zugleich von den Resten gesetzlicher Pflicht befreien lassen. Die- selben Aerzte, die in den gesetzgeberischen Körperschaften dafür sorgten, dass kein Verunglückter, der schleunigen Beistand braucht, auf ihre Hülfe bei Tag oder Nacht das alte herkömmliche Recht behielte, vermöge dessen der Doctor kommen und sich wohl auch aus dem Bett bemühen musste, wenn und wo er zu Hülfe gerufen war, - derlei Aerzte, unter denen manche den ökono- mischen Cynismus bis zur Forderung der Vorausbezahlung und zur Versagung des Beistandes an nicht sofort Zahlungsfähige treiben, - eben solche Aerzte sind dem Publicum mit dem Impf- zwang ins Geblüt gefahren, und man kann nicht umhin, hierin eine ganz hübsche künstliche Erweiterung der erzwungenen Nach- frage nach ihren Diensten zu sehen. Auch die Hebammen sind ihnen als ausgedehnte Concurrentinnen in der weiblichen Geburts- hülfe nicht mehr recht, und allerdings würde es eine erkleck- liche neue Besteuerung des Publicums geben, wenn letzteres einmal nur die Wahl haben sollte, die theuren Preise für die ärzt- liche Geburtshülfe zu bezahlen oder auf alle und jede Hülfe zu verzichten. Die Preissätze, welche die Aerzte der früheren staat- lichen Gebührentaxe in Preussen untergeschoben haben, mögen zwar ganz gut zu den Bedürfnissen des grossstädtischen ärzt- lichen Comforts passen, sind aber sehr wenig geeignet, die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage nach solchen theuren Diensten zu vermindern. Die wachsende Monopolsucht ist zum Theil eine Folge dieses Missverhältnisses und steht daher nur scheinbar mit der Gewerbefreiheit in Widerspruch. In Wahrheit befindet sich der Berufsstand der Aerzte in einer ökonomischen und gesell- schaftlichen Krisis, die von der Halbheit seiner Lage herrührt und auch die gesteigerte Feindseligkeit gegen weibliche Con- currenz einigermaassen erklärt.
Die medicinische Thätigkeit ist im Bereich der preussisch - deutschen Gesetzgebung oder, um es amtlicher auszudrücken, innerhalb des Reichsgebiets, insoweit ein freies, von allen Voraus- setzungen unabhängiges Gewerbe geworden, als nicht der Titel Arzt oder irgend eine solche Bezeichnung als Aushängeschild gebraucht wird, die bei dem Publicum den Glauben erwecken würde, dass sich Jemand als staatlich geprüfter Praktiker an- kündige. Uebrigens mag Jedermann und zufolge des Fehlens einer gesetzgeberischen Beschränkung auch jede Frau die Heilpraxis ausüben. Dies ist wenigstens das Princip und auch schon in
zugleich von den Resten gesetzlicher Pflicht befreien lassen. Die- selben Aerzte, die in den gesetzgeberischen Körperschaften dafür sorgten, dass kein Verunglückter, der schleunigen Beistand braucht, auf ihre Hülfe bei Tag oder Nacht das alte herkömmliche Recht behielte, vermöge dessen der Doctor kommen und sich wohl auch aus dem Bett bemühen musste, wenn und wo er zu Hülfe gerufen war, – derlei Aerzte, unter denen manche den ökono- mischen Cynismus bis zur Forderung der Vorausbezahlung und zur Versagung des Beistandes an nicht sofort Zahlungsfähige treiben, – eben solche Aerzte sind dem Publicum mit dem Impf- zwang ins Geblüt gefahren, und man kann nicht umhin, hierin eine ganz hübsche künstliche Erweiterung der erzwungenen Nach- frage nach ihren Diensten zu sehen. Auch die Hebammen sind ihnen als ausgedehnte Concurrentinnen in der weiblichen Geburts- hülfe nicht mehr recht, und allerdings würde es eine erkleck- liche neue Besteuerung des Publicums geben, wenn letzteres einmal nur die Wahl haben sollte, die theuren Preise für die ärzt- liche Geburtshülfe zu bezahlen oder auf alle und jede Hülfe zu verzichten. Die Preissätze, welche die Aerzte der früheren staat- lichen Gebührentaxe in Preussen untergeschoben haben, mögen zwar ganz gut zu den Bedürfnissen des grossstädtischen ärzt- lichen Comforts passen, sind aber sehr wenig geeignet, die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage nach solchen theuren Diensten zu vermindern. Die wachsende Monopolsucht ist zum Theil eine Folge dieses Missverhältnisses und steht daher nur scheinbar mit der Gewerbefreiheit in Widerspruch. In Wahrheit befindet sich der Berufsstand der Aerzte in einer ökonomischen und gesell- schaftlichen Krisis, die von der Halbheit seiner Lage herrührt und auch die gesteigerte Feindseligkeit gegen weibliche Con- currenz einigermaassen erklärt.
