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Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885.

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Letztere geraten nur in einen gewissen inneren Erregungszustand,
es geschieht irgend etwas mit ihnen, was unterbleiben würde,
wenn 1, 3, 5 nicht wiederholt wären. Sie verhalten sich ähn-
lich wie ein vergessener Name, den man durch Besinnen
wieder zu beleben sucht. Bewusst ist dieser nicht vorhanden,
man sucht ihn ja eben. In gewisser Weise aber, auf dem
Wege zum Bewusstsein sozusagen, ist er doch auch unleug-
bar vorhanden. Denn wenn allerlei Vorstellungen wachgerufen
werden, die mit früher dagewesenen Namen in Verbindung
stehen, so vermag man meist anzugeben, ob sie mit dem jetzt
gerade gesuchten und noch nicht gefundenen zusammenstim-
men oder nicht. In einen ähnlichen wenig intensiven Er-
regungszustand zwischen dem bewussten Hervortreten einer-
seits und dem einfachen Nichtvorhandensein andrerseits werden
also auch die Silben 2, 4, 6 versetzt durch die häufige Wie-
derholung der mit ihnen vorher verbunden gewesenen 1, 3, 5.
Und diese Erregung hat nun, so scheint es nach unseren Ver-
suchen, eine ganz ähnliche Wirkung wie das wirkliche Be-
wusstwerden. Es bilden sich innere Verbindungen zwischen
successive innerlich erregten Silben gerade wie zwischen
successive bewusst gemachten Silben, nur natürlich von
geringerer Stärke; es spinnen sich geheime Fäden, welche
die gar nicht bewusst werdenden 2, 4, 6 aneinanderfesseln
und der bewussten Erzeugung ihrer Aufeinanderfolge vor-
arbeiten. Solche Fäden bestanden freilich schon in grösserer
Stärke von dem Lernen der ursprünglichen Reihe her; die
gegenwärtige Wirkung wird sich also so äussern, dass sie die
bestehenden Verknüpfungen etwas verstärkt. Und das ist
nichts-anderes als das oben Gefundene: sind zwei Silben-
kombinationen 1, 3, 5 .. und 2, 4, 6 .. häufig zusammen
bewusst gemacht worden (Lernen der ursprünglichen Reihen),
so hat hinterher das Lernen der zweiten Kombination (ab-

Letztere geraten nur in einen gewissen inneren Erregungszustand,
es geschieht irgend etwas mit ihnen, was unterbleiben würde,
wenn 1, 3, 5 nicht wiederholt wären. Sie verhalten sich ähn-
lich wie ein vergessener Name, den man durch Besinnen
wieder zu beleben sucht. Bewuſst ist dieser nicht vorhanden,
man sucht ihn ja eben. In gewisser Weise aber, auf dem
Wege zum Bewuſstsein sozusagen, ist er doch auch unleug-
bar vorhanden. Denn wenn allerlei Vorstellungen wachgerufen
werden, die mit früher dagewesenen Namen in Verbindung
stehen, so vermag man meist anzugeben, ob sie mit dem jetzt
gerade gesuchten und noch nicht gefundenen zusammenstim-
men oder nicht. In einen ähnlichen wenig intensiven Er-
regungszustand zwischen dem bewuſsten Hervortreten einer-
seits und dem einfachen Nichtvorhandensein andrerseits werden
also auch die Silben 2, 4, 6 versetzt durch die häufige Wie-
derholung der mit ihnen vorher verbunden gewesenen 1, 3, 5.
Und diese Erregung hat nun, so scheint es nach unseren Ver-
suchen, eine ganz ähnliche Wirkung wie das wirkliche Be-
wuſstwerden. Es bilden sich innere Verbindungen zwischen
successive innerlich erregten Silben gerade wie zwischen
successive bewuſst gemachten Silben, nur natürlich von
geringerer Stärke; es spinnen sich geheime Fäden, welche
die gar nicht bewuſst werdenden 2, 4, 6 aneinanderfesseln
und der bewuſsten Erzeugung ihrer Aufeinanderfolge vor-
arbeiten. Solche Fäden bestanden freilich schon in gröſserer
Stärke von dem Lernen der ursprünglichen Reihe her; die
gegenwärtige Wirkung wird sich also so äuſsern, daſs sie die
bestehenden Verknüpfungen etwas verstärkt. Und das ist
nichts-anderes als das oben Gefundene: sind zwei Silben-
kombinationen 1, 3, 5 .. und 2, 4, 6 .. häufig zusammen
bewuſst gemacht worden (Lernen der ursprünglichen Reihen),
so hat hinterher das Lernen der zweiten Kombination (ab-

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[168/0184] Letztere geraten nur in einen gewissen inneren Erregungszustand, es geschieht irgend etwas mit ihnen, was unterbleiben würde, wenn 1, 3, 5 nicht wiederholt wären. Sie verhalten sich ähn- lich wie ein vergessener Name, den man durch Besinnen wieder zu beleben sucht. Bewuſst ist dieser nicht vorhanden, man sucht ihn ja eben. In gewisser Weise aber, auf dem Wege zum Bewuſstsein sozusagen, ist er doch auch unleug- bar vorhanden. Denn wenn allerlei Vorstellungen wachgerufen werden, die mit früher dagewesenen Namen in Verbindung stehen, so vermag man meist anzugeben, ob sie mit dem jetzt gerade gesuchten und noch nicht gefundenen zusammenstim- men oder nicht. In einen ähnlichen wenig intensiven Er- regungszustand zwischen dem bewuſsten Hervortreten einer- seits und dem einfachen Nichtvorhandensein andrerseits werden also auch die Silben 2, 4, 6 versetzt durch die häufige Wie- derholung der mit ihnen vorher verbunden gewesenen 1, 3, 5. Und diese Erregung hat nun, so scheint es nach unseren Ver- suchen, eine ganz ähnliche Wirkung wie das wirkliche Be- wuſstwerden. Es bilden sich innere Verbindungen zwischen successive innerlich erregten Silben gerade wie zwischen successive bewuſst gemachten Silben, nur natürlich von geringerer Stärke; es spinnen sich geheime Fäden, welche die gar nicht bewuſst werdenden 2, 4, 6 aneinanderfesseln und der bewuſsten Erzeugung ihrer Aufeinanderfolge vor- arbeiten. Solche Fäden bestanden freilich schon in gröſserer Stärke von dem Lernen der ursprünglichen Reihe her; die gegenwärtige Wirkung wird sich also so äuſsern, daſs sie die bestehenden Verknüpfungen etwas verstärkt. Und das ist nichts-anderes als das oben Gefundene: sind zwei Silben- kombinationen 1, 3, 5 .. und 2, 4, 6 .. häufig zusammen bewuſst gemacht worden (Lernen der ursprünglichen Reihen), so hat hinterher das Lernen der zweiten Kombination (ab-

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Zitationshilfe: Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/184>, abgerufen am 28.04.2024.