sein, dessen Handhabung immer mit Rücksicht auf den speciell sachlichen Zweck zu erlernen ist. Nur ein sehr kleines Theilchen des mathematischen Feldes ist wirklich fruchtbar, sei es nun in der allgemeinen Formung des Vorstellens und Urtheilens, oder in der Bereitstellung von Mitteln für die Ergründung des Zu- sammenhangs der Natur und technischer Mechanismen. Das übrige Gebiet ist eine Wüste von speculativem Sande, innerhalb dessen allenfalls noch ein paar Oasen das blosse Vergnügen des Geistes ein klein wenig anfächeln. Wenn irgend ein Wissen- schaftszweig in erster Linie und grade im Hinblick auf die Frauenbildung einer Sichtung und Umgestaltung bedarf, so ist es die Mathematik und zwar von ihren tiefsten Niederungen bis zu ihren äussersten Höhen hinauf. Die verrottete Art, Mathe- matik zu lehren oder vielmehr ungeniessbar zu machen, ist daran schuld, dass auf den Gymnasien höchstens Einer auf Zehn seinem Pensum leidlich gewachsen ist, während die übrigen Neun un- willkürlich zu dem Aberglauben kommen, es gehöre zu so etwas ein besonderer Naturberuf. Wo aber ausnahmsweise auch nur leidlich unterrichtet wurde, war, wie ich selbst beobachtet habe, das Gegentheil der Fall, und auch der Simpelste gelangte wenig- stens dazu, seiner Aufgabe nothdürftig zu entsprechen. Bei einem veränderten Lehrsystem müssten aber grade in der Mathematik eher als in allen andern Richtungen die verlässlichsten Durch- schnittsergebnisse gesichert werden können, weil grade diese An- gelegenheit ihrer Natur nach eine elementar gemeinsame alles menschlichen Vorstellens und Denkens ist.
Die rationelleren Theile der Naturwissenschaft, die sich zu- nächst mit den Grundbeschaffenheiten alles Stoffes und mit den Gesetzen der Bewegung materieller Theilchen beschäftigen und in der modernen, seit Galilei immer mehr ausgebildeten Physik ihren Ausgangspunkt haben, sind zwar von einem formell unver- gleichlich besser bildenden Einfluss, als was man auf dem Boden sprachlicher Uebungen für den Zweck der geordneten Geistes- gestaltung geltend machen kann; aber man muss auch diesen ge- wichtigeren Einfluss nicht zum leitenden Zielpunkt machen. Es ist vielmehr gerathen, den wirklichen Inhalt an bedeutenden und fruchtbaren Einsichten bei der Auswahl und Zusammenstellung des zu Erlernenden in entscheidender Weise maassgebend sein zu lassen. Ein ausdrückliches Bewusstsein über die hiemit zu- gleich angeeigneten Fähigkeiten zum Denken und Gestalten wird
sein, dessen Handhabung immer mit Rücksicht auf den speciell sachlichen Zweck zu erlernen ist. Nur ein sehr kleines Theilchen des mathematischen Feldes ist wirklich fruchtbar, sei es nun in der allgemeinen Formung des Vorstellens und Urtheilens, oder in der Bereitstellung von Mitteln für die Ergründung des Zu- sammenhangs der Natur und technischer Mechanismen. Das übrige Gebiet ist eine Wüste von speculativem Sande, innerhalb dessen allenfalls noch ein paar Oasen das blosse Vergnügen des Geistes ein klein wenig anfächeln. Wenn irgend ein Wissen- schaftszweig in erster Linie und grade im Hinblick auf die Frauenbildung einer Sichtung und Umgestaltung bedarf, so ist es die Mathematik und zwar von ihren tiefsten Niederungen bis zu ihren äussersten Höhen hinauf. Die verrottete Art, Mathe- matik zu lehren oder vielmehr ungeniessbar zu machen, ist daran schuld, dass auf den Gymnasien höchstens Einer auf Zehn seinem Pensum leidlich gewachsen ist, während die übrigen Neun un- willkürlich zu dem Aberglauben kommen, es gehöre zu so etwas ein besonderer Naturberuf. Wo aber ausnahmsweise auch nur leidlich unterrichtet wurde, war, wie ich selbst beobachtet habe, das Gegentheil der Fall, und auch der Simpelste gelangte wenig- stens dazu, seiner Aufgabe nothdürftig zu entsprechen. Bei einem veränderten Lehrsystem müssten aber grade in der Mathematik eher als in allen andern Richtungen die verlässlichsten Durch- schnittsergebnisse gesichert werden können, weil grade diese An- gelegenheit ihrer Natur nach eine elementar gemeinsame alles menschlichen Vorstellens und Denkens ist.
