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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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Wege einige von den ausgesandten Boten Alexanders; aber sie
erkannten weder den Nearch noch den Archias, so sehr hatte sich
ihr Aeußeres verwandelt; ihr Haupt- und Barthaar war lang,
ihr Gesicht bleich, ihre Gestalt abgezehrt, ihre Kleidung zerlumpt
und voll Schiffstheer; und als diese sie fragten, in welcher Rich-
tung wohl Alexanders Lager stände, zeigten sie ihnen Bescheid und
zogen vorüber. Archias aber ahnete das Rechte und sprach: es
scheint, o Nearch, daß die Männer ausgesandt sind, uns zu suchen;
daß sie uns nicht erkennen, ist gar wohl zu begreifen, wir mögen
wohl sehr anders als in Indien aussehen; laß uns sagen, wer
wir sind, und sie fragen, wohin sie reisen. Das that Nearch; sie
aber antworteten, sie suchten den Nearch und das Heer von der
Flotte. Da sagte Nearch: ich bin es, den ihr suchet, führt uns zum
Könige! Da nahmen sie sie jubelnd auf ihre Wagen und fuhren
zum Lager; Einige aber eilten voraus und zum Zelte des Königs
und sprachen: Nearch und Archias und fünf Andere mit ihnen
kommen so eben daher. Da sie aber von dem übrigen Heere und
von der Flotte nichts wußten, so glaubte der König, daß jene
wohl unvermuthet gerettet, aber Heer und Flotte untergegangen
sei, und seine Trauer war größer denn vorher. Da trat Nearch
und Archias herein; Alexander erkannte sie kaum wieder, er reichte
dem Nearch die Hand, führte ihn zur Seite und weinte lange
Zeit; endlich sprach er: "daß ich dich und Archias wieder sehe,
läßt mich den ganzen Verlust minder schmerzlich empfinden; nun
aber sprich, wie ist meine Flotte und mein Heer zu Grunde
gegangen?" Nearch antwortete: o König, beides ist dir erhalten,
deine Flotte und dein Heer; wir aber sind als die Boten ihrer
Erhaltung zu dir gekommen. Da weinte Alexander noch mehr,
und lauter Jubel war um ihn her; er aber schwur bei Zeus und
Ammon, daß ihm dieser Tag theurer wäre als der Besitz von
ganz Asien 13b).

13b) So erzählt Nearch (in Arrians Ind.); die Zeit dieses Zu-
sammentreffens läßt sich durch Nearchs Reise bestimmen, denn die-
ser war am 21. September abgesegelt, und war nach Vincents
Nachrechnung am achtzigsten Tage d. h. dem 9. December am
Anamisflusse gelandet; es mochte zwischen dem 15. und 20. Decem-
31

Wege einige von den ausgeſandten Boten Alexanders; aber ſie
erkannten weder den Nearch noch den Archias, ſo ſehr hatte ſich
ihr Aeußeres verwandelt; ihr Haupt- und Barthaar war lang,
ihr Geſicht bleich, ihre Geſtalt abgezehrt, ihre Kleidung zerlumpt
und voll Schiffstheer; und als dieſe ſie fragten, in welcher Rich-
tung wohl Alexanders Lager ſtaͤnde, zeigten ſie ihnen Beſcheid und
zogen voruͤber. Archias aber ahnete das Rechte und ſprach: es
ſcheint, o Nearch, daß die Maͤnner ausgeſandt ſind, uns zu ſuchen;
daß ſie uns nicht erkennen, iſt gar wohl zu begreifen, wir moͤgen
wohl ſehr anders als in Indien ausſehen; laß uns ſagen, wer
wir ſind, und ſie fragen, wohin ſie reiſen. Das that Nearch; ſie
aber antworteten, ſie ſuchten den Nearch und das Heer von der
Flotte. Da ſagte Nearch: ich bin es, den ihr ſuchet, fuͤhrt uns zum
Koͤnige! Da nahmen ſie ſie jubelnd auf ihre Wagen und fuhren
zum Lager; Einige aber eilten voraus und zum Zelte des Koͤnigs
und ſprachen: Nearch und Archias und fuͤnf Andere mit ihnen
kommen ſo eben daher. Da ſie aber von dem uͤbrigen Heere und
von der Flotte nichts wußten, ſo glaubte der Koͤnig, daß jene
wohl unvermuthet gerettet, aber Heer und Flotte untergegangen
ſei, und ſeine Trauer war groͤßer denn vorher. Da trat Nearch
und Archias herein; Alexander erkannte ſie kaum wieder, er reichte
dem Nearch die Hand, fuͤhrte ihn zur Seite und weinte lange
Zeit; endlich ſprach er: „daß ich dich und Archias wieder ſehe,
laͤßt mich den ganzen Verluſt minder ſchmerzlich empfinden; nun
aber ſprich, wie iſt meine Flotte und mein Heer zu Grunde
gegangen?“ Nearch antwortete: o Koͤnig, beides iſt dir erhalten,
deine Flotte und dein Heer; wir aber ſind als die Boten ihrer
Erhaltung zu dir gekommen. Da weinte Alexander noch mehr,
und lauter Jubel war um ihn her; er aber ſchwur bei Zeus und
Ammon, daß ihm dieſer Tag theurer waͤre als der Beſitz von
ganz Aſien 13b).

