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Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868.

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Erst seit die Naturwissenschaften sicher und ihres Weges bewusst
sich ihre Methode begründeten und damit einen neuen Anfang gewannen,
tauchte der Gedanke auf, auch der amethodos ule der Geschichte eine
methodische Seite abzugewinnen. Der Zeit Galilei's und Bacon's
gehört Jean Bodin an, der von Huygens und Newton Pufendorff und
der nach allen Richtungen zugleich Bahn brechende Leibniz. Dann
ergriff die Englische Aufklärung, -- wenn es erlaubt ist, die Zeit der
sogenannten Deisten so zu bezeichnen -- auch diese Frage; dort
zuerst versuchte man unsere Wissenschaft nach ihren Aufgaben oder
Gebieten zu gliedern; man sprach von Weltgeschichte, Geschichte der
Menschheit, Universalgeschichte, Staaten- und Völkergeschichte u. s. w.
Voltaire, der Schüler und Fortsetzer dieser Englischen Richtung, warf
den blendenden Namen "philosophie de l'historie" mit hinein. Die
Göttinger historische Schule entwickelte eine Art Systematik der neuge-
schaffenen Wissenschaften und Hülfswissenschaften und begann auch die
entlegneren Disciplinen mit dem Geist dieses Systems zu erfüllen. Und
während mehr als Einer von den grossen Dichtern und Denkern unserer
Nation sich in die theoretische Frage des historischen Erkennens ver-
senkte, entwickelte sich im historischen Arbeiten und Untersuchen selbst
eine Schärfe und Sicherheit der Kritik, die, auf welches Gebiet der Ge-
schichte sie sich wenden mochte, völlig neue und überraschende Ergeb-
nisse brachte. In dieser historischen Kritik eilte seit Niebuhr unsere
Nation den anderen voraus; und es brauchte, so schien es, die in so
glänzenden Arbeiten bewährte Art oder Technik des Forschens nur in
allgemeinen und theoretischen Sätzen ausgesprochen zu werden, um als
die historische Methode zu gelten.

Freilich dem grossen Publikum war mit dieser Richtung unserer
Historie nicht eben gedient; es wollte lesen, nicht studiren; es beklagte
sich, dass man ihm die Zubereitung der Speise statt der Speise biete;
es nannte wohl die Deutsche Art der Historie pedantisch, ausschliesslich,
ungeniessbar; es wünschte unterhaltende Belehrung und belehrende Un-
terhaltung; wie viel bequemer als die gelehrten und mühsamen For-
schungen liessen sich die Essays Macaulay's lesen, wie ergriffen die
Erzählungen von der französischen Revolution in Thiers' glänzender
Schilderung. So hat es geschehen können, dass nicht bloss der histo-
rische Geschmack, sondern das historische und damit zum nicht gerin-

Erst seit die Naturwissenschaften sicher und ihres Weges bewusst
sich ihre Methode begründeten und damit einen neuen Anfang gewannen,
tauchte der Gedanke auf, auch der ἀμέϑοδος ὕλη der Geschichte eine
methodische Seite abzugewinnen. Der Zeit Galilei’s und Bacon’s
gehört Jean Bodin an, der von Huygens und Newton Pufendorff und
der nach allen Richtungen zugleich Bahn brechende Leibniz. Dann
ergriff die Englische Aufklärung, — wenn es erlaubt ist, die Zeit der
sogenannten Deïsten so zu bezeichnen — auch diese Frage; dort
zuerst versuchte man unsere Wissenschaft nach ihren Aufgaben oder
Gebieten zu gliedern; man sprach von Weltgeschichte, Geschichte der
Menschheit, Universalgeschichte, Staaten- und Völkergeschichte u. s. w.
Voltaire, der Schüler und Fortsetzer dieser Englischen Richtung, warf
den blendenden Namen „philosophie de l’historie“ mit hinein. Die
Göttinger historische Schule entwickelte eine Art Systematik der neuge-
schaffenen Wissenschaften und Hülfswissenschaften und begann auch die
entlegneren Disciplinen mit dem Geist dieses Systems zu erfüllen. Und
während mehr als Einer von den grossen Dichtern und Denkern unserer
Nation sich in die theoretische Frage des historischen Erkennens ver-
senkte, entwickelte sich im historischen Arbeiten und Untersuchen selbst
eine Schärfe und Sicherheit der Kritik, die, auf welches Gebiet der Ge-
schichte sie sich wenden mochte, völlig neue und überraschende Ergeb-
nisse brachte. In dieser historischen Kritik eilte seit Niebuhr unsere
Nation den anderen voraus; und es brauchte, so schien es, die in so
glänzenden Arbeiten bewährte Art oder Technik des Forschens nur in
allgemeinen und theoretischen Sätzen ausgesprochen zu werden, um als
die historische Methode zu gelten.

