Jetzt zog das Heer weiter; es nahte dem furchtbarsten Theil der Wüste, in gräßlicher Steigerung wuchs der Hunger, das Elend, die Zügellosigkeit. Auf zehn, auf funfzehn Meilen weit kein Wasser, der Sand tief, heiß, wellenhaft wie ein stürmisches Meer zu tiefen Dünen aufgeweht, in denen man mit jedem Schritte tief einsank und sich mit endloser Mühe durchschleppte, um sogleich dieselbe Arbeit von Neuem zu beginnen; dazu das Dunkel der Nacht, die furchtbar wachsende Auflösung aller Ord- nung, die letzte Kraft durch Hunger und Durst erschöpft oder zu selbstischer Gier verwildert. Man schlachtete die Pferde, Kameele und Maulthiere und aß ihr Fleisch; man spannte das Zugvieh von den Wagen der Kranken, und überließ diese ihrem gräßlichen Schicksal, während das Heer in wilder Hast weiter zog; wer vor Müdigkeit oder Entkräftung zurückblieb, der fand den Mor- gen kaum noch die Spur des großen Heeres wieder, und fand er sie, so bemühte er sich umsonst dasselbe einzuholen; in schrecklichen Zuckungen verschmachtete er unter der glühenden Mittagssonne oder verirrte in dem Labyrinth der Dünen, um vor Hunger und Durst langsam dahin zu sterben. Glücklich das Heer, wenn es vor Tagesanbruch die Brunnen erreichte, um zu rasten; oft aber war es noch fern, und schon brannte die Sonne durch die röth- liche Gluthluft herab und der Sand glühte unter den wunden Füßen; dann stürzten die Thiere röchelnd zusammen, und den hin- sinkenden Menschen brach das Blut jählings aus Auge und Mund, oder sie kauerten nieder im grinsenden Wahnwitz, wäh- rend die Reihen aufgelöst in gespenstischer Stille an den ster- benden Kameraden vorüberwankten. Kamen sie endlich zu den Wassern, so stürzten sie hin und tranken in gräßlicher Gier, um die letzte Labung mit einem qualvollen Tode zu büßen. An einer der Raststellen, ein fast ausgetrocknetes Wasser floß vor- über, lagerte das Heer einen Tag und ruhte unter den Zelten; da füllte sich plötzlich das Strombette und brausend schwollen die Wasser über; Waffen, Thiere, Zelte, Menschen wurden mit hin- weggerissen, und ehe man sich noch zu besinnen und zu helfen ver- mochte, war schon die Verwüstung auf ihrem Gipfel; Alexanders Zelt und ein Theil seiner Waffen wurden ein Raub der Fluth, deren Gewalt er selbst mit Mühe entrann. So häuften sich die
Jetzt zog das Heer weiter; es nahte dem furchtbarſten Theil der Wuͤſte, in graͤßlicher Steigerung wuchs der Hunger, das Elend, die Zuͤgelloſigkeit. Auf zehn, auf funfzehn Meilen weit kein Waſſer, der Sand tief, heiß, wellenhaft wie ein ſtuͤrmiſches Meer zu tiefen Duͤnen aufgeweht, in denen man mit jedem Schritte tief einſank und ſich mit endloſer Muͤhe durchſchleppte, um ſogleich dieſelbe Arbeit von Neuem zu beginnen; dazu das Dunkel der Nacht, die furchtbar wachſende Aufloͤſung aller Ord- nung, die letzte Kraft durch Hunger und Durſt erſchoͤpft oder zu ſelbſtiſcher Gier verwildert. Man ſchlachtete die Pferde, Kameele und Maulthiere und aß ihr Fleiſch; man ſpannte das Zugvieh von den Wagen der Kranken, und uͤberließ dieſe ihrem graͤßlichen Schickſal, waͤhrend das Heer in wilder Haſt weiter zog; wer vor Muͤdigkeit oder Entkraͤftung zuruͤckblieb, der fand den Mor- gen kaum noch die Spur des großen Heeres wieder, und fand er ſie, ſo bemuͤhte er ſich umſonſt daſſelbe einzuholen; in ſchrecklichen Zuckungen verſchmachtete er unter der gluͤhenden Mittagsſonne oder verirrte in dem Labyrinth der Duͤnen, um vor Hunger und Durſt langſam dahin zu ſterben. Gluͤcklich das Heer, wenn es vor Tagesanbruch die Brunnen erreichte, um zu raſten; oft aber war es noch fern, und