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Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

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die nur durch ganz bestimmte Vorstellungen in vollkom-
menerer Weise ersetzt werden können, keineswegs aber durch
den erstbesten höheren Gegenstand. Weder Kunst noch
Wissenschaft, noch Naturcultus, noch philanthropische Werk-
thätigkeit vermögen das Reich der Religion zu ersetzen, ob-
wohl sie in einem gewissen Sinne Stützen und Bestandtheile
der neuen Lehre werden können. Es handelt sich bei dem
Religionsersatze um eine ganz bestimmte Gruppe von Ge-
dankengebilden und Empfindungen, welche in schwungvoller
Verbindung Gemüth und Verstand im gleichen Maße be-
friedigen würden.

Ferner aber will es uns durchaus nicht einleuchten,
weßhalb der einzig wahre Religionsersatz, der zunächst ein
einigendes Band unter den Gebildeten werden müßte, nicht
auch allmälig tiefere Schichten (natürlich nur innerhalb der
ersten modernen Nationen) erfassen sollte. Wenigstens läßt
sich die Möglichkeit eines allgemeineren Fortschritts in dieser
Richtung nicht bestreiten.

Man hält die menschliche Natur im Allgemeinen für zu
wenig änderungs- und besserungsfähig und verzweifelt, ehe
nur ein Versuch gemacht wurde, sie auf neue Bahnen zu
leiten. Es ist selbstverständlich, daß eine höhere, religions-
ersetzende Lehre nicht von selbst in den Köpfen festen Fuß
fassen und ihr Reich nicht von heute auf morgen begründen
könnte. Wohl aber ist die Möglichkeit vorhanden, daß sie
allmälig, wenn zum Gegenstande der Uebung und des Unter-
richts erhoben, durch Genossenschaften gepflegt, durch Wort
und Schrift gefördert, zu einer alle Schichten umspannenden
Geistesführung werden könnte.

Noch haben wir aber den Hauptmotor nicht genannt, der in
Kraft treten müßte, um der neuen Lehre Bahn zu brechen. Das
ist der Enthusiasmus der Besten für dieselbe. Sowie
jede Religion einer begeisterten Schaar Anhänger bedurfte,

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die nur durch ganz beſtimmte Vorſtellungen in vollkom-
menerer Weiſe erſetzt werden können, keineswegs aber durch
den erſtbeſten höheren Gegenſtand. Weder Kunſt noch
Wiſſenſchaft, noch Naturcultus, noch philanthropiſche Werk-
thätigkeit vermögen das Reich der Religion zu erſetzen, ob-
wohl ſie in einem gewiſſen Sinne Stützen und Beſtandtheile
der neuen Lehre werden können. Es handelt ſich bei dem
Religionserſatze um eine ganz beſtimmte Gruppe von Ge-
dankengebilden und Empfindungen, welche in ſchwungvoller
Verbindung Gemüth und Verſtand im gleichen Maße be-
friedigen würden.

Ferner aber will es uns durchaus nicht einleuchten,
weßhalb der einzig wahre Religionserſatz, der zunächſt ein
einigendes Band unter den Gebildeten werden müßte, nicht
auch allmälig tiefere Schichten (natürlich nur innerhalb der
erſten modernen Nationen) erfaſſen ſollte. Wenigſtens läßt
ſich die Möglichkeit eines allgemeineren Fortſchritts in dieſer
Richtung nicht beſtreiten.

Man hält die menſchliche Natur im Allgemeinen für zu
wenig änderungs- und beſſerungsfähig und verzweifelt, ehe
nur ein Verſuch gemacht wurde, ſie auf neue Bahnen zu
leiten. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß eine höhere, religions-
erſetzende Lehre nicht von ſelbſt in den Köpfen feſten Fuß
faſſen und ihr Reich nicht von heute auf morgen begründen
könnte. Wohl aber iſt die Möglichkeit vorhanden, daß ſie
allmälig, wenn zum Gegenſtande der Uebung und des Unter-
richts erhoben, durch Genoſſenſchaften gepflegt, durch Wort
und Schrift gefördert, zu einer alle Schichten umſpannenden
Geiſtesführung werden könnte.

Noch haben wir aber den Hauptmotor nicht genannt, der in
Kraft treten müßte, um der neuen Lehre Bahn zu brechen. Das
iſt der Enthuſiasmus der Beſten für dieſelbe. Sowie
jede Religion einer begeiſterten Schaar Anhänger bedurfte,

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[3/0012] die nur durch ganz beſtimmte Vorſtellungen in vollkom- menerer Weiſe erſetzt werden können, keineswegs aber durch den erſtbeſten höheren Gegenſtand. Weder Kunſt noch Wiſſenſchaft, noch Naturcultus, noch philanthropiſche Werk- thätigkeit vermögen das Reich der Religion zu erſetzen, ob- wohl ſie in einem gewiſſen Sinne Stützen und Beſtandtheile der neuen Lehre werden können. Es handelt ſich bei dem Religionserſatze um eine ganz beſtimmte Gruppe von Ge- dankengebilden und Empfindungen, welche in ſchwungvoller Verbindung Gemüth und Verſtand im gleichen Maße be- friedigen würden. Ferner aber will es uns durchaus nicht einleuchten, weßhalb der einzig wahre Religionserſatz, der zunächſt ein einigendes Band unter den Gebildeten werden müßte, nicht auch allmälig tiefere Schichten (natürlich nur innerhalb der erſten modernen Nationen) erfaſſen ſollte. Wenigſtens läßt ſich die Möglichkeit eines allgemeineren Fortſchritts in dieſer Richtung nicht beſtreiten. Man hält die menſchliche Natur im Allgemeinen für zu wenig änderungs- und beſſerungsfähig und verzweifelt, ehe nur ein Verſuch gemacht wurde, ſie auf neue Bahnen zu leiten. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß eine höhere, religions- erſetzende Lehre nicht von ſelbſt in den Köpfen feſten Fuß faſſen und ihr Reich nicht von heute auf morgen begründen könnte. Wohl aber iſt die Möglichkeit vorhanden, daß ſie allmälig, wenn zum Gegenſtande der Uebung und des Unter- richts erhoben, durch Genoſſenſchaften gepflegt, durch Wort und Schrift gefördert, zu einer alle Schichten umſpannenden Geiſtesführung werden könnte. Noch haben wir aber den Hauptmotor nicht genannt, der in Kraft treten müßte, um der neuen Lehre Bahn zu brechen. Das iſt der Enthuſiasmus der Beſten für dieſelbe. Sowie jede Religion einer begeiſterten Schaar Anhänger bedurfte, 1*

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Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/12>, abgerufen am 25.04.2024.