Freilich dem grossen Publikum war mit dieser Richtung unserer
Historie nicht eben gedient; es wollte lesen, nicht studiren; es beklagte
sich, dass man ihm die Zubereitung der Speise statt der Speise biete;
es nannte wohl die Deutsche Art der Historie pedantisch, ausschliesslich,
ungeniessbar; es wünschte unterhaltende Belehrung und belehrende Un-
terhaltung; wie viel bequemer als die gelehrten und mühsamen For-
schungen liessen sich die Essays Macaulay’s lesen, wie ergriffen die
Erzählungen von der französischen Revolution in Thiers’ glänzender
Schilderung. So hat es geschehen können, dass nicht bloss der histo-
rische Geschmack, sondern das historische und damit zum nicht gerin-

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[77/0086] Erst seit die Naturwissenschaften sicher und ihres Weges bewusst sich ihre Methode begründeten und damit einen neuen Anfang gewannen, tauchte der Gedanke auf, auch der ἀμέϑοδος ὕλη der Geschichte eine methodische Seite abzugewinnen. Der Zeit Galilei’s und Bacon’s gehört Jean Bodin an, der von Huygens und Newton Pufendorff und der nach allen Richtungen zugleich Bahn brechende Leibniz. Dann ergriff die Englische Aufklärung, — wenn es erlaubt ist, die Zeit der sogenannten Deïsten so zu bezeichnen — auch diese Frage; dort zuerst versuchte man unsere Wissenschaft nach ihren Aufgaben oder Gebieten zu gliedern; man sprach von Weltgeschichte, Geschichte der Menschheit, Universalgeschichte, Staaten- und Völkergeschichte u. s. w. Voltaire, der Schüler und Fortsetzer dieser Englischen Richtung, warf den blendenden Namen „philosophie de l’historie“ mit hinein. Die Göttinger historische Schule entwickelte eine Art Systematik der neuge- schaffenen Wissenschaften und Hülfswissenschaften und begann auch die entlegneren Disciplinen mit dem Geist dieses Systems zu erfüllen. Und während mehr als Einer von den grossen Dichtern und Denkern unserer Nation sich in die theoretische Frage des historischen Erkennens ver- senkte, entwickelte sich im historischen Arbeiten und Untersuchen selbst eine Schärfe und Sicherheit der Kritik, die, auf welches Gebiet der Ge- schichte sie sich wenden mochte, völlig neue und überraschende Ergeb- nisse brachte. In dieser historischen Kritik eilte seit Niebuhr unsere Nation den anderen voraus; und es brauchte, so schien es, die in so glänzenden Arbeiten bewährte Art oder Technik des Forschens nur in allgemeinen und theoretischen Sätzen ausgesprochen zu werden, um als die historische Methode zu gelten. Freilich dem grossen Publikum war mit dieser Richtung unserer Historie nicht eben gedient; es wollte lesen, nicht studiren; es beklagte sich, dass man ihm die Zubereitung der Speise statt der Speise biete; es nannte wohl die Deutsche Art der Historie pedantisch, ausschliesslich, ungeniessbar; es wünschte unterhaltende Belehrung und belehrende Un- terhaltung; wie viel bequemer als die gelehrten und mühsamen For- schungen liessen sich die Essays Macaulay’s lesen, wie ergriffen die Erzählungen von der französischen Revolution in Thiers’ glänzender Schilderung. So hat es geschehen können, dass nicht bloss der histo- rische Geschmack, sondern das historische und damit zum nicht gerin-

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_historik_1868/86>, abgerufen am 22.11.2024.