der physikalische Forscher oft selbst erst ähnliche Mittel, indem er z. B. von Spectralerscheinungen erst Photographien entwirft, um jene dann an diesen, also erst mittelbar auf dem Papier, zu untersuchen.
Der grosse Vortheil des Genügens blosser, aber guter Bücher- verkörperungen des experimentellen Naturwissens leuchtet ein. Die Erfahrungswissenschaft reiht sich auf diese Weise nachbarlich an die Mathematik an, und für das ganze Bereich der Bildungs- wissenschaft kann mit Lettern und Abbildungen bedrucktes Pa- pier an die Stelle der Schulen treten, deren Rolle hienach natur- gemäss weniger auf das Lernen selbst, als auf das Ueben des Selbsterlernten sich erstrecken sollte. Zur Einübung von Fertig- keiten ist eher ein persönlicher Lehrer nöthig, als zu der blossen An- eignung von Wissensstoff; jedoch auch hier ist die Mathematik bereits ein schönes Beispiel, dass auch in der selbstthätigen Anstellung von Uebungen die Emancipation vom persönlichen Lehrer- thum sogleich mit dem Abc der Wissenschaft, d. h. mit dem ersten und elementarsten Rechnen, beginnen könne.
Ist das Studium durch blosse Buchhülfen möglich, so ent- scheidet nicht mehr die Beschaffenheit der Lehranstalten oder der ausnahmsweise zu habenden Privatlehrer, sondern einzig und allein die Literatur. Wie ungenügend sich auch letztere ge- stalten möge, so ist sie doch immer eine etwas freiere Sphäre, die sich nicht absperren und in der auch die Concurrenz unabhängiger Geister nicht ganz unterdrückt werden kann. Das weibliche Geschlecht hat noch ganz besondere Ursache, diesen Umstand im Auge zu behalten; denn Angesichts der Hindernisse, die sich ihm aus dem alten Regime sogar gegen eine blos geistige Emanci- pation aufthürmen, bleibt der Zugang zu den Büchern der nächste Ansatzpunkt, bei welchem die geflissentliche Geistesbevormundung aus den Angeln zu heben ist. Auch wo die Sitte sich entgegen- stemmt oder im persönlichen Verkehr noch wirklich berechtigte Anstandsrücksichten die freiere Bewegung einschränken, da ist der Verkehr mit Büchern eine sicherlich unschuldige Zuflucht und noch dazu eine solche, die thatsächlich nicht leicht gänzlich ver- wehrt werden kann.
Leider schmeckt nun freilich die Bücherwelt einigermaassen nach den Personen, die auch hier, wenn auch nur indirect vermöge des Einflusses ihrer Aemter auf den Absatz, das Monopol haben und den Markt mit ihrer scholastischen Waare über-
der physikalische Forscher oft selbst erst ähnliche Mittel, indem er z. B. von Spectralerscheinungen erst Photographien entwirft, um jene dann an diesen, also erst mittelbar auf dem Papier, zu untersuchen.
Der grosse Vortheil des Genügens blosser, aber guter Bücher- verkörperungen des experimentellen Naturwissens leuchtet ein. Die Erfahrungswissenschaft reiht sich auf diese Weise nachbarlich an die Mathematik an, und für das ganze Bereich der Bildungs- wissenschaft kann mit Lettern und Abbildungen bedrucktes Pa- pier an die Stelle der Schulen treten, deren Rolle hienach natur- gemäss weniger auf das Lernen selbst, als auf das Ueben des Selbsterlernten sich erstrecken sollte. Zur Einübung von Fertig- keiten ist eher ein persönlicher Lehrer nöthig, als zu der blossen An- eignung von Wissensstoff; jedoch auch hier ist die Mathematik bereits ein schönes Beispiel, dass auch in der selbstthätigen Anstellung von Uebungen die Emancipation vom persönlichen Lehrer- thum sogleich mit dem Abc der Wissenschaft, d. h. mit dem ersten und elementarsten Rechnen, beginnen könne.
