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Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885.

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sehr sorgfältiges und lange fortgesetztes, so wird sie wiederum
grösser sein, als wenn es flüchtig geschah und bald abge-
brochen wurde.

Kurz, wir haben in diesen Differenzen jedenfalls nume-
rische Ausdrücke für die inneren Verschiedenheiten nachleben-
der Vorstellungsreihen, die wir sonst zwar voraussetzen müssen,
aber durch direkte Beobachtung nicht nachzuweisen vermögen.
Damit aber haben wir in ihnen auch etwas, was mindestens
dem gleicht, was wir suchen, um eine Handhabe für die An-
wendung der naturwissenschaftlichen Methode zu gewinnen:
wohl konstatierbare, bei Variierung der Umstände ebenfalls
variierende, numerisch fixierbare Erscheinungen auf der Seite
der Effekte. Ob wir in ihnen richtige Masszahlen besitzen
für jene inneren Verschiedenheiten, und ob wir dementspre-
chend durch sie zu richtigen Einsichten in die Kausalver-
bindungen gelangen, in welche jenes innerlich Lebende ein-
geht, das lässt sich nicht a priori bestimmen. Ganz ebenso
wenig wie die Chemie a priori bestimmen konnte, ob es die
elektrischen oder thermischen oder andere Begleiterscheinungen
der chemischen Verbindungsvorgänge seien, an denen sie ein
richtiges Mass der ins Spiel tretenden Affinitätskräfte habe.
Dazu giebt es nur den einen Weg, dass man zusieht, ob
man unter Voraussetzung der Richtigkeit zu wohlgeordneten,
widerspruchslosen Resultaten und zu richtigen Anticipationen
der Zukunft zu gelangen vermag.

Statt des einfachen Geschehens, Eintreten oder Ausblei-
ben einer Reproduktion, welches keine numerischen Unter-
schiede zulässst, will ich also versuchsweise einen zusammen-
gesetzteren Vorgang als den Effekt betrachten, dessen Ver-
änderungen bei Variierung der Umstände ich messend beob-
achte: nämlich die künstliche Herbeiführung einer nicht von

sehr sorgfältiges und lange fortgesetztes, so wird sie wiederum
gröſser sein, als wenn es flüchtig geschah und bald abge-
brochen wurde.

Kurz, wir haben in diesen Differenzen jedenfalls nume-
rische Ausdrücke für die inneren Verschiedenheiten nachleben-
der Vorstellungsreihen, die wir sonst zwar voraussetzen müssen,
aber durch direkte Beobachtung nicht nachzuweisen vermögen.
Damit aber haben wir in ihnen auch etwas, was mindestens
dem gleicht, was wir suchen, um eine Handhabe für die An-
wendung der naturwissenschaftlichen Methode zu gewinnen:
wohl konstatierbare, bei Variierung der Umstände ebenfalls
variierende, numerisch fixierbare Erscheinungen auf der Seite
der Effekte. Ob wir in ihnen richtige Maſszahlen besitzen
für jene inneren Verschiedenheiten, und ob wir dementspre-
chend durch sie zu richtigen Einsichten in die Kausalver-
bindungen gelangen, in welche jenes innerlich Lebende ein-
geht, das läſst sich nicht a priori bestimmen. Ganz ebenso
wenig wie die Chemie a priori bestimmen konnte, ob es die
elektrischen oder thermischen oder andere Begleiterscheinungen
der chemischen Verbindungsvorgänge seien, an denen sie ein
richtiges Maſs der ins Spiel tretenden Affinitätskräfte habe.
Dazu giebt es nur den einen Weg, daſs man zusieht, ob
man unter Voraussetzung der Richtigkeit zu wohlgeordneten,
widerspruchslosen Resultaten und zu richtigen Anticipationen
der Zukunft zu gelangen vermag.

Statt des einfachen Geschehens, Eintreten oder Ausblei-
ben einer Reproduktion, welches keine numerischen Unter-
schiede zuläſsst, will ich also versuchsweise einen zusammen-
gesetzteren Vorgang als den Effekt betrachten, dessen Ver-
änderungen bei Variierung der Umstände ich messend beob-
achte: nämlich die künstliche Herbeiführung einer nicht von

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[12/0028] sehr sorgfältiges und lange fortgesetztes, so wird sie wiederum gröſser sein, als wenn es flüchtig geschah und bald abge- brochen wurde. Kurz, wir haben in diesen Differenzen jedenfalls nume- rische Ausdrücke für die inneren Verschiedenheiten nachleben- der Vorstellungsreihen, die wir sonst zwar voraussetzen müssen, aber durch direkte Beobachtung nicht nachzuweisen vermögen. Damit aber haben wir in ihnen auch etwas, was mindestens dem gleicht, was wir suchen, um eine Handhabe für die An- wendung der naturwissenschaftlichen Methode zu gewinnen: wohl konstatierbare, bei Variierung der Umstände ebenfalls variierende, numerisch fixierbare Erscheinungen auf der Seite der Effekte. Ob wir in ihnen richtige Maſszahlen besitzen für jene inneren Verschiedenheiten, und ob wir dementspre- chend durch sie zu richtigen Einsichten in die Kausalver- bindungen gelangen, in welche jenes innerlich Lebende ein- geht, das läſst sich nicht a priori bestimmen. Ganz ebenso wenig wie die Chemie a priori bestimmen konnte, ob es die elektrischen oder thermischen oder andere Begleiterscheinungen der chemischen Verbindungsvorgänge seien, an denen sie ein richtiges Maſs der ins Spiel tretenden Affinitätskräfte habe. Dazu giebt es nur den einen Weg, daſs man zusieht, ob man unter Voraussetzung der Richtigkeit zu wohlgeordneten, widerspruchslosen Resultaten und zu richtigen Anticipationen der Zukunft zu gelangen vermag. Statt des einfachen Geschehens, Eintreten oder Ausblei- ben einer Reproduktion, welches keine numerischen Unter- schiede zuläſsst, will ich also versuchsweise einen zusammen- gesetzteren Vorgang als den Effekt betrachten, dessen Ver- änderungen bei Variierung der Umstände ich messend beob- achte: nämlich die künstliche Herbeiführung einer nicht von

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Zitationshilfe: Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/28>, abgerufen am 28.03.2024.