Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.ragt. Die ganze Vorderfront des Tempels, die sich Nachdem Psamtik, ohne beten zu können, die Stel- ragt. Die ganze Vorderfront des Tempels, die ſich Nachdem Pſamtik, ohne beten zu können, die Stel- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0116" n="98"/> ragt. Die ganze Vorderfront des Tempels, die ſich<lb/> feſtungsartig, in einem ſtumpfen Winkel, von der Erde<lb/> erhob, war mit bunten Bildern und Jnſchriften bedeckt.<lb/> Durch den Porticus kam er in einen hohen Vorſaal, dann<lb/> in die große Halle, deren blaue, mit tauſend goldenen<lb/> Sternen überſäte Decke von vier Reihen rieſiger Säulen<lb/> getragen wurde. Die Schäfte und lotosförmigen Kapitäle<lb/> derſelben, die Seitenwände und Niſchen dieſes Rieſenſaa-<lb/> les, kurz Alles, was dem Auge begegnete, war mit bun-<lb/> ten Farben und Hieroglyphenbildern bedeckt. Die unge-<lb/> heure Größe der Säulen, die unermeßliche Höhe und groß-<lb/> artige Weite des Raumes, die ſchwüle von Weihrauch-<lb/> düften erfüllte Luft des Tempels und die leiſe Muſik,<lb/> welche ſich vom Allerheiligſten her vernehmen ließ, zwan-<lb/> gen mit unwiderſtehlicher Macht zu andächtigen Gefühlen.<lb/> Der Menſch erſchien ſich in dieſer gigantiſchen Halle ſo<lb/> klein, daß er nothwendiger Weiſe nach einem größeren,<lb/> mächtigeren Weſen außer ſich ſuchen mußte.</p><lb/> <p>Nachdem Pſamtik, ohne beten zu können, die Stel-<lb/> lung eines Beters eingenommen hatte, kam er zu einem<lb/> etwas niedrigeren und kleineren Saale, in dem die heiligen<lb/> Kühe der Jſis-Neith und die Sperber derſelben gepflegt<lb/> wurden. Ein mit Goldſtickereien bedeckter Vorhang vom<lb/> koſtbarſten Stoffe verbarg dieſelben den Augen der Tem-<lb/> pelbeſucher, denn der Anblick dieſer vergötterten Geſchöpfe<lb/> war dem Volke nur ſelten geſtattet. Als Pſamtik vorbei-<lb/> kam, wurden gerade in Milch erweichte Kuchen, Salz und<lb/> Kleeblüten in die goldenen Krippen der Kühe, und kleine<lb/> Vögel mit buntem Gefieder in das zierlich gearbeitete<lb/> Häuschen des Sperbers gelegt. Der Thronerbe hatte in<lb/> ſeiner heutigen Stimmung kein Auge für dieſe ſeltſamen<lb/> Dinge und erſtieg, mittels einer verborgenen Treppe, die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [98/0116]
ragt. Die ganze Vorderfront des Tempels, die ſich
feſtungsartig, in einem ſtumpfen Winkel, von der Erde
erhob, war mit bunten Bildern und Jnſchriften bedeckt.
Durch den Porticus kam er in einen hohen Vorſaal, dann
in die große Halle, deren blaue, mit tauſend goldenen
Sternen überſäte Decke von vier Reihen rieſiger Säulen
getragen wurde. Die Schäfte und lotosförmigen Kapitäle
derſelben, die Seitenwände und Niſchen dieſes Rieſenſaa-
les, kurz Alles, was dem Auge begegnete, war mit bun-
ten Farben und Hieroglyphenbildern bedeckt. Die unge-
heure Größe der Säulen, die unermeßliche Höhe und groß-
artige Weite des Raumes, die ſchwüle von Weihrauch-
düften erfüllte Luft des Tempels und die leiſe Muſik,
welche ſich vom Allerheiligſten her vernehmen ließ, zwan-
gen mit unwiderſtehlicher Macht zu andächtigen Gefühlen.
Der Menſch erſchien ſich in dieſer gigantiſchen Halle ſo
klein, daß er nothwendiger Weiſe nach einem größeren,
mächtigeren Weſen außer ſich ſuchen mußte.
Nachdem Pſamtik, ohne beten zu können, die Stel-
lung eines Beters eingenommen hatte, kam er zu einem
etwas niedrigeren und kleineren Saale, in dem die heiligen
Kühe der Jſis-Neith und die Sperber derſelben gepflegt
wurden. Ein mit Goldſtickereien bedeckter Vorhang vom
koſtbarſten Stoffe verbarg dieſelben den Augen der Tem-
pelbeſucher, denn der Anblick dieſer vergötterten Geſchöpfe
war dem Volke nur ſelten geſtattet. Als Pſamtik vorbei-
kam, wurden gerade in Milch erweichte Kuchen, Salz und
Kleeblüten in die goldenen Krippen der Kühe, und kleine
Vögel mit buntem Gefieder in das zierlich gearbeitete
Häuschen des Sperbers gelegt. Der Thronerbe hatte in
ſeiner heutigen Stimmung kein Auge für dieſe ſeltſamen
Dinge und erſtieg, mittels einer verborgenen Treppe, die
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