Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite

ihn bedingte und bestimmte Ziel des Weltprocesses, und end-
lich Ehrfurcht vor der obersten Schöpfergewalt, als etwas
Unfaßbarem und Geheimnißvollem, erweckt. Auch der Reli-
gionsersatz wird den Momenten der Bedingtheit, des
Vertrauens und der Ehrfurcht Rechnung tragen
müssen, indem er denselben jedoch eine Vorstellungsunterlage
gibt, auf welche der Verstand einzugehen vermag, während
er die unbeweisbare Hypothese eines persönlichen Gottes
fallen läßt. Wenn das Moment des Vertrauens im
Christenthum sich auf eine göttliche Macht und auf ein künf-
tiges überirdisches Reich bezieht, während die diesseitige Welt
völlig entwerthet erscheint, so wird der Religionsersatz erstens
in den Weltgrund, ob wir denselben nun vom realistischen
Standpunkte aus kennzeichnen, oder vom idealistischen aus
für unerforschlich und unfaßbar erklären, dann aber auch in
den (zum kleinsten Theil vor unseren Blicken sich vollziehen-
den) Weltproceß Vertrauen setzen; denn daß solches Ver-
trauen objektiv statthaft und subjektiv bedingt durch den
Stammcharacter der besseren modernen Nationen, für welche
ein höherer Religionsersatz geschaffen werden soll, das haben
zwei Denker, deren einschlägige Versuche wir würdigen wer-
den, in hohem Grade überzeugend dargethan. -- Die Religion
greift aber ferner auch gestaltend in das Leben ein, jedoch
in durchaus einseitiger Weise; auch hier muß der Religions-
ersatz Vollkommeneres bieten, indem er das Leben mit einem
höheren Gehalte erfüllt, als dies die Religion vermocht, um
so mehr, als er die Erde als einzigen Schauplatz des
Menschen bezeichnet. Jn seiner Zukunftsperspektive wird der
vollkommenere Religionsersatz die Unsterblichkeitsträume, in
denen die menschliche Eitelkeit sich ihren naivsten Ausdruck
geschaffen hat, zerstören, dafür aber wird er auf erhabene
Möglichkeiten hinweisen, die sich in der Entwicklung des
Menschengeschlechtes verwirklichen können.

ihn bedingte und beſtimmte Ziel des Weltproceſſes, und end-
lich Ehrfurcht vor der oberſten Schöpfergewalt, als etwas
Unfaßbarem und Geheimnißvollem, erweckt. Auch der Reli-
gionserſatz wird den Momenten der Bedingtheit, des
Vertrauens und der Ehrfurcht Rechnung tragen
müſſen, indem er denſelben jedoch eine Vorſtellungsunterlage
gibt, auf welche der Verſtand einzugehen vermag, während
er die unbeweisbare Hypotheſe eines perſönlichen Gottes
fallen läßt. Wenn das Moment des Vertrauens im
Chriſtenthum ſich auf eine göttliche Macht und auf ein künf-
tiges überirdiſches Reich bezieht, während die dieſſeitige Welt
völlig entwerthet erſcheint, ſo wird der Religionserſatz erſtens
in den Weltgrund, ob wir denſelben nun vom realiſtiſchen
Standpunkte aus kennzeichnen, oder vom idealiſtiſchen aus
für unerforſchlich und unfaßbar erklären, dann aber auch in
den (zum kleinſten Theil vor unſeren Blicken ſich vollziehen-
den) Weltproceß Vertrauen ſetzen; denn daß ſolches Ver-
trauen objektiv ſtatthaft und ſubjektiv bedingt durch den
Stammcharacter der beſſeren modernen Nationen, für welche
ein höherer Religionserſatz geſchaffen werden ſoll, das haben
zwei Denker, deren einſchlägige Verſuche wir würdigen wer-
den, in hohem Grade überzeugend dargethan. — Die Religion
greift aber ferner auch geſtaltend in das Leben ein, jedoch
in durchaus einſeitiger Weiſe; auch hier muß der Religions-
erſatz Vollkommeneres bieten, indem er das Leben mit einem
höheren Gehalte erfüllt, als dies die Religion vermocht, um
ſo mehr, als er die Erde als einzigen Schauplatz des
Menſchen bezeichnet. Jn ſeiner Zukunftsperſpektive wird der
vollkommenere Religionserſatz die Unſterblichkeitsträume, in
denen die menſchliche Eitelkeit ſich ihren naivſten Ausdruck
geſchaffen hat, zerſtören, dafür aber wird er auf erhabene
Möglichkeiten hinweiſen, die ſich in der Entwicklung des
Menſchengeſchlechtes verwirklichen können.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0015" n="6"/>
ihn bedingte und be&#x017F;timmte Ziel des Weltproce&#x017F;&#x017F;es, und end-<lb/>
lich <hi rendition="#g">Ehrfurcht</hi> vor der ober&#x017F;ten Schöpfergewalt, als etwas<lb/>
Unfaßbarem und Geheimnißvollem, erweckt. Auch der Reli-<lb/>
gionser&#x017F;atz wird den Momenten der <hi rendition="#g">Bedingtheit</hi>, des<lb/><hi rendition="#g">Vertrauens</hi> und der <hi rendition="#g">Ehrfurcht</hi> Rechnung tragen<lb/>&#x017F;&#x017F;en, indem er den&#x017F;elben jedoch eine Vor&#x017F;tellungsunterlage<lb/>