Die rationelleren Theile der Naturwissenschaft, die sich zu- nächst mit den Grundbeschaffenheiten alles Stoffes und mit den Gesetzen der Bewegung materieller Theilchen beschäftigen und in der modernen, seit Galilei immer mehr ausgebildeten Physik ihren Ausgangspunkt haben, sind zwar von einem formell unver- gleichlich besser bildenden Einfluss, als was man auf dem Boden sprachlicher Uebungen für den Zweck der geordneten Geistes- gestaltung geltend machen kann; aber man muss auch diesen ge- wichtigeren Einfluss nicht zum leitenden Zielpunkt machen. Es ist vielmehr gerathen, den wirklichen Inhalt an bedeutenden und fruchtbaren Einsichten bei der Auswahl und Zusammenstellung des zu Erlernenden in entscheidender Weise maassgebend sein zu lassen. Ein ausdrückliches Bewusstsein über die hiemit zu- gleich angeeigneten Fähigkeiten zum Denken und Gestalten wird
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0070"n="61"/>
sein, dessen Handhabung immer mit Rücksicht auf den speciell<lb/>
sachlichen Zweck zu erlernen ist. Nur ein sehr kleines Theilchen<lb/>
des mathematischen Feldes ist wirklich fruchtbar, sei es nun in<lb/>
der allgemeinen Formung des Vorstellens und Urtheilens, oder<lb/>
in der Bereitstellung von Mitteln für die Ergründung des Zu-<lb/>
sammenhangs der Natur und technischer Mechanismen. Das<lb/>
übrige Gebiet ist eine Wüste von speculativem Sande, innerhalb<lb/>
dessen allenfalls noch ein paar Oasen das blosse Vergnügen des<lb/>
Geistes ein klein wenig anfächeln. Wenn irgend ein Wissen-<lb/>
schaftszweig in erster Linie und grade im Hinblick auf die<lb/>
Frauenbildung einer Sichtung und Umgestaltung bedarf, so ist<lb/>
es die Mathematik und zwar von ihren tiefsten Niederungen bis<lb/>
zu ihren äussersten Höhen hinauf. Die verrottete Art, Mathe-<lb/>
matik zu lehren oder vielmehr ungeniessbar zu machen, ist daran<lb/>
schuld, dass auf den Gymnasien höchstens Einer auf Zehn seinem<lb/>
Pensum leidlich gewachsen ist, während die übrigen Neun un-<lb/>
willkürlich zu dem Aberglauben kommen, es gehöre zu so etwas<lb/>
ein besonderer Naturberuf. Wo aber ausnahmsweise auch nur<lb/>
leidlich unterrichtet wurde, war, wie ich selbst beobachtet habe,<lb/>
das Gegentheil der Fall, und auch der Simpelste gelangte wenig-<lb/>
stens dazu, seiner Aufgabe nothdürftig zu entsprechen. Bei einem<lb/>
veränderten Lehrsystem müssten aber grade in der Mathematik<lb/>
eher als in allen andern Richtungen die verlässlichsten Durch-<lb/>
schnittsergebnisse gesichert werden können, weil grade diese An-<lb/>
gelegenheit ihrer Natur nach eine elementar gemeinsame alles<lb/>
menschlichen Vorstellens und Denkens ist.</p><lb/><p>Die rationelleren Theile der Naturwissenschaft, die sich zu-<lb/>
nächst mit den Grundbeschaffenheiten alles Stoffes und mit den<lb/>
Gesetzen der Bewegung materieller Theilchen beschäftigen und<lb/>
in der modernen, seit Galilei immer mehr ausgebildeten Physik<lb/>
ihren Ausgangspunkt haben, sind zwar von einem formell unver-<lb/>
gleichlich besser bildenden Einfluss, als was man auf dem Boden<lb/>
sprachlicher Uebungen für den Zweck der geordneten Geistes-<lb/>
gestaltung geltend machen kann; aber man muss auch diesen ge-<lb/>
wichtigeren Einfluss nicht zum leitenden Zielpunkt machen. Es<lb/>
