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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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sich alsdann leicht erwecken lassen, und auf diese Weise wird
man sogar jenes freiere, von der Berufsnothwendigkeit nicht mit-
geforderte allgemeinere Wissen erreichen, welches, wie die Einsicht
in die bereits bekannten Züge des mechanischen Weltbaues, mehr
eine Zierde und ein Befreiungsmittel des Geistes als etwa eine
praktische Nothwendigkeit ist. Doch hier greife ich schon über
meinen Gegenstand hinaus; ich habe hier im Hinblick auf die
Schulen kein abgesondertes Muster der reinen und freien Bildung
an sich selbst entwerfen, sondern nur auf alles das hinweisen
wollen, was sich naturgesetzlich mit den Berufserfordernissen ein-
finden muss. Aus diesem Grunde lasse ich auch in den Lehr-
stoffen der höhern Vorschulung und mithin auch für die Pflanz-
schulen nur das als natürlich interessant und nothwendig gelten,
was im Leben unmittelbar oder mittelbar einer nützlichen An-
wendung fähig ist. Von der Geschichte verwerfe ich das Meiste
und lasse nur das zu, woran sich zu erinnern ein natürlich ge-
sellschaftliches Interesse vorhanden sein kann. Bei solcher Ein-
schränkung des Lernmaterials werden jene 19/20 mit nützlichem
und schönem Sachwissen in vielgestaltiger Art ausgefüllt und
unter Hinzunahme von 1/20 gediegener Sprachschulung eine ausser-
ordentliche Geistesmacht ergeben. Die Entlastung von all jenem
thörichten Kram, der gegenwärtig mindestens 11/12 alles Lehr-
stoffs ausmacht, wird die Aufgabe des Lernenden und den Beruf
des Lehrenden so gewaltig erleichtern und mit einer so natür-
lichen Zufriedenheit krönen, dass sich mit dieser gesunden Arbeit
die Qual der heutigen Schüler- und Lehrerfrohn nicht mehr ver-
gleichen lassen dürfte. Man wird sich über die Dinge und den
Menschen von vornherein in allen Richtungen elementar orientirt
finden, und man wird für einen höheren praktischen Lebensberuf,
wie z. B. für die Medicin, die Fortsetzung solcher Bildung eben
nur mit rein technischen Wissenszweigen und Functionen zu
machen haben, so dass der Cursus der weiblichen Berufshoch-
schulen in ein paar Jahren gründlich zu erledigen ist. Zu alle-
dem bedarf es aber, wie gesagt, einer privaten Uebergangsinitia-
tive von grosser Energie, und in dieser Zwischenphase wird nicht
blos mit den Consequenzen des Princips, sondern auch mit den
Inconsequenzen und Durchlöcherungen des alten verrotteten Re-
gime zu rechnen sein. Man wird sogar unter Umständen die
Mischgebilde und halben Erfolge nicht in principieller Vornehm-
heit abweisen dürfen und sich in Alles hineinzuleben haben, was

sich alsdann leicht erwecken lassen, und auf diese Weise wird
man sogar jenes freiere, von der Berufsnothwendigkeit nicht mit-
geforderte allgemeinere Wissen erreichen, welches, wie die Einsicht
in die bereits bekannten Züge des mechanischen Weltbaues, mehr
eine Zierde und ein Befreiungsmittel des Geistes als etwa eine
praktische Nothwendigkeit ist. Doch hier greife ich schon über
meinen Gegenstand hinaus; ich habe hier im Hinblick auf die
Schulen kein abgesondertes Muster der reinen und freien Bildung
an sich selbst entwerfen, sondern nur auf alles das hinweisen
wollen, was sich naturgesetzlich mit den Berufserfordernissen ein-
finden muss. Aus diesem Grunde lasse ich auch in den Lehr-
stoffen der höhern Vorschulung und mithin auch für die Pflanz-
schulen nur das als natürlich interessant und nothwendig gelten,
was im Leben unmittelbar oder mittelbar einer nützlichen An-
wendung fähig ist. Von der Geschichte verwerfe ich das Meiste
und lasse nur das zu, woran sich zu erinnern ein natürlich ge-
sellschaftliches Interesse vorhanden sein kann. Bei solcher Ein-
schränkung des Lernmaterials werden jene 19⁄20 mit nützlichem
und schönem Sachwissen in vielgestaltiger Art ausgefüllt und
