Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite

paradoxen Titeln "Menschliches Allzumenschliches", "der Wan-
derer und sein Schatten", "Morgenröthe" und "die fröhliche
Wissenschaft" herausgegeben hat, und in denen er, Gedanken
von verschiedenstem Gewichte und Werthe meist ganz un-
methodisch aneinanderreihend, fast alle wichtigeren Fragen
berührt. Es ist in der That außerordentlich viel Geist in
diesen Werken niedergelegt. Welchen Werth aber haben
speziell die philosophischen Gedanken, die der Verfasser uns
darin bietet? Da ist vor Allem zu bemerken, daß Nietzsche
kaum ein Problem eingehend behandelt hat. Er gefällt sich
darin, wo andere gearbeitet haben, in Winken und Andeu-
tungen und geistreichen Bildern sich zu ergehen, er gesällt sich
überhaupt mehr in der Rolle eines wissenschaftlichen Auf-
gabenstellers, als eines wissenschaftlichen Arbeiters. Jst er
dazu berechtigt? Nach unserem Dafürhalten scheint seine
Stärke doch hauptsächlich auf einem genialen Reproduktions-
vermögen zu beruhen. Er besitzt die Ueberlegenheit des
Ausdrucks und der Form, und in der That hat er durch
manches treffende Wort, durch manche neue Bezeichnung,
durch manches glückliche Bild Resultate der Forschung und
Spekulation in einer neuen Beleuchtung gezeigt, wodurch er
freilich oft zu einer Stellungnahme den eigentlichen Urhebern
dieser Gedanken gegenüber gelangt, welche die Bescheidenheit
vermissen läßt.

Daß es in seinen Werken aber auch nirgends an origi-
nellen Gedanken, an seinen psychologischen Analysen und ge-
nialen Lichtblitzen sehlt, kann nicht geleugnet werden. Jm
Allgemeinen läßt sich von seinen philosophischen Reflexionen
sagen, daß die Behandlung der Probleme nicht mit ihrer Wich-
tigkeit harmonirt, daß Aussprüche ächter Weisheit mit nutz-
losen Klügeleien und bedenklichen Sophistereien, Proben ächten
Scharfsinnes mit Paradoxien und mitunter recht bedauerlichen
Mißgriffen wechseln, und daß sich der Verfasser fast in jedem

paradoxen Titeln „Menſchliches Allzumenſchliches“, „der Wan-
derer und ſein Schatten“, „Morgenröthe“ und „die fröhliche
Wiſſenſchaft“ herausgegeben hat, und in denen er, Gedanken
von verſchiedenſtem Gewichte und Werthe meiſt ganz un-
methodiſch aneinanderreihend, faſt alle wichtigeren Fragen
berührt. Es iſt in der That außerordentlich viel Geiſt in
dieſen Werken niedergelegt. Welchen Werth aber haben
ſpeziell die philoſophiſchen Gedanken, die der Verfaſſer uns
darin bietet? Da iſt vor Allem zu bemerken, daß Nietzſche
kaum ein Problem eingehend behandelt hat. Er gefällt ſich
darin, wo andere gearbeitet haben, in Winken und Andeu-
tungen und geiſtreichen Bildern ſich zu ergehen, er geſällt ſich
überhaupt mehr in der Rolle eines wiſſenſchaftlichen Auf-
gabenſtellers, als eines wiſſenſchaftlichen Arbeiters. Jſt er
dazu berechtigt? Nach unſerem Dafürhalten ſcheint ſeine
Stärke doch hauptſächlich auf einem genialen Reproduktions-
vermögen zu beruhen. Er beſitzt die Ueberlegenheit des
Ausdrucks und der Form, und in der That hat er durch
manches treffende Wort, durch manche neue Bezeichnung,
durch manches glückliche Bild Reſultate der Forſchung und
Spekulation in einer neuen Beleuchtung gezeigt, wodurch er
freilich oft zu einer Stellungnahme den eigentlichen Urhebern
dieſer Gedanken gegenüber gelangt, welche die Beſcheidenheit
vermiſſen läßt.

