniſche Formenſchönheit mit ägyptiſcher Farbenpracht vereinte. Durch die weite Hauptthüre kam man in die Hausflur *), an deren linker Seite ein großer Speiſeſaal ſeine Fenſter- öffnungen dem Strome zukehrte. Dieſem gegenüber lag die Küche, ein Raum, welcher ſich nur bei reichen Helle- nen vorfand, während die ärmeren ihre Speiſen an dem Herde im Wohnzimmer zu bereiten pflegten. Die Em- pfangshalle lag an der Mündung der Hausflur, hatte die Geſtalt eines Quadrats und war rings von einem Säulen- gange umgeben, in welchen viele Gemächer **) münde- ten. Jnmitten dieſer Halle, dem Aufenthaltsorte für die Männer ***), brannte auf einem altarartigen Herde von reicher äginetiſcher Metallarbeit 26) das Feuer des Hauſes.
Bei Tage erhielt dieſer Raum ſein Licht mittels der Oeffnungen im Dache, durch welche zu gleicher Zeit der Rauch des Herdfeuers ſeinen Ausgang fand. Ein der
*)Thyroreion.
**)Oikemata.
***)Andronitis.
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die ſeltene Großmutter, und vielleicht auch, wenn wir
allein bleiben, die Enkelin ſehen, und ſchnell begreifen, daß
dieſe Menſchen keinem Glücke, ſondern ihrer Trefflichkeit
Alles verdanken. Ha, da ſind ſie! Jetzt gehen ſie dem
Hauſe zu. — Hörſt Du die Sclavinnen ſingen? Jetzt tre-
ten ſie ein. Laß ſie ſich erſt niederlaſſen, dann folge mir,
und beim Abſchiede will ich Dich fragen, ob Du bereuſt,
mit mir gegangen zu ſein, und ob Rhodopis nicht eher
einer Königin gleicht, als einer freigelaſſenen Sclavin.“
Das Haus der Rhodopis 25) war in griechiſchem Styl
erbaut. Die Außenſeite des einſtöckigen länglichen Ge-
bäudes mußte nach unſeren Begriffen durchaus einfach ge-
nannt werden, während die innere Einrichtung helleniſche
Formenſchönheit mit ägyptiſcher Farbenpracht vereinte.
Durch die weite Hauptthüre kam man in die Hausflur *),
an deren linker Seite ein großer Speiſeſaal ſeine Fenſter-
öffnungen dem Strome zukehrte. Dieſem gegenüber lag
die Küche, ein Raum, welcher ſich nur bei reichen Helle-
nen vorfand, während die ärmeren ihre Speiſen an dem
Herde im Wohnzimmer zu bereiten pflegten. Die Em-
pfangshalle lag an der Mündung der Hausflur, hatte die
Geſtalt eines Quadrats und war rings von einem Säulen-
gange umgeben, in welchen viele Gemächer **) münde-
ten. Jnmitten dieſer Halle, dem Aufenthaltsorte für die
Männer ***), brannte auf einem altarartigen Herde von
reicher äginetiſcher Metallarbeit 26) das Feuer des Hauſes.
Bei Tage erhielt dieſer Raum ſein Licht mittels der
Oeffnungen im Dache, durch welche zu gleicher Zeit der
Rauch des Herdfeuers ſeinen Ausgang fand. Ein der
*) Thyroreion.
**) Oikemata.
***) Andronitis.
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/30>, abgerufen am 22.07.2024.
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