unter Hinzunahme von 1⁄20 gediegener Sprachschulung eine ausser-
ordentliche Geistesmacht ergeben. Die Entlastung von all jenem
thörichten Kram, der gegenwärtig mindestens 11⁄12 alles Lehr-
stoffs ausmacht, wird die Aufgabe des Lernenden und den Beruf
des Lehrenden so gewaltig erleichtern und mit einer so natür-
lichen Zufriedenheit krönen, dass sich mit dieser gesunden Arbeit
die Qual der heutigen Schüler- und Lehrerfrohn nicht mehr ver-
gleichen lassen dürfte. Man wird sich über die Dinge und den
Menschen von vornherein in allen Richtungen elementar orientirt
finden, und man wird für einen höheren praktischen Lebensberuf,
wie z. B. für die Medicin, die Fortsetzung solcher Bildung eben
nur mit rein technischen Wissenszweigen und Functionen zu
machen haben, so dass der Cursus der weiblichen Berufshoch-
schulen in ein paar Jahren gründlich zu erledigen ist. Zu alle-
dem bedarf es aber, wie gesagt, einer privaten Uebergangsinitia-
tive von grosser Energie, und in dieser Zwischenphase wird nicht
blos mit den Consequenzen des Princips, sondern auch mit den
Inconsequenzen und Durchlöcherungen des alten verrotteten Re-
gime zu rechnen sein. Man wird sogar unter Umständen die
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[62/0071] sich alsdann leicht erwecken lassen, und auf diese Weise wird man sogar jenes freiere, von der Berufsnothwendigkeit nicht mit- geforderte allgemeinere Wissen erreichen, welches, wie die Einsicht in die bereits bekannten Züge des mechanischen Weltbaues, mehr eine Zierde und ein Befreiungsmittel des Geistes als etwa eine praktische Nothwendigkeit ist. Doch hier greife ich schon über meinen Gegenstand hinaus; ich habe hier im Hinblick auf die Schulen kein abgesondertes Muster der reinen und freien Bildung an sich selbst entwerfen, sondern nur auf alles das hinweisen wollen, was sich naturgesetzlich mit den Berufserfordernissen ein- finden muss. Aus diesem Grunde lasse ich auch in den Lehr- stoffen der höhern Vorschulung und mithin auch für die Pflanz- schulen nur das als natürlich interessant und nothwendig gelten, was im Leben unmittelbar oder mittelbar einer nützlichen An- wendung fähig ist. Von der Geschichte verwerfe ich das Meiste und lasse nur das zu, woran sich zu erinnern ein natürlich ge- sellschaftliches Interesse vorhanden sein kann. Bei solcher Ein- schränkung des Lernmaterials werden jene 19⁄20 mit nützlichem und schönem Sachwissen in vielgestaltiger Art ausgefüllt und unter Hinzunahme von 1⁄20 gediegener Sprachschulung eine ausser- ordentliche Geistesmacht ergeben. Die Entlastung von all jenem thörichten Kram, der gegenwärtig mindestens 11⁄12 alles Lehr- stoffs ausmacht, wird die Aufgabe des Lernenden und den Beruf des Lehrenden so gewaltig erleichtern und mit einer so natür- lichen Zufriedenheit krönen, dass sich mit dieser gesunden Arbeit die Qual der heutigen Schüler- und Lehrerfrohn nicht mehr ver- gleichen lassen dürfte. Man wird sich über die Dinge und den Menschen von vornherein in allen Richtungen elementar orientirt finden, und man wird für einen höheren praktischen Lebensberuf, wie z. B. für die Medicin, die Fortsetzung solcher Bildung eben nur mit rein technischen Wissenszweigen und Functionen zu machen haben, so dass der Cursus der weiblichen Berufshoch- schulen in ein paar Jahren gründlich zu erledigen ist. Zu alle- dem bedarf es aber, wie gesagt, einer privaten Uebergangsinitia- tive von grosser Energie, und in dieser Zwischenphase wird nicht blos mit den Consequenzen des Princips, sondern auch mit den Inconsequenzen und Durchlöcherungen des alten verrotteten Re- gime zu rechnen sein. Man wird sogar unter Umständen die Mischgebilde und halben Erfolge nicht in principieller Vornehm- heit abweisen dürfen und sich in Alles hineinzuleben haben, was

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/71>, abgerufen am 23.11.2024.