Daß es in ſeinen Werken aber auch nirgends an origi-
nellen Gedanken, an ſeinen pſychologiſchen Analyſen und ge-
nialen Lichtblitzen ſehlt, kann nicht geleugnet werden. Jm
Allgemeinen läßt ſich von ſeinen philoſophiſchen Reflexionen
ſagen, daß die Behandlung der Probleme nicht mit ihrer Wich-
tigkeit harmonirt, daß Ausſprüche ächter Weisheit mit nutz-
loſen Klügeleien und bedenklichen Sophiſtereien, Proben ächten
Scharfſinnes mit Paradoxien und mitunter recht bedauerlichen
Mißgriffen wechſeln, und daß ſich der Verfaſſer faſt in jedem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0056" n="47"/>
paradoxen Titeln &#x201E;Men&#x017F;chliches Allzumen&#x017F;chliches&#x201C;, &#x201E;der Wan-<lb/>
derer und &#x017F;ein Schatten&#x201C;, &#x201E;Morgenröthe&#x201C; und &#x201E;die fröhliche<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft&#x201C; herausgegeben hat, und in denen er, Gedanken<lb/>
von ver&#x017F;chieden&#x017F;tem Gewichte und Werthe mei&#x017F;t ganz un-<lb/>
methodi&#x017F;ch aneinanderreihend, fa&#x017F;t alle wichtigeren Fragen<lb/>
berührt. Es i&#x017F;t in der That außerordentlich viel Gei&#x017F;t in<lb/>
die&#x017F;en Werken niedergelegt. Welchen Werth aber haben<lb/>
&#x017F;peziell die philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Gedanken, die der Verfa&#x017F;&#x017F;er uns<lb/>
darin bietet? Da i&#x017F;t vor Allem zu bemerken, daß Nietz&#x017F;che<lb/>
kaum ein Problem eingehend behandelt hat. Er gefällt &#x017F;ich<lb/>
darin, wo andere gearbeitet haben, in Winken und Andeu-<lb/>
tungen und gei&#x017F;treichen Bildern &#x017F;ich zu ergehen, er ge&#x017F;ällt &#x017F;ich<lb/>
überhaupt mehr in der Rolle eines wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Auf-<lb/>
gaben&#x017F;tellers, als eines wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Arbeiters. J&#x017F;t er<lb/>
dazu berechtigt? Nach un&#x017F;erem Dafürhalten &#x017F;cheint &#x017F;eine<lb/>
Stärke doch haupt&#x017F;ächlich auf einem genialen Reproduktions-<lb/>
vermögen zu beruhen. Er be&#x017F;itzt die Ueberlegenheit des<lb/>
Ausdrucks und der Form, und in der That hat er durch<lb/>
manches treffende Wort, durch manche neue Bezeichnung,<lb/>
durch manches glückliche Bild Re&#x017F;ultate der For&#x017F;chung und<lb/>
Spekulation in einer neuen Beleuchtung gezeigt, wodurch er<lb/>
freilich oft zu einer Stellungnahme den eigentlichen Urhebern<lb/>
die&#x017F;er Gedanken gegenüber gelangt, welche die Be&#x017F;cheidenheit<lb/>
vermi&#x017F;&#x017F;en läßt.</p><lb/>
        <p>Daß es in &#x017F;einen Werken aber auch nirgends an origi-<lb/>
nellen Gedanken, an &#x017F;einen p&#x017F;ychologi&#x017F;chen Analy&#x017F;en und ge-<lb/>
nialen Lichtblitzen &#x017F;ehlt, kann nicht geleugnet werden. Jm<lb/>
Allgemeinen läßt &#x017F;ich von &#x017F;einen philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Reflexionen<lb/>
&#x017F;agen, daß die Behandlung der Probleme nicht mit ihrer Wich-<lb/>
tigkeit harmonirt, daß Aus&#x017F;prüche ächter Weisheit mit nutz-<lb/>
lo&#x017F;en Klügeleien und bedenklichen Sophi&#x017F;tereien, Proben ächten<lb/>
Scharf&#x017F;innes mit Paradoxien und mitunter recht bedauerlichen<lb/>
Mißgriffen wech&#x017F;eln, und daß &#x017F;ich der Verfa&#x017F;&#x017F;er fa&#x017F;t in jedem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0056] paradoxen Titeln „Menſchliches Allzumenſchliches“, „der Wan- derer und ſein Schatten“, „Morgenröthe“ und „die fröhliche Wiſſenſchaft“ herausgegeben hat, und in denen er, Gedanken von verſchiedenſtem Gewichte und Werthe meiſt ganz un- methodiſch aneinanderreihend, faſt alle wichtigeren Fragen berührt. Es iſt in der That außerordentlich viel Geiſt in dieſen Werken niedergelegt. Welchen Werth aber haben ſpeziell die philoſophiſchen Gedanken, die der Verfaſſer uns darin bietet? Da iſt vor Allem zu bemerken, daß Nietzſche kaum ein Problem eingehend behandelt hat. Er gefällt ſich darin, wo andere gearbeitet haben, in Winken und Andeu- tungen und geiſtreichen Bildern ſich zu ergehen, er geſällt ſich überhaupt mehr in der Rolle eines wiſſenſchaftlichen Auf- gabenſtellers, als eines wiſſenſchaftlichen Arbeiters. Jſt er dazu berechtigt? Nach unſerem Dafürhalten ſcheint ſeine Stärke doch hauptſächlich auf einem genialen Reproduktions- vermögen zu beruhen. Er beſitzt die Ueberlegenheit des Ausdrucks und der Form, und in der That hat er durch manches treffende Wort, durch manche neue Bezeichnung, durch manches glückliche Bild Reſultate der Forſchung und Spekulation in einer neuen Beleuchtung gezeigt, wodurch er freilich oft zu einer Stellungnahme den eigentlichen Urhebern dieſer Gedanken gegenüber gelangt, welche die Beſcheidenheit vermiſſen läßt. Daß es in ſeinen Werken aber auch nirgends an origi- nellen Gedanken, an ſeinen pſychologiſchen Analyſen und ge- nialen Lichtblitzen ſehlt, kann nicht geleugnet werden. Jm Allgemeinen läßt ſich von ſeinen philoſophiſchen Reflexionen ſagen, daß die Behandlung der Probleme nicht mit ihrer Wich- tigkeit harmonirt, daß Ausſprüche ächter Weisheit mit nutz- loſen Klügeleien und bedenklichen Sophiſtereien, Proben ächten Scharfſinnes mit Paradoxien und mitunter recht bedauerlichen Mißgriffen wechſeln, und daß ſich der Verfaſſer faſt in jedem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/56
Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/56>, abgerufen am 06.05.2024.