ist vielmehr gerathen, den wirklichen Inhalt an bedeutenden und<lb/>
fruchtbaren Einsichten bei der Auswahl und Zusammenstellung<lb/>
des zu Erlernenden in entscheidender Weise maassgebend sein<lb/>
zu lassen. Ein ausdrückliches Bewusstsein über die hiemit zu-<lb/>
gleich angeeigneten Fähigkeiten zum Denken und Gestalten wird<lb/></p></div></body></text></TEI>
[61/0070]
sein, dessen Handhabung immer mit Rücksicht auf den speciell
sachlichen Zweck zu erlernen ist. Nur ein sehr kleines Theilchen
des mathematischen Feldes ist wirklich fruchtbar, sei es nun in
der allgemeinen Formung des Vorstellens und Urtheilens, oder
in der Bereitstellung von Mitteln für die Ergründung des Zu-
sammenhangs der Natur und technischer Mechanismen. Das
übrige Gebiet ist eine Wüste von speculativem Sande, innerhalb
dessen allenfalls noch ein paar Oasen das blosse Vergnügen des
Geistes ein klein wenig anfächeln. Wenn irgend ein Wissen-
schaftszweig in erster Linie und grade im Hinblick auf die
Frauenbildung einer Sichtung und Umgestaltung bedarf, so ist
es die Mathematik und zwar von ihren tiefsten Niederungen bis
zu ihren äussersten Höhen hinauf. Die verrottete Art, Mathe-
matik zu lehren oder vielmehr ungeniessbar zu machen, ist daran
schuld, dass auf den Gymnasien höchstens Einer auf Zehn seinem
Pensum leidlich gewachsen ist, während die übrigen Neun un-
willkürlich zu dem Aberglauben kommen, es gehöre zu so etwas
ein besonderer Naturberuf. Wo aber ausnahmsweise auch nur
leidlich unterrichtet wurde, war, wie ich selbst beobachtet habe,
das Gegentheil der Fall, und auch der Simpelste gelangte wenig-
stens dazu, seiner Aufgabe nothdürftig zu entsprechen. Bei einem
veränderten Lehrsystem müssten aber grade in der Mathematik
eher als in allen andern Richtungen die verlässlichsten Durch-
schnittsergebnisse gesichert werden können, weil grade diese An-
gelegenheit ihrer Natur nach eine elementar gemeinsame alles
menschlichen Vorstellens und Denkens ist.
Die rationelleren Theile der Naturwissenschaft, die sich zu-
nächst mit den Grundbeschaffenheiten alles Stoffes und mit den
Gesetzen der Bewegung materieller Theilchen beschäftigen und
in der modernen, seit Galilei immer mehr ausgebildeten Physik
ihren Ausgangspunkt haben, sind zwar von einem formell unver-
gleichlich besser bildenden Einfluss, als was man auf dem Boden
sprachlicher Uebungen für den Zweck der geordneten Geistes-
gestaltung geltend machen kann; aber man muss auch diesen ge-
wichtigeren Einfluss nicht zum leitenden Zielpunkt machen. Es
ist vielmehr gerathen, den wirklichen Inhalt an bedeutenden und
fruchtbaren Einsichten bei der Auswahl und Zusammenstellung
des zu Erlernenden in entscheidender Weise maassgebend sein
zu lassen. Ein ausdrückliches Bewusstsein über die hiemit zu-
gleich angeeigneten Fähigkeiten zum Denken und Gestalten wird
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-06-13T16:46:57Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Thomas Gloning, Melanie Henß, Hannah Glaum: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-06-13T16:46:57Z)
Internet Archive: Bereitstellung der Bilddigitalisate.
(2013-06-13T16:46:57Z)
Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/70>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.