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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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reszug aufgescheucht, wie Vögel im Dohnenstrich fingen. In der
Nähe solcher Plätze wurde übernachtet und aus den Blättern der
Myrrhen und Narden die nächtliche Streu bereitet. Aber mit
jedem neuen Marsche wurde die Küste öder und unwegsamer. Die
Bäche erstarben im heißen Sande, auch die Vegetation hörte auf;
von Menschen und Thieren war auf weite Strecken keine Spur;
man begann die Nächte zu marschiren, um während des Tages
zu ruhen, man zog tiefer landein, um auf dem nächsten Wege
diese Einöde zurückzulegen, und zugleich für die Flotte Vorräthe
an die Küste zu schaffen; einzelne Trupps wurden dann an die
Küste hinab gesandt, die Vorräthe aufzustapeln, Brunnen zu gra-
ben, die Zugänglichkeit des Strandes für die Schiffe zu untersu-
chen. Einige dieser Reuter unter Thoas Führung brachten die Nach-
richt, an der Küste seien wenige ärmliche Fischerhütten, aus Wall-
fischribben und Seemuscheln erbaut; die Bewohner, armselig und
stumpfsinnig, lebten von gedörrten Fischen und Fischmehl, und trän-
ken das brakige Wasser der Strandgruben; man hatte das Gebiet
der Ichthyophagen erreicht. Tiefer landein, so hieß es, finde man
einzelne Dorfschaften; dorthin mußte das Heer, da der Mangel
an Lebensmitteln schon empfindlich zu werden begann. Nach lan-
gen, ermüdenden Nachtmärschen, in denen schon nicht mehr die
strengste Ordnung und Mannszucht zu erhalten war, erreichte man
diese Gegend; die Vorräthe, die sie darbot, wurden möglichst spar-
sam an das Heer vertheilt, damit das Uebrige, mit dem königli-
chen Siegel verwahrt und auf Kameele gepackt, an die Küste ge-
bracht würde; aber als Alexander mit den ersten Colonnen zum
weiteren Marsche aufbrach, rissen die bei den Vorräthen bestellten
Wachen die Siegel auf, und von ihren hungernden Kameraden
schreiend umdrängt, theilten sie aus, was sie bewahren sollten, un-
bekümmert, wie sie ihr Leben verwirkten, um es vor dem Hun-
gertode zu retten. Alexander ließ es ungeahndet; Zucht und Ge-
setz war zu Ende, es galt das nackte Leben zu retten. Er eilte
neue Vorräthe aufzutreiben und sie unter sicherer Bedeckung hin-
abzusenden; er befahl den Einwohnern, aus dem Inneren des
Landes so viel Getraide, Dattelfrucht und Schlachtvieh als irgend
möglich aufzubringen und an die Küsten zu schaffen; zuverlässige
Männer wurden zurückgelassen, diese Transporte zu besorgen.

reszug aufgeſcheucht, wie Voͤgel im Dohnenſtrich fingen. In der
Naͤhe ſolcher Plaͤtze wurde uͤbernachtet und aus den Blaͤttern der
Myrrhen und Narden die naͤchtliche Streu bereitet. Aber mit
jedem neuen Marſche wurde die Kuͤſte oͤder und unwegſamer. Die
Baͤche erſtarben im heißen Sande, auch die Vegetation hoͤrte auf;
von Menſchen und Thieren war auf weite Strecken keine Spur;
man begann die Naͤchte zu marſchiren, um waͤhrend des Tages
zu ruhen, man zog tiefer landein, um auf dem naͤchſten Wege
dieſe Einoͤde zuruͤckzulegen, und zugleich fuͤr die Flotte Vorraͤthe
an die Kuͤſte zu ſchaffen; einzelne Trupps wurden dann an die
Kuͤſte hinab geſandt, die Vorraͤthe aufzuſtapeln, Brunnen zu gra-
ben, die Zugaͤnglichkeit des Strandes fuͤr die Schiffe zu unterſu-
chen. Einige dieſer Reuter unter Thoas Fuͤhrung brachten die Nach-
richt, an der Kuͤſte ſeien wenige aͤrmliche Fiſcherhuͤtten, aus Wall-
fiſchribben und Seemuſcheln erbaut; die Bewohner, armſelig und
ſtumpfſinnig, lebten von gedoͤrrten Fiſchen und Fiſchmehl, und traͤn-
ken das brakige Waſſer der Strandgruben; man hatte das Gebiet
der Ichthyophagen erreicht. Tiefer landein, ſo hieß es, finde man
einzelne Dorfſchaften; dorthin mußte das Heer, da der Mangel
an Lebensmitteln ſchon empfindlich zu werden begann. Nach lan-
gen, ermuͤdenden Nachtmaͤrſchen, in denen ſchon nicht mehr die
ſtrengſte Ordnung und Mannszucht zu erhalten war, erreichte man
dieſe Gegend; die Vorraͤthe, die ſie darbot, wurden moͤglichſt ſpar-
ſam an das