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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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"So hat er Dir endlich Gehör geschenkt?"

"Endlich!"

"Dein Angesicht sagt mir, daß Dir von unserem
Herrn, Deinem Vater, huldvoll begegnet worden sei."

"Wie man's nimmt. -- Als ich die Anliegen, mit
denen Du mich beauftragtest, vorgebracht hatte, ward er
unmäßig zornig und zerschmetterte mich schier mit furcht-
baren Worten."

"Du wirst ihn gereizt haben! Oder bist Du dem
Könige, wie ich Dir gerathen hatte, als demüthig bitten-
der Sohn genaht?"

"Nein, mein Vater; -- ich war gereizt und unwillig."

"Dann hatte Amasis Recht zornig zu werden, denn
niemals ziemt es dem Sohne seinem Erzeuger unwillig zu
begegnen; am wenigsten aber, wenn er etwas erbitten
will. Sieh, mein Schüler, darin fehlst Du immer,
daß Du Dinge, welche leichtlich durch Güte und Milde
erlangt werden könnten, gewaltsam und mürrisch durchzu-
setzen suchst. -- Ein gutes Wort ist weit wirksamer als
ein böses, und es kommt viel darauf an, wie man seine
Rede zu brauchen versteht. -- Höre, was ich Dir erzählen
will: Vor vielen Jahren herrschte über Aegypten der Kö-
nig Kertos, welcher zu Memphis regierte. Dem träumte
eines Tages, ihm fielen alle Zähne aus dem Munde. Er
schickte sofort zu einem Traumdeuter und erzählte ihm den
Traum. Da rief der Ausleger: ,O König, wehe Dir,
alle Deine Verwandten werden vor Dir sterben!' Der
erzürnte Kertos ließ den Unglücksboten peitschen und rief
einen zweiten Seher. Dieser erklärte den Traum also:
,Großer König, Heil Deinem Namen, denn Du wirst
länger leben, als alle Deine Verwandte!' -- Der König
lächelte über diese Worte, und beschenkte den zweiten Deu-

„So hat er Dir endlich Gehör geſchenkt?“

„Endlich!“

„Dein Angeſicht ſagt mir, daß Dir von unſerem
Herrn, Deinem Vater, huldvoll begegnet worden ſei.“

„Wie man’s nimmt. — Als ich die Anliegen, mit
denen Du mich beauftragteſt, vorgebracht hatte, ward er
unmäßig zornig und zerſchmetterte mich ſchier mit furcht-
baren Worten.“

„Du wirſt ihn gereizt haben! Oder biſt Du dem
Könige, wie ich Dir gerathen hatte, als demüthig bitten-
der Sohn genaht?“

„Nein, mein Vater; — ich war gereizt und unwillig.“

„Dann hatte Amaſis Recht zornig zu werden, denn
niemals ziemt es dem Sohne ſeinem Erzeuger unwillig zu
begegnen; am wenigſten aber, wenn er etwas erbitten
will. Sieh, mein Schüler, darin fehlſt Du immer,
daß Du Dinge, welche leichtlich durch Güte und Milde
erlangt werden könnten, gewaltſam und mürriſch durchzu-
ſetzen ſuchſt. — Ein gutes Wort iſt weit wirkſamer als
ein böſes, und es kommt viel darauf an, wie man ſeine
Rede zu brauchen verſteht. — Höre, was ich Dir erzählen
will: Vor vielen Jahren herrſchte über Aegypten der Kö-
nig Kertos, welcher zu Memphis regierte. Dem träumte
eines Tages, ihm fielen alle Zähne aus dem Munde. Er
ſchickte ſofort zu einem Traumdeuter und erzählte ihm den
Traum. Da rief der Ausleger: ‚O König, wehe Dir,
alle Deine Verwandten werden vor Dir ſterben!‘ Der
erzürnte Kertos ließ den Unglücksboten peitſchen und rief
einen zweiten Seher. Dieſer erklärte den Traum alſo:
‚Großer König, Heil Deinem Namen, denn Du wirſt
länger leben, als alle Deine Verwandte!‘ — Der König
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[100/0118] „So hat er Dir endlich Gehör geſchenkt?“ „Endlich!“ „Dein Angeſicht ſagt mir, daß Dir von unſerem Herrn, Deinem Vater, huldvoll begegnet worden ſei.“ „Wie man’s nimmt. — Als ich die Anliegen, mit denen Du mich beauftragteſt, vorgebracht hatte, ward er unmäßig zornig und zerſchmetterte mich ſchier mit furcht- baren Worten.“ „Du wirſt ihn gereizt haben! Oder biſt Du dem Könige, wie ich Dir gerathen hatte, als demüthig bitten- der Sohn genaht?“ „Nein, mein Vater; — ich war gereizt und unwillig.“ „Dann hatte Amaſis Recht zornig zu werden, denn niemals ziemt es dem Sohne ſeinem Erzeuger unwillig zu begegnen; am wenigſten aber, wenn er etwas erbitten will. Sieh, mein Schüler, darin fehlſt Du immer, daß Du Dinge, welche leichtlich durch Güte und Milde erlangt werden könnten, gewaltſam und mürriſch durchzu- ſetzen ſuchſt. — Ein gutes Wort iſt weit wirkſamer als ein böſes, und es kommt viel darauf an, wie man ſeine Rede zu brauchen verſteht. — Höre, was ich Dir erzählen will: Vor vielen Jahren herrſchte über Aegypten der Kö- nig Kertos, welcher zu Memphis regierte. Dem träumte eines Tages, ihm fielen alle Zähne aus dem Munde. Er ſchickte ſofort zu einem Traumdeuter und erzählte ihm den Traum. Da rief der Ausleger: ‚O König, wehe Dir, alle Deine Verwandten werden vor Dir ſterben!‘ Der erzürnte Kertos ließ den Unglücksboten peitſchen und rief einen zweiten Seher. Dieſer erklärte den Traum alſo: ‚Großer König, Heil Deinem Namen, denn Du wirſt länger leben, als alle Deine Verwandte!‘ — Der König lächelte über dieſe Worte, und beſchenkte den zweiten Deu-

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/118>, abgerufen am 06.05.2024.