Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

so weit erhabene Geist würde in diesem Punkte nicht
klüger sein als wir, und daran erkennen wir verzweifelnd,
dass wir hier an der einen Grenze unseres Witzes
stehen.

Sehen wir aber von dieser ursprünglichen Schranke
ab, setzen wir Materie und Kraft als gegeben und be¬
kannt voraus, so ist in der Idee, wie gesagt, die Kör¬
perwelt verständlich. Von dem Urzustand eines kreisen¬
den Nebelballes führt die von Hrn. Helmholtz an der
Hand der mechanischen Wärmetheorie weiter entwickelte
Kant'sche Hypothese6 zur Einsicht in die Entstehung
unseres Planetensystems. Schon sehen wir unsere Erde
als feurig flüssigen Tropfen mit einer Atmosphäre unfass¬
barer Beschaffenheit in ihrer Bahn rollen. Wir sehen
sie im Lauf unermesslieher Zeiträume mit einer Schale
erstarrenden Urgesteines sich umgeben, Meer und
Veste sich scheiden, den Granit durch heisse koh¬
lensaure Wolkenbrüche zerfressen das Material zu
kalihaltigen Erdschichten liefern, und schliesslich Bedin¬
gungen entstehen, unter denen Leben möglich ward.

Wo und in welcher Form es zuerst erschien, ob
auf tiefem Meeresboden als Bathybius- Urschleim, oder
unter Mitwirkung der noch mehr ultraviolette Strahlen
entsendenden Sonne bei noch höherem partiärem Drucke
der Kohlensäure in der Atmosphäre, wer sagt es je?
Aber der von Laplace gedachte Geist im Besitze der

so weit erhabene Geist würde in diesem Punkte nicht
klüger sein als wir, und daran erkennen wir verzweifelnd,
dass wir hier an der einen Grenze unseres Witzes
stehen.

Sehen wir aber von dieser ursprünglichen Schranke
ab, setzen wir Materie und Kraft als gegeben und be¬
kannt voraus, so ist in der Idee, wie gesagt, die Kör¬
perwelt verständlich. Von dem Urzustand eines kreisen¬
den Nebelballes führt die von Hrn. Helmholtz an der
Hand der mechanischen Wärmetheorie weiter entwickelte
Kant'sche Hypothese6 zur Einsicht in die Entstehung
unseres Planetensystems. Schon sehen wir unsere Erde
als feurig flüssigen Tropfen mit einer Atmosphäre unfass¬
barer Beschaffenheit in ihrer Bahn rollen. Wir sehen
sie im Lauf unermesslieher Zeiträume mit einer Schale
erstarrenden Urgesteines sich umgeben, Meer und
Veste sich scheiden, den Granit durch heisse koh¬
lensaure Wolkenbrüche zerfressen das Material zu
kalihaltigen Erdschichten liefern, und schliesslich Bedin¬
gungen entstehen, unter denen Leben möglich ward.

Wo und in welcher Form es zuerst erschien, ob
auf tiefem Meeresboden als Bathybius- Urschleim, oder
unter Mitwirkung der noch mehr ultraviolette Strahlen
entsendenden Sonne bei noch höherem partiärem Drucke
der Kohlensäure in der Atmosphäre, wer sagt es je?
Aber der von Laplace gedachte Geist im Besitze der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0021" n="13"/>
so weit erhabene Geist würde in diesem Punkte nicht<lb/>
klüger sein als wir, und daran erkennen wir verzweifelnd,<lb/>
dass wir hier an der einen Grenze unseres Witzes<lb/>
stehen.</p><lb/>
        <p>Sehen wir aber von dieser ursprünglichen Schranke<lb/>
ab, setzen wir Materie und Kraft als gegeben und be¬<lb/>
kannt voraus, so ist in der Idee, wie gesagt, die Kör¬<lb/>
perwelt verständlich. Von dem Urzustand eines kreisen¬<lb/>
den Nebelballes führt die von Hrn. <hi rendition="#k">Helmholtz</hi> an der<lb/>
Hand der mechanischen Wärmetheorie weiter entwickelte<lb/><hi rendition="#k">Kant</hi>'sche Hypothese<note xml:id="n-6" next="#n-6t" place="end" n="6"/> zur Einsicht in die Entstehung<lb/>
unseres Planetensystems. Schon sehen wir unsere Erde<lb/>
als feurig flüssigen Tropfen mit einer Atmosphäre unfass¬<lb/>
barer Beschaffenheit in ihrer Bahn rollen. Wir sehen<lb/>
sie im Lauf unermesslieher Zeiträume mit einer Schale<lb/>
erstarrenden Urgesteines sich umgeben, Meer und<lb/>
Veste sich scheiden, den Granit durch heisse koh¬<lb/>
lensaure Wolkenbrüche zerfressen das Material zu<lb/>
kalihaltigen Erdschichten liefern, und schliesslich Bedin¬<lb/>
gungen entstehen, unter denen <hi rendition="#g">Leben</hi> möglich ward.</p><lb/>
        <p>Wo und in welcher Form es zuerst erschien, ob<lb/>
auf tiefem Meeresboden als Bathybius- Urschleim, oder<lb/>
unter Mitwirkung der noch mehr ultraviolette Strahlen<lb/>
entsendenden Sonne bei noch höherem partiärem Drucke<lb/>
der Kohlensäure in der Atmosphäre, wer sagt es je?<lb/>
Aber der von <hi rendition="#k">Laplace</hi> gedachte Geist im Besitze der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0021] so weit erhabene Geist würde in diesem Punkte nicht klüger sein als wir, und daran erkennen wir verzweifelnd, dass wir hier an der einen Grenze unseres Witzes stehen. Sehen wir aber von dieser ursprünglichen Schranke ab, setzen wir Materie und Kraft als gegeben und be¬ kannt voraus, so ist in der Idee, wie gesagt, die Kör¬ perwelt verständlich. Von dem Urzustand eines kreisen¬ den Nebelballes führt die von Hrn. Helmholtz an der Hand der mechanischen Wärmetheorie weiter entwickelte Kant'sche Hypothese ⁶ zur Einsicht in die Entstehung unseres Planetensystems. Schon sehen wir unsere Erde als feurig flüssigen Tropfen mit einer Atmosphäre unfass¬ barer Beschaffenheit in ihrer Bahn rollen. Wir sehen sie im Lauf unermesslieher Zeiträume mit einer Schale erstarrenden Urgesteines sich umgeben, Meer und Veste sich scheiden, den Granit durch heisse koh¬ lensaure Wolkenbrüche zerfressen das Material zu kalihaltigen Erdschichten liefern, und schliesslich Bedin¬ gungen entstehen, unter denen Leben möglich ward. Wo und in welcher Form es zuerst erschien, ob auf tiefem Meeresboden als Bathybius- Urschleim, oder unter Mitwirkung der noch mehr ultraviolette Strahlen entsendenden Sonne bei noch höherem partiärem Drucke der Kohlensäure in der Atmosphäre, wer sagt es je? Aber der von Laplace gedachte Geist im Besitze der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dubois_naturerkennen_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dubois_naturerkennen_1872/21
Zitationshilfe: Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dubois_naturerkennen_1872/21>, abgerufen am 20.04.2024.