ſchon brannte die Sonne durch die roͤth- liche Gluthluft herab und der Sand gluͤhte unter den wunden Fuͤßen; dann ſtuͤrzten die Thiere roͤchelnd zuſammen, und den hin- ſinkenden Menſchen brach das Blut jaͤhlings aus Auge und Mund, oder ſie kauerten nieder im grinſenden Wahnwitz, waͤh- rend die Reihen aufgeloͤſt in geſpenſtiſcher Stille an den ſter- benden Kameraden voruͤberwankten. Kamen ſie endlich zu den Waſſern, ſo ſtuͤrzten ſie hin und tranken in graͤßlicher Gier, um die letzte Labung mit einem qualvollen Tode zu buͤßen. An einer der Raſtſtellen, ein faſt ausgetrocknetes Waſſer floß vor- uͤber, lagerte das Heer einen Tag und ruhte unter den Zelten; da fuͤllte ſich ploͤtzlich das Strombette und brauſend ſchwollen die Waſſer uͤber; Waffen, Thiere, Zelte, Menſchen wurden mit hin- weggeriſſen, und ehe man ſich noch zu beſinnen und zu helfen ver- mochte, war ſchon die Verwuͤſtung auf ihrem Gipfel; Alexanders Zelt und ein Theil ſeiner Waffen wurden ein Raub der Fluth, deren Gewalt er ſelbſt mit Muͤhe entrann. So haͤuften ſich die
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Jetzt zog das Heer weiter; es nahte dem furchtbarſten Theil
der Wuͤſte, in graͤßlicher Steigerung wuchs der Hunger, das
Elend, die Zuͤgelloſigkeit. Auf zehn, auf funfzehn Meilen weit
kein Waſſer, der Sand tief, heiß, wellenhaft wie ein ſtuͤrmiſches
Meer zu tiefen Duͤnen aufgeweht, in denen man mit jedem
Schritte tief einſank und ſich mit endloſer Muͤhe durchſchleppte,
um ſogleich dieſelbe Arbeit von Neuem zu beginnen; dazu das
Dunkel der Nacht, die furchtbar wachſende Aufloͤſung aller Ord-
nung, die letzte Kraft durch Hunger und Durſt erſchoͤpft oder zu
ſelbſtiſcher Gier verwildert. Man ſchlachtete die Pferde, Kameele
und Maulthiere und aß ihr Fleiſch; man ſpannte das Zugvieh
von den Wagen der Kranken, und uͤberließ dieſe ihrem graͤßlichen
Schickſal, waͤhrend das Heer in wilder Haſt weiter zog; wer
vor Muͤdigkeit oder Entkraͤftung zuruͤckblieb, der fand den Mor-
gen kaum noch die Spur des großen Heeres wieder, und fand er
ſie, ſo bemuͤhte er ſich umſonſt daſſelbe einzuholen; in ſchrecklichen
Zuckungen verſchmachtete er unter der gluͤhenden Mittagsſonne
oder verirrte in dem Labyrinth der Duͤnen, um vor Hunger und
Durſt langſam dahin zu ſterben. Gluͤcklich das Heer, wenn es
vor Tagesanbruch die Brunnen erreichte, um zu raſten; oft aber
war es noch fern, und ſchon brannte die Sonne durch die roͤth-
liche Gluthluft herab und der Sand gluͤhte unter den wunden
Fuͤßen; dann ſtuͤrzten die Thiere roͤchelnd zuſammen, und den hin-
ſinkenden Menſchen brach das Blut jaͤhlings aus Auge und
Mund, oder ſie kauerten nieder im grinſenden Wahnwitz, waͤh-
rend die Reihen aufgeloͤſt in geſpenſtiſcher Stille an den ſter-
benden Kameraden voruͤberwankten. Kamen ſie endlich zu
den Waſſern, ſo ſtuͤrzten ſie hin und tranken in graͤßlicher
Gier, um die letzte Labung mit einem qualvollen Tode zu buͤßen.
An einer der Raſtſtellen, ein faſt ausgetrocknetes Waſſer floß vor-
uͤber, lagerte das Heer einen Tag und ruhte unter den Zelten;
da fuͤllte ſich ploͤtzlich das Strombette und brauſend ſchwollen die
Waſſer uͤber; Waffen, Thiere, Zelte, Menſchen wurden mit hin-
weggeriſſen, und ehe man ſich noch zu beſinnen und zu helfen ver-
mochte, war ſchon die Verwuͤſtung auf ihrem Gipfel; Alexanders
Zelt und ein Theil ſeiner Waffen wurden ein Raub der Fluth,
deren Gewalt er ſelbſt mit Muͤhe entrann. So haͤuften ſich die
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/488>, abgerufen am 22.11.2024.
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