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Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

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nichts Anderes dar, als ein "Herausarbeiten des Lichtes aus
dem Dunkel, der Ordnung aus dem Chaos, als ein Ueber-
winden von Noth und Knechtschaftsbanden, um zur Freiheit,
zum Wohlsein zu erstehen. Es ist ein Lichtgestaltungs-
proceß,
an dem Alle betheiligt sind, aus dem Keiner, mag
er seine Stellung wählen, (soweit von Wahl die Rede sein
kann) wie er will, ausweichen kann, nur daß der Betheili-
gungstheil des Einzelnen activ oder passiv sich gestalten kann.
Das Geschick der Menschheit stellt sich unter dem Bilde eines
Menschen dar, der unter Ungemach und Drangsal aller Art,
für dessen Ueberwindung aber seine Kraft ausreicht, dem
entgegenarbeitet, -- Licht, Freiheit, Schönheit -- dem alle
seine Pulse entgegenschlagen. Und in diesem Geschick eines
siegreichen Kämpfens und Ueberwindens liegt jedenfalls an
sich nichts, was den Character des Hehren aufzuheben
vermöchte."

Es genügt aber nicht, dieses zu wissen, es muß auch
gefühlt werden. Jndem wir den Gedanken des Welt-
fortschritts affektiv erfassen, uns demselben hingeben, eine
Sammlung, die uns wenigstens für Momente gelingt, erhebeu
wir uns zugleich über die Erde, erheben uns über unsere
Jndividualität und über ihre Beziehungen zu uns, also auch
über das Mitleid, ja, so weit dies möglich ist, über das eigne
Leid und Weh. Durch das Vertrauen in den Fortschritt im
Weltproceß oder den Optimismus im wissenschaftlichen Sinne
des Wortes überwinden wir die Gefahr "durch die Wirkung
des Erdenleids auf unser Empfinden, den hehren Character
des Weltengeheimnisses und damit die Religiosität, das
ästhetisch-religiöse Empfinden, einzubüßen." Der Verfasser
hat somit, worauf es ihm ja ankam, eine Brücke geschlagen
von dem bloßen Begreifen des Weltübels, als Moment
eines Entwicklungsprocesses im Sinne des Optimismus, zu
der ästhetischen Gefühlsseite des Menschen. Der Mensch wird

nichts Anderes dar, als ein „Herausarbeiten des Lichtes aus
dem Dunkel, der Ordnung aus dem Chaos, als ein Ueber-
winden von Noth und Knechtſchaftsbanden, um zur Freiheit,
zum Wohlſein zu erſtehen. Es iſt ein Lichtgeſtaltungs-
proceß,
an dem Alle betheiligt ſind, aus dem Keiner, mag
er ſeine Stellung wählen, (ſoweit von Wahl die Rede ſein
kann) wie er will, ausweichen kann, nur daß der Betheili-
gungstheil des Einzelnen activ oder paſſiv ſich geſtalten kann.
Das Geſchick der Menſchheit ſtellt ſich unter dem Bilde eines
Menſchen dar, der unter Ungemach und Drangſal aller Art,
für deſſen Ueberwindung aber ſeine Kraft ausreicht, dem
entgegenarbeitet, — Licht, Freiheit, Schönheit — dem alle
ſeine Pulſe entgegenſchlagen. Und in dieſem Geſchick eines
ſiegreichen Kämpfens und Ueberwindens liegt jedenfalls an
ſich nichts, was den Character des Hehren aufzuheben
vermöchte.“

Es genügt aber nicht, dieſes zu wiſſen, es muß auch
gefühlt werden. Jndem wir den Gedanken des Welt-
fortſchritts affektiv erfaſſen, uns demſelben hingeben, eine
Sammlung, die uns wenigſtens für Momente gelingt, erhebeu
wir uns zugleich über die Erde, erheben uns über unſere
Jndividualität und über ihre Beziehungen zu uns, alſo auch
über das Mitleid, ja, ſo weit dies möglich iſt, über das eigne
Leid und Weh. Durch das Vertrauen in den Fortſchritt im
Weltproceß oder den Optimismus im wiſſenſchaftlichen Sinne
des Wortes überwinden wir die Gefahr „durch die Wirkung
des Erdenleids auf unſer Empfinden, den hehren Character
des Weltengeheimniſſes und damit die Religioſität, das
äſthetiſch-religiöſe Empfinden, einzubüßen.“ Der Verfaſſer
hat ſomit, worauf es ihm ja ankam, eine Brücke geſchlagen
von dem bloßen Begreifen des Weltübels, als Moment
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[64/0073] nichts Anderes dar, als ein „Herausarbeiten des Lichtes aus dem Dunkel, der Ordnung aus dem Chaos, als ein Ueber- winden von Noth und Knechtſchaftsbanden, um zur Freiheit, zum Wohlſein zu erſtehen. Es iſt ein Lichtgeſtaltungs- proceß, an dem Alle betheiligt ſind, aus dem Keiner, mag er ſeine Stellung wählen, (ſoweit von Wahl die Rede ſein kann) wie er will, ausweichen kann, nur daß der Betheili- gungstheil des Einzelnen activ oder paſſiv ſich geſtalten kann. Das Geſchick der Menſchheit ſtellt ſich unter dem Bilde eines Menſchen dar, der unter Ungemach und Drangſal aller Art, für deſſen Ueberwindung aber ſeine Kraft ausreicht, dem entgegenarbeitet, — Licht, Freiheit, Schönheit — dem alle ſeine Pulſe entgegenſchlagen. Und in dieſem Geſchick eines ſiegreichen Kämpfens und Ueberwindens liegt jedenfalls an ſich nichts, was den Character des Hehren aufzuheben vermöchte.“ Es genügt aber nicht, dieſes zu wiſſen, es muß auch gefühlt werden. Jndem wir den Gedanken des Welt- fortſchritts affektiv erfaſſen, uns demſelben hingeben, eine Sammlung, die uns wenigſtens für Momente gelingt, erhebeu wir uns zugleich über die Erde, erheben uns über unſere Jndividualität und über ihre Beziehungen zu uns, alſo auch über das Mitleid, ja, ſo weit dies möglich iſt, über das eigne Leid und Weh. Durch das Vertrauen in den Fortſchritt im Weltproceß oder den Optimismus im wiſſenſchaftlichen Sinne des Wortes überwinden wir die Gefahr „durch die Wirkung des Erdenleids auf unſer Empfinden, den hehren Character des Weltengeheimniſſes und damit die Religioſität, das äſthetiſch-religiöſe Empfinden, einzubüßen.“ Der Verfaſſer hat ſomit, worauf es ihm ja ankam, eine Brücke geſchlagen von dem bloßen Begreifen des Weltübels, als Moment eines Entwicklungsproceſſes im Sinne des Optimismus, zu der äſthetiſchen Gefühlsſeite des Menſchen. Der Menſch wird

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Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/73>, abgerufen am 22.11.2024.