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Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

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ja, eine hochverehrte Persönlichkeit ist Nietzsche thatsächlich
nur in gebildeten, musikalischen Kreisen und dies sowohl
infolge einer langjährigen intimen Freundschaft mit Richard
Wagner, als durch die Abhandlung: "Die Geburt der Tra-
gödie aus dem Geiste der Musik", welche nach dem Urtheile
der Kenner die genialste Darstellung des Geistes der Wagner-
schen Musik enthält, und durch die glänzende Festschrift:
"Richard Wagner in Bayreuth", die auch in's Französische
übersetzt wurde. Jm Uebrigen wird der Name Nietzsche
wohl oft genannt, als ein großer anerkannt, ohne daß man
immer wüßte, worauf dieser Ruhm sich gründe. Wir gestatten
uns daher, bevor wir auf sein hier hauptsächlich in Frage
kommendes Werk eingehen, einige allgemeine Bemerkungen
über diesen Schriftsteller, sowie eine kurze Charakterisirung
und Kritik seiner in früheren Werken niedergelegten Haupt-
gedanken, -- eine Kritik, die freilich im Wesentlichen negativ
ausfallen wird.

Nietzsche ist vor allem ein künstlerischer Geist, ein Poet,
was Empfindung, Feinsinnigkeit, Anschauungskraft und har-
monische Schönheit der Rede anbetrifft und als Stilist dürfte
er nur wenig Ebenbürtige haben. Er besitzt ferner eine von
allem Schablonenhaften entfernte Denkweise, eine erstaunliche
Geistesfülle, einen großartigen Ueberblick über die verschiedenen
Gebiete des Lebens, der Kunst und Wissenschaft und ein sehr
bestimmtes, ja souveränes Urtheil.

Mit dieser Anerkennung dürfte Nietzsche jedoch kaum zu-
frieden sein. Es ist gewiß, daß er sich wenigstens seit dem
Erscheinen seines Werkes "Menschliches Allzumensch-
liches
" (1878) für einen Philosophen hält. Jst er
dazu berechtigt, sind seine Werke philosophische Werke?
Jedenfalls enthalten sie eine große Anzahl philosophischer
Gedanken seine Sammlungen von längeren oder kürzeren
Reflexionen und Aphorismen, die er unter den zum Theil

ja, eine hochverehrte Perſönlichkeit iſt Nietzſche thatſächlich
nur in gebildeten, muſikaliſchen Kreiſen und dies ſowohl
infolge einer langjährigen intimen Freundſchaft mit Richard
Wagner, als durch die Abhandlung: „Die Geburt der Tra-
gödie aus dem Geiſte der Muſik“, welche nach dem Urtheile
der Kenner die genialſte Darſtellung des Geiſtes der Wagner-
ſchen Muſik enthält, und durch die glänzende Feſtſchrift:
„Richard Wagner in Bayreuth“, die auch in’s Franzöſiſche
überſetzt wurde. Jm Uebrigen wird der Name Nietzſche
wohl oft genannt, als ein großer anerkannt, ohne daß man
immer wüßte, worauf dieſer Ruhm ſich gründe. Wir geſtatten
uns daher, bevor wir auf ſein hier hauptſächlich in Frage
kommendes Werk eingehen, einige allgemeine Bemerkungen
über dieſen Schriftſteller, ſowie eine kurze Charakteriſirung
und Kritik ſeiner in früheren Werken niedergelegten Haupt-
gedanken, — eine Kritik, die freilich im Weſentlichen negativ
ausfallen wird.

Nietzſche iſt vor allem ein künſtleriſcher Geiſt, ein Poet,
was Empfindung, Feinſinnigkeit, Anſchauungskraft und har-
moniſche Schönheit der Rede anbetrifft und als Stiliſt dürfte
er nur wenig Ebenbürtige haben. Er beſitzt ferner eine von
allem Schablonenhaften entfernte Denkweiſe, eine erſtaunliche
Geiſtesfülle, einen großartigen Ueberblick über die verſchiedenen
Gebiete des Lebens, der Kunſt und Wiſſenſchaft und ein ſehr
beſtimmtes, ja ſouveränes Urtheil.

Mit dieſer Anerkennung dürfte Nietzſche jedoch kaum zu-
frieden ſein. Es iſt gewiß, daß er ſich wenigſtens ſeit dem
Erſcheinen ſeines Werkes „Menſchliches Allzumenſch-
liches
“ (1878) für einen Philoſophen hält. Jſt er
dazu berechtigt, ſind ſeine Werke philoſophiſche Werke?
Jedenfalls enthalten ſie eine große Anzahl philoſophiſcher
Gedanken ſeine Sammlungen von längeren oder kürzeren
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[46/0055] ja, eine hochverehrte Perſönlichkeit iſt Nietzſche thatſächlich nur in gebildeten, muſikaliſchen Kreiſen und dies ſowohl infolge einer langjährigen intimen Freundſchaft mit Richard Wagner, als durch die Abhandlung: „Die Geburt der Tra- gödie aus dem Geiſte der Muſik“, welche nach dem Urtheile der Kenner die genialſte Darſtellung des Geiſtes der Wagner- ſchen Muſik enthält, und durch die glänzende Feſtſchrift: „Richard Wagner in Bayreuth“, die auch in’s Franzöſiſche überſetzt wurde. Jm Uebrigen wird der Name Nietzſche wohl oft genannt, als ein großer anerkannt, ohne daß man immer wüßte, worauf dieſer Ruhm ſich gründe. Wir geſtatten uns daher, bevor wir auf ſein hier hauptſächlich in Frage kommendes Werk eingehen, einige allgemeine Bemerkungen über dieſen Schriftſteller, ſowie eine kurze Charakteriſirung und Kritik ſeiner in früheren Werken niedergelegten Haupt- gedanken, — eine Kritik, die freilich im Weſentlichen negativ ausfallen wird. Nietzſche iſt vor allem ein künſtleriſcher Geiſt, ein Poet, was Empfindung, Feinſinnigkeit, Anſchauungskraft und har- moniſche Schönheit der Rede anbetrifft und als Stiliſt dürfte er nur wenig Ebenbürtige haben. Er beſitzt ferner eine von allem Schablonenhaften entfernte Denkweiſe, eine erſtaunliche Geiſtesfülle, einen großartigen Ueberblick über die verſchiedenen Gebiete des Lebens, der Kunſt und Wiſſenſchaft und ein ſehr beſtimmtes, ja ſouveränes Urtheil. Mit dieſer Anerkennung dürfte Nietzſche jedoch kaum zu- frieden ſein. Es iſt gewiß, daß er ſich wenigſtens ſeit dem Erſcheinen ſeines Werkes „Menſchliches Allzumenſch- liches“ (1878) für einen Philoſophen hält. Jſt er dazu berechtigt, ſind ſeine Werke philoſophiſche Werke? Jedenfalls enthalten ſie eine große Anzahl philoſophiſcher Gedanken ſeine Sammlungen von längeren oder kürzeren Reflexionen und Aphorismen, die er unter den zum Theil

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Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/55>, abgerufen am 21.11.2024.