Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite

hebung und Abschaffung aller Religion und die Uebertragung
ihrer Aufgaben auf den Staat, die Wissenschaft und die
Kunst, der andere ist das Eingehen auf den Kern der Reli-
gion und die Ueberwindung alles Fanatismus und Aber-
glaubens durch die bewußte Erhebung über die Wirklichkeit
und den definitiven Verzicht auf die Versälschung des Wirk-
lichen durch den Mythus, der ja nicht dem Zwecke der Er-
kenntniß dienen kann. Der erste dieser Wege führt die Ge-
fahr geistiger Verarmung mit sich; der zweite hat mit der
großen Frage zu schaffen, ob nicht gerade jetzt der Kern der
Religion in einer Wandlung begriffen wäre, welche es schwer
macht, ihn mit Sicherheit zu erfassen. Aber das zweite Be-
denken ist das geringere, weil gerade das Prinzip der Ver-
geistigung jeden durch die Culturbedürfnisse der fortschreiten-
den Zeit bedingten Uebergang erleichtern und friedlicher ge-
stalten muß."

"So lange man den Kern der Religion suchte in gewissen
Lehren über Gott, die menschliche Seele, die Schöpfung und
ihre Ordnung, konnte es nicht fehlen, daß jede Kritik, welche
damit begann, nach logischen Grundsätzen die Spreu vom
Weizen zu sondern, zur vollständigen Negation gelangen
mußte. Man sichtete, bis nichts mehr übrig blieb. -- Er-
blickt man dagegen den Kern der Religion in der Erhebung
der Gemüther über das Wirkliche und in der Erschaffung
einer Heimath der Geister, so können die geläutertsten Formen
noch wesentlich dieselben psychischen Prozesse hervorrufen, wie
der Köhlerglaube der Menge und man wird mit aller philo-
sophischen Verfeinerung der Jdeen niemals auf Null kommen.
Man gewöhne sich also, dem Prinzipe der schaffenden Jdee
an sich ohne Uebereinstimmung mit der historischen und
naturwissenschaftlichen Erkenntniß, aber auch ohne Verfälschung
derselben einen höheren Werth beizulegen als bisher; man
gewöhne sich, die Welt der Jdeen für gleich unentbehrlich

hebung und Abſchaffung aller Religion und die Uebertragung
ihrer Aufgaben auf den Staat, die Wiſſenſchaft und die
Kunſt, der andere iſt das Eingehen auf den Kern der Reli-
gion und die Ueberwindung alles Fanatismus und Aber-
glaubens durch die bewußte Erhebung über die Wirklichkeit
und den definitiven Verzicht auf die Verſälſchung des Wirk-
lichen durch den Mythus, der ja nicht dem Zwecke der Er-
kenntniß dienen kann. Der erſte dieſer Wege führt die Ge-
fahr geiſtiger Verarmung mit ſich; der zweite hat mit der
großen Frage zu ſchaffen, ob nicht gerade jetzt der Kern der
Religion in einer Wandlung begriffen wäre, welche es ſchwer
macht, ihn mit Sicherheit zu erfaſſen. Aber das zweite Be-
denken iſt das geringere, weil gerade das Prinzip der Ver-
geiſtigung jeden durch die Culturbedürfniſſe der fortſchreiten-
den Zeit bedingten Uebergang erleichtern und friedlicher ge-
ſtalten muß.“

„So lange man den Kern der Religion ſuchte in gewiſſen
Lehren über Gott, die menſchliche Seele, die Schöpfung und
ihre Ordnung, konnte es nicht fehlen, daß jede Kritik, welche
damit begann, nach logiſchen Grundſätzen die Spreu vom
Weizen zu ſondern, zur vollſtändigen Negation gelangen
mußte. Man ſichtete, bis nichts mehr übrig blieb. — Er-
blickt man dagegen den Kern der Religion in der Erhebung
der Gemüther über das Wirkliche und in der Erſchaffung
einer Heimath der Geiſter, ſo können die geläutertſten Formen
noch weſentlich dieſelben pſychiſchen Prozeſſe hervorrufen, wie
der Köhlerglaube der Menge und man wird mit aller philo-
ſophiſchen Verfeinerung der Jdeen niemals auf Null kommen.
Man gewöhne ſich alſo, dem Prinzipe der ſchaffenden Jdee
an ſich ohne Uebereinſtimmung mit der hiſtoriſchen und
naturwiſſenſchaftlichen Erkenntniß, aber auch ohne Verfälſchung
derſelben einen höheren Werth beizulegen als bisher; man
gewöhne ſich, die Welt der Jdeen für gleich unentbehrlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0049" n="40"/>
hebung und Ab&#x017F;chaffung aller Religion und die Uebertragung<lb/>
ihrer Aufgaben auf den Staat, die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft und die<lb/>
Kun&#x017F;t, der andere i&#x017F;t das Eingehen auf den Kern der Reli-<lb/>
gion und die Ueberwindung alles Fanatismus und Aber-<lb/>
glaubens durch die bewußte Erhebung über die Wirklichkeit<lb/>
und den definitiven Verzicht auf die Ver&#x017F;äl&#x017F;chung des Wirk-<lb/>
lichen durch den Mythus, der ja nicht dem Zwecke der Er-<lb/>
kenntniß dienen kann. Der er&#x017F;te die&#x017F;er Wege führt die Ge-<lb/>
fahr gei&#x017F;tiger Verarmung mit &#x017F;ich; der zweite hat mit der<lb/>
großen Frage zu &#x017F;chaffen, ob nicht gerade jetzt der Kern der<lb/>
Religion in einer Wandlung begriffen wäre, welche es &#x017F;chwer<lb/>
macht, ihn mit Sicherheit zu erfa&#x017F;&#x017F;en. Aber das zweite Be-<lb/>
denken i&#x017F;t das geringere, weil gerade das Prinzip der Ver-<lb/>
gei&#x017F;tigung jeden durch die Culturbedürfni&#x017F;&#x017F;e der fort&#x017F;chreiten-<lb/>
den Zeit bedingten Uebergang erleichtern und friedlicher ge-<lb/>
&#x017F;talten muß.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So lange man den Kern der Religion &#x017F;uchte in gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Lehren über Gott, die men&#x017F;chliche Seele, die Schöpfung und<lb/>
ihre Ordnung, konnte es nicht fehlen, daß jede Kritik, welche<lb/>
damit begann, nach logi&#x017F;chen Grund&#x017F;ätzen die Spreu vom<lb/>
Weizen zu &#x017F;ondern, zur voll&#x017F;tändigen Negation gelangen<lb/>
mußte. Man &#x017F;ichtete, bis nichts mehr übrig blieb. &#x2014; Er-<lb/>
blickt man dagegen den Kern der Religion in der Erhebung<lb/>
der Gemüther über das Wirkliche und in der Er&#x017F;chaffung<lb/>
einer Heimath der Gei&#x017F;ter, &#x017F;o können die geläutert&#x017F;ten Formen<lb/>
noch we&#x017F;entlich die&#x017F;elben p&#x017F;ychi&#x017F;chen Proze&#x017F;&#x017F;e hervorrufen, wie<lb/>
der Köhlerglaube der Menge und man wird mit aller philo-<lb/>
&#x017F;ophi&#x017F;chen Verfeinerung der Jdeen niemals auf Null kommen.<lb/>
Man gewöhne &#x017F;ich al&#x017F;o, dem Prinzipe der &#x017F;chaffenden Jdee<lb/>
an &#x017F;ich ohne Ueberein&#x017F;timmung mit der hi&#x017F;tori&#x017F;chen und<lb/>
naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Erkenntniß, aber auch ohne Verfäl&#x017F;chung<lb/>
der&#x017F;elben einen höheren Werth beizulegen als bisher; man<lb/>
gewöhne &#x017F;ich, die Welt der Jdeen für gleich unentbehrlich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0049] hebung und Abſchaffung aller Religion und die Uebertragung ihrer Aufgaben auf den Staat, die Wiſſenſchaft und die Kunſt, der andere iſt das Eingehen auf den Kern der Reli- gion und die Ueberwindung alles Fanatismus und Aber- glaubens durch die bewußte Erhebung über die Wirklichkeit und den definitiven Verzicht auf die Verſälſchung des Wirk- lichen durch den Mythus, der ja nicht dem Zwecke der Er- kenntniß dienen kann. Der erſte dieſer Wege führt die Ge- fahr geiſtiger Verarmung mit ſich; der zweite hat mit der großen Frage zu ſchaffen, ob nicht gerade jetzt der Kern der Religion in einer Wandlung begriffen wäre, welche es ſchwer macht, ihn mit Sicherheit zu erfaſſen. Aber das zweite Be- denken iſt das geringere, weil gerade das Prinzip der Ver- geiſtigung jeden durch die Culturbedürfniſſe der fortſchreiten- den Zeit bedingten Uebergang erleichtern und friedlicher ge- ſtalten muß.“ „So lange man den Kern der Religion ſuchte in gewiſſen Lehren über Gott, die menſchliche Seele, die Schöpfung und ihre Ordnung, konnte es nicht fehlen, daß jede Kritik, welche damit begann, nach logiſchen Grundſätzen die Spreu vom Weizen zu ſondern, zur vollſtändigen Negation gelangen mußte. Man ſichtete, bis nichts mehr übrig blieb. — Er- blickt man dagegen den Kern der Religion in der Erhebung der Gemüther über das Wirkliche und in der Erſchaffung einer Heimath der Geiſter, ſo können die geläutertſten Formen noch weſentlich dieſelben pſychiſchen Prozeſſe hervorrufen, wie der Köhlerglaube der Menge und man wird mit aller philo- ſophiſchen Verfeinerung der Jdeen niemals auf Null kommen. Man gewöhne ſich alſo, dem Prinzipe der ſchaffenden Jdee an ſich ohne Uebereinſtimmung mit der hiſtoriſchen und naturwiſſenſchaftlichen Erkenntniß, aber auch ohne Verfälſchung derſelben einen höheren Werth beizulegen als bisher; man gewöhne ſich, die Welt der Jdeen für gleich unentbehrlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/49
Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/49>, abgerufen am 23.11.2024.