Ist das Studium durch blosse Buchhülfen möglich, so ent- scheidet nicht mehr die Beschaffenheit der Lehranstalten oder der ausnahmsweise zu habenden Privatlehrer, sondern einzig und allein die Literatur. Wie ungenügend sich auch letztere ge- stalten möge, so ist sie doch immer eine etwas freiere Sphäre, die sich nicht absperren und in der auch die Concurrenz unabhängiger Geister nicht ganz unterdrückt werden kann. Das weibliche Geschlecht hat noch ganz besondere Ursache, diesen Umstand im Auge zu behalten; denn Angesichts der Hindernisse, die sich ihm aus dem alten Regime sogar gegen eine blos geistige Emanci- pation aufthürmen, bleibt der Zugang zu den Büchern der nächste Ansatzpunkt, bei welchem die geflissentliche Geistesbevormundung aus den Angeln zu heben ist. Auch wo die Sitte sich entgegen- stemmt oder im persönlichen Verkehr noch wirklich berechtigte Anstandsrücksichten die freiere Bewegung einschränken, da ist der Verkehr mit Büchern eine sicherlich unschuldige Zuflucht und noch dazu eine solche, die thatsächlich nicht leicht gänzlich ver- wehrt werden kann.
Leider schmeckt nun freilich die Bücherwelt einigermaassen nach den Personen, die auch hier, wenn auch nur indirect vermöge des Einflusses ihrer Aemter auf den Absatz, das Monopol haben und den Markt mit ihrer scholastischen Waare über-
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der physikalische Forscher oft selbst erst ähnliche Mittel, indem
er z. B. von Spectralerscheinungen erst Photographien entwirft,
um jene dann an diesen, also erst mittelbar auf dem Papier, zu
untersuchen.
Der grosse Vortheil des Genügens blosser, aber guter Bücher-
verkörperungen des experimentellen Naturwissens leuchtet ein.
Die Erfahrungswissenschaft reiht sich auf diese Weise nachbarlich
an die Mathematik an, und für das ganze Bereich der Bildungs-
wissenschaft kann mit Lettern und Abbildungen bedrucktes Pa-
pier an die Stelle der Schulen treten, deren Rolle hienach natur-
gemäss weniger auf das Lernen selbst, als auf das Ueben des
Selbsterlernten sich erstrecken sollte. Zur Einübung von Fertig-
keiten ist eher ein persönlicher Lehrer nöthig, als zu der blossen An-
eignung von Wissensstoff; jedoch auch hier ist die Mathematik
bereits ein schönes Beispiel, dass auch in der selbstthätigen
Anstellung von Uebungen die Emancipation vom persönlichen Lehrer-
thum sogleich mit dem Abc der Wissenschaft, d. h. mit dem ersten
und elementarsten Rechnen, beginnen könne.
Ist das Studium durch blosse Buchhülfen möglich, so ent-
scheidet nicht mehr die Beschaffenheit der Lehranstalten oder
der ausnahmsweise zu habenden Privatlehrer, sondern einzig und
allein die Literatur. Wie ungenügend sich auch letztere ge-
stalten möge, so ist sie doch immer eine etwas freiere Sphäre, die sich
nicht absperren und in der auch die Concurrenz unabhängiger
Geister nicht ganz unterdrückt werden kann. Das weibliche
Geschlecht hat noch ganz besondere Ursache, diesen Umstand im
Auge zu behalten; denn Angesichts der Hindernisse, die sich ihm
aus dem alten Regime sogar gegen eine blos geistige Emanci-
pation aufthürmen, bleibt der Zugang zu den Büchern der nächste
Ansatzpunkt, bei welchem die geflissentliche Geistesbevormundung
aus den Angeln zu heben ist. Auch wo die Sitte sich entgegen-
stemmt oder im persönlichen Verkehr noch wirklich berechtigte
Anstandsrücksichten die freiere Bewegung einschränken, da ist
der Verkehr mit Büchern eine sicherlich unschuldige Zuflucht
und noch dazu eine solche, die thatsächlich nicht leicht gänzlich ver-
wehrt werden kann.
Leider schmeckt nun freilich die Bücherwelt einigermaassen
nach den Personen, die auch hier, wenn auch nur indirect
vermöge des Einflusses ihrer Aemter auf den Absatz, das Monopol
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
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Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-06-13T16:46:57Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Thomas Gloning, Melanie Henß, Hannah Glaum: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-06-13T16:46:57Z)
Internet Archive: Bereitstellung der Bilddigitalisate.
(2013-06-13T16:46:57Z)
Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/102>, abgerufen am 22.07.2024.
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