Die medicinische Thätigkeit ist im Bereich der preussisch - deutschen Gesetzgebung oder, um es amtlicher auszudrücken, innerhalb des Reichsgebiets, insoweit ein freies, von allen Voraus- setzungen unabhängiges Gewerbe geworden, als nicht der Titel Arzt oder irgend eine solche Bezeichnung als Aushängeschild gebraucht wird, die bei dem Publicum den Glauben erwecken würde, dass sich Jemand als staatlich geprüfter Praktiker an- kündige. Uebrigens mag Jedermann und zufolge des Fehlens einer gesetzgeberischen Beschränkung auch jede Frau die Heilpraxis ausüben. Dies ist wenigstens das Princip und auch schon in
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zugleich von den Resten gesetzlicher Pflicht befreien lassen. Die-
selben Aerzte, die in den gesetzgeberischen Körperschaften dafür
sorgten, dass kein Verunglückter, der schleunigen Beistand braucht,
auf ihre Hülfe bei Tag oder Nacht das alte herkömmliche Recht
behielte, vermöge dessen der Doctor kommen und sich wohl
auch aus dem Bett bemühen musste, wenn und wo er zu Hülfe
gerufen war, – derlei Aerzte, unter denen manche den ökono-
mischen Cynismus bis zur Forderung der Vorausbezahlung und
zur Versagung des Beistandes an nicht sofort Zahlungsfähige
treiben, – eben solche Aerzte sind dem Publicum mit dem Impf-
zwang ins Geblüt gefahren, und man kann nicht umhin, hierin
eine ganz hübsche künstliche Erweiterung der erzwungenen Nach-
frage nach ihren Diensten zu sehen. Auch die Hebammen sind
ihnen als ausgedehnte Concurrentinnen in der weiblichen Geburts-
hülfe nicht mehr recht, und allerdings würde es eine erkleck-
liche neue Besteuerung des Publicums geben, wenn letzteres
einmal nur die Wahl haben sollte, die theuren Preise für die ärzt-
liche Geburtshülfe zu bezahlen oder auf alle und jede Hülfe zu
verzichten. Die Preissätze, welche die Aerzte der früheren staat-
lichen Gebührentaxe in Preussen untergeschoben haben, mögen
zwar ganz gut zu den Bedürfnissen des grossstädtischen ärzt-
lichen Comforts passen, sind aber sehr wenig geeignet, die Kluft
zwischen Angebot und Nachfrage nach solchen theuren Diensten
zu vermindern. Die wachsende Monopolsucht ist zum Theil eine
Folge dieses Missverhältnisses und steht daher nur scheinbar mit
der Gewerbefreiheit in Widerspruch. In Wahrheit befindet sich
der Berufsstand der Aerzte in einer ökonomischen und gesell-
schaftlichen Krisis, die von der Halbheit seiner Lage herrührt
und auch die gesteigerte Feindseligkeit gegen weibliche Con-
currenz einigermaassen erklärt.
Die medicinische Thätigkeit ist im Bereich der preussisch -
deutschen Gesetzgebung oder, um es amtlicher auszudrücken,
innerhalb des Reichsgebiets, insoweit ein freies, von allen Voraus-
setzungen unabhängiges Gewerbe geworden, als nicht der Titel
Arzt oder irgend eine solche Bezeichnung als Aushängeschild
gebraucht wird, die bei dem Publicum den Glauben erwecken
würde, dass sich Jemand als staatlich geprüfter Praktiker an-
kündige. Uebrigens mag Jedermann und zufolge des Fehlens einer
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Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-06-13T16:46:57Z)
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Thomas Gloning, Melanie Henß, Hannah Glaum: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-06-13T16:46:57Z)
Internet Archive: Bereitstellung der Bilddigitalisate.
(2013-06-13T16:46:57Z)
Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/25>, abgerufen am 22.07.2024.
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