13b) So erzaͤhlt Nearch (in Arrians Ind.); die Zeit dieſes Zu-
ſammentreffens laͤßt ſich durch Nearchs Reiſe beſtimmen, denn die-
ſer war am 21. September abgeſegelt, und war nach Vincents
Nachrechnung am achtzigſten Tage d. h. dem 9. December am
Anamisfluſſe gelandet; es mochte zwiſchen dem 15. und 20. Decem-
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[481/0495] Wege einige von den ausgeſandten Boten Alexanders; aber ſie erkannten weder den Nearch noch den Archias, ſo ſehr hatte ſich ihr Aeußeres verwandelt; ihr Haupt- und Barthaar war lang, ihr Geſicht bleich, ihre Geſtalt abgezehrt, ihre Kleidung zerlumpt und voll Schiffstheer; und als dieſe ſie fragten, in welcher Rich- tung wohl Alexanders Lager ſtaͤnde, zeigten ſie ihnen Beſcheid und zogen voruͤber. Archias aber ahnete das Rechte und ſprach: es ſcheint, o Nearch, daß die Maͤnner ausgeſandt ſind, uns zu ſuchen; daß ſie uns nicht erkennen, iſt gar wohl zu begreifen, wir moͤgen wohl ſehr anders als in Indien ausſehen; laß uns ſagen, wer wir ſind, und ſie fragen, wohin ſie reiſen. Das that Nearch; ſie aber antworteten, ſie ſuchten den Nearch und das Heer von der Flotte. Da ſagte Nearch: ich bin es, den ihr ſuchet, fuͤhrt uns zum Koͤnige! Da nahmen ſie ſie jubelnd auf ihre Wagen und fuhren zum Lager; Einige aber eilten voraus und zum Zelte des Koͤnigs und ſprachen: Nearch und Archias und fuͤnf Andere mit ihnen kommen ſo eben daher. Da ſie aber von dem uͤbrigen Heere und von der Flotte nichts wußten, ſo glaubte der Koͤnig, daß jene wohl unvermuthet gerettet, aber Heer und Flotte untergegangen ſei, und ſeine Trauer war groͤßer denn vorher. Da trat Nearch und Archias herein; Alexander erkannte ſie kaum wieder, er reichte dem Nearch die Hand, fuͤhrte ihn zur Seite und weinte lange Zeit; endlich ſprach er: „daß ich dich und Archias wieder ſehe, laͤßt mich den ganzen Verluſt minder ſchmerzlich empfinden; nun aber ſprich, wie iſt meine Flotte und mein Heer zu Grunde gegangen?“ Nearch antwortete: o Koͤnig, beides iſt dir erhalten, deine Flotte und dein Heer; wir aber ſind als die Boten ihrer Erhaltung zu dir gekommen. Da weinte Alexander noch mehr, und lauter Jubel war um ihn her; er aber ſchwur bei Zeus und Ammon, daß ihm dieſer Tag theurer waͤre als der Beſitz von ganz Aſien 13b). 13b) So erzaͤhlt Nearch (in Arrians Ind.); die Zeit dieſes Zu- ſammentreffens laͤßt ſich durch Nearchs Reiſe beſtimmen, denn die- ſer war am 21. September abgeſegelt, und war nach Vincents Nachrechnung am achtzigſten Tage d. h. dem 9. December am Anamisfluſſe gelandet; es mochte zwiſchen dem 15. und 20. Decem- 31

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/495>, abgerufen am 27.04.2024.