gibt, auf welche der Ver&#x017F;tand einzugehen vermag, während<lb/>
er die unbeweisbare Hypothe&#x017F;e eines per&#x017F;önlichen Gottes<lb/>
fallen läßt. Wenn das Moment des <hi rendition="#g">Vertrauens</hi> im<lb/>
Chri&#x017F;tenthum &#x017F;ich auf eine göttliche Macht und auf ein künf-<lb/>
tiges überirdi&#x017F;ches Reich bezieht, während die die&#x017F;&#x017F;eitige Welt<lb/>
völlig entwerthet er&#x017F;cheint, &#x017F;o wird der Religionser&#x017F;atz er&#x017F;tens<lb/>
in den Weltgrund, ob wir den&#x017F;elben nun vom reali&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Standpunkte aus kennzeichnen, oder vom ideali&#x017F;ti&#x017F;chen aus<lb/>
für unerfor&#x017F;chlich und unfaßbar erklären, dann aber auch in<lb/>
den (zum klein&#x017F;ten Theil vor un&#x017F;eren Blicken &#x017F;ich vollziehen-<lb/>
den) Weltproceß Vertrauen &#x017F;etzen; denn daß &#x017F;olches Ver-<lb/>
trauen objektiv &#x017F;tatthaft und &#x017F;ubjektiv bedingt durch den<lb/>
Stammcharacter der be&#x017F;&#x017F;eren modernen Nationen, für welche<lb/>
ein höherer Religionser&#x017F;atz ge&#x017F;chaffen werden &#x017F;oll, das haben<lb/>
zwei Denker, deren ein&#x017F;chlägige Ver&#x017F;uche wir würdigen wer-<lb/>
den, in hohem Grade überzeugend dargethan. &#x2014; Die Religion<lb/>
greift aber ferner auch ge&#x017F;taltend in das Leben ein, jedoch<lb/>
in durchaus ein&#x017F;eitiger Wei&#x017F;e; auch hier muß der Religions-<lb/>
er&#x017F;atz Vollkommeneres bieten, indem er das Leben mit einem<lb/>
höheren Gehalte erfüllt, als dies die Religion vermocht, um<lb/>
&#x017F;o mehr, als er die Erde als einzigen Schauplatz des<lb/>
Men&#x017F;chen bezeichnet. Jn &#x017F;einer Zukunftsper&#x017F;pektive wird der<lb/>
vollkommenere Religionser&#x017F;atz die Un&#x017F;terblichkeitsträume, in<lb/>
denen die men&#x017F;chliche Eitelkeit &#x017F;ich ihren naiv&#x017F;ten Ausdruck<lb/>
ge&#x017F;chaffen hat, zer&#x017F;tören, dafür aber wird er auf erhabene<lb/>
Möglichkeiten hinwei&#x017F;en, die &#x017F;ich in der Entwicklung des<lb/>
Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechtes verwirklichen können.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0015] ihn bedingte und beſtimmte Ziel des Weltproceſſes, und end- lich Ehrfurcht vor der oberſten Schöpfergewalt, als etwas Unfaßbarem und Geheimnißvollem, erweckt. Auch der Reli- gionserſatz wird den Momenten der Bedingtheit, des Vertrauens und der Ehrfurcht Rechnung tragen müſſen, indem er denſelben jedoch eine Vorſtellungsunterlage gibt, auf welche der Verſtand einzugehen vermag, während er die unbeweisbare Hypotheſe eines perſönlichen Gottes fallen läßt. Wenn das Moment des Vertrauens im Chriſtenthum ſich auf eine göttliche Macht und auf ein künf- tiges überirdiſches Reich bezieht, während die dieſſeitige Welt völlig entwerthet erſcheint, ſo wird der Religionserſatz erſtens in den Weltgrund, ob wir denſelben nun vom realiſtiſchen Standpunkte aus kennzeichnen, oder vom idealiſtiſchen aus für unerforſchlich und unfaßbar erklären, dann aber auch in den (zum kleinſten Theil vor unſeren Blicken ſich vollziehen- den) Weltproceß Vertrauen ſetzen; denn daß ſolches Ver- trauen objektiv ſtatthaft und ſubjektiv bedingt durch den Stammcharacter der beſſeren modernen Nationen, für welche ein höherer Religionserſatz geſchaffen werden ſoll, das haben zwei Denker, deren einſchlägige Verſuche wir würdigen wer- den, in hohem Grade überzeugend dargethan. — Die Religion greift aber ferner auch geſtaltend in das Leben ein, jedoch in durchaus einſeitiger Weiſe; auch hier muß der Religions- erſatz Vollkommeneres bieten, indem er das Leben mit einem höheren Gehalte erfüllt, als dies die Religion vermocht, um ſo mehr, als er die Erde als einzigen Schauplatz des Menſchen bezeichnet. Jn ſeiner Zukunftsperſpektive wird der vollkommenere Religionserſatz die Unſterblichkeitsträume, in denen die menſchliche Eitelkeit ſich ihren naivſten Ausdruck geſchaffen hat, zerſtören, dafür aber wird er auf erhabene Möglichkeiten hinweiſen, die ſich in der Entwicklung des Menſchengeſchlechtes verwirklichen können.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/15
Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/15>, abgerufen am 23.11.2024.