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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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Küste. Die jungen Leute erlagen dem dortigen Klima,
nachdem ihnen eine Tochter, Sappho, geboren war. Rho-
dopis unternahm selbst die lange Fahrt gen Westen, holte
die junge Waise ab, nahm sie zu sich in's Haus, ließ sie
auf's Sorgfältigste erziehen und verbietet ihr jetzt, da sie
erwachsen ist, die Gesellschaft der Männer, denn sie fühlt
die Flecken ihrer frühesten Jugend so tief, daß sie ihre
Enkelin, und das ist bei Sappho keine schwere Aufgabe,
entfernter von jeder Berührung mit unserem Geschlechte
hält, als es die ägyptische Sitte gestatten würde. Meine
Freundin selbst bedarf des geselligen Verkehrs so noth-
wendig, wie ein Fisch des Wassers, wie ein Vogel der
Luft. Alle Fremden besuchen sie, und wer ihre Gastfreund-
schaft einmal gekostet hat, der wird, wenn es ihm seine
Zeit erlaubt, niemals fehlen, so oft die Fahne einen Em-
pfangsabend verkündet. Jeder Hellene, von irgend welcher
Bedeutung, besucht dieses Haus, denn hier wird berathen,
wie man dem Haß der Priester begegnen könne, und wie
der König zu dem oder jenem zu bereden sei. Hier trifft
man stets die neuesten Nachrichten aus der Heimat und
der ganzen übrigen Welt, hier findet der Verfolgte ein
unantastbares Asyl, denn der König hat seiner Freundin
einen Freibrief gegen alle Belästigungen der Sicherheits-
behörde 23) gegeben, hier hört man die Sprache und Lie-
der der Heimat, hier wird berathen, wie Hellas von der
wachsenden Alleinherrschaft 24) befreit werden kann; dieses
Haus ist mit einem Worte der Knotenpunkt aller helleni-
schen Jnteressen in Aegypten, und von höherer politischer
Bedeutung, als selbst das Hellenion, die hiesige Tempel-
und Handelsgemeinschaft *). Jn wenigen Minuten wirst Du

*) Siehe Anmerkung 3.

Küſte. Die jungen Leute erlagen dem dortigen Klima,
nachdem ihnen eine Tochter, Sappho, geboren war. Rho-
dopis unternahm ſelbſt die lange Fahrt gen Weſten, holte
die junge Waiſe ab, nahm ſie zu ſich in’s Haus, ließ ſie
auf’s Sorgfältigſte erziehen und verbietet ihr jetzt, da ſie
erwachſen iſt, die Geſellſchaft der Männer, denn ſie fühlt
die Flecken ihrer früheſten Jugend ſo tief, daß ſie ihre
Enkelin, und das iſt bei Sappho keine ſchwere Aufgabe,
entfernter von jeder Berührung mit unſerem Geſchlechte
hält, als es die ägyptiſche Sitte geſtatten würde. Meine
Freundin ſelbſt bedarf des geſelligen Verkehrs ſo noth-
wendig, wie ein Fiſch des Waſſers, wie ein Vogel der
Luft. Alle Fremden beſuchen ſie, und wer ihre Gaſtfreund-
ſchaft einmal gekoſtet hat, der wird, wenn es ihm ſeine
Zeit erlaubt, niemals fehlen, ſo oft die Fahne einen Em-
pfangsabend verkündet. Jeder Hellene, von irgend welcher
Bedeutung, beſucht dieſes Haus, denn hier wird berathen,
wie man dem Haß der Prieſter begegnen könne, und wie
der König zu dem oder jenem zu bereden ſei. Hier trifft
man ſtets die neueſten Nachrichten aus der Heimat und
der ganzen übrigen Welt, hier findet der Verfolgte ein
unantaſtbares Aſyl, denn der König hat ſeiner Freundin
einen Freibrief gegen alle Beläſtigungen der Sicherheits-
behörde 23) gegeben, hier hört man die Sprache und Lie-
der der Heimat, hier wird berathen, wie Hellas von der
wachſenden Alleinherrſchaft 24) befreit werden kann; dieſes
Haus iſt mit einem Worte der Knotenpunkt aller helleni-
ſchen Jntereſſen in Aegypten, und von höherer politiſcher
Bedeutung, als ſelbſt das Hellenion, die hieſige Tempel-
und Handelsgemeinſchaft *). Jn wenigen Minuten wirſt Du

*) Siehe Anmerkung 3.
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[11/0029] Küſte. Die jungen Leute erlagen dem dortigen Klima, nachdem ihnen eine Tochter, Sappho, geboren war. Rho- dopis unternahm ſelbſt die lange Fahrt gen Weſten, holte die junge Waiſe ab, nahm ſie zu ſich in’s Haus, ließ ſie auf’s Sorgfältigſte erziehen und verbietet ihr jetzt, da ſie erwachſen iſt, die Geſellſchaft der Männer, denn ſie fühlt die Flecken ihrer früheſten Jugend ſo tief, daß ſie ihre Enkelin, und das iſt bei Sappho keine ſchwere Aufgabe, entfernter von jeder Berührung mit unſerem Geſchlechte hält, als es die ägyptiſche Sitte geſtatten würde. Meine Freundin ſelbſt bedarf des geſelligen Verkehrs ſo noth- wendig, wie ein Fiſch des Waſſers, wie ein Vogel der Luft. Alle Fremden beſuchen ſie, und wer ihre Gaſtfreund- ſchaft einmal gekoſtet hat, der wird, wenn es ihm ſeine Zeit erlaubt, niemals fehlen, ſo oft die Fahne einen Em- pfangsabend verkündet. Jeder Hellene, von irgend welcher Bedeutung, beſucht dieſes Haus, denn hier wird berathen, wie man dem Haß der Prieſter begegnen könne, und wie der König zu dem oder jenem zu bereden ſei. Hier trifft man ſtets die neueſten Nachrichten aus der Heimat und der ganzen übrigen Welt, hier findet der Verfolgte ein unantaſtbares Aſyl, denn der König hat ſeiner Freundin einen Freibrief gegen alle Beläſtigungen der Sicherheits- behörde 23) gegeben, hier hört man die Sprache und Lie- der der Heimat, hier wird berathen, wie Hellas von der wachſenden Alleinherrſchaft 24) befreit werden kann; dieſes Haus iſt mit einem Worte der Knotenpunkt aller helleni- ſchen Jntereſſen in Aegypten, und von höherer politiſcher Bedeutung, als ſelbſt das Hellenion, die hieſige Tempel- und Handelsgemeinſchaft *). Jn wenigen Minuten wirſt Du *) Siehe Anmerkung 3.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/29>, abgerufen am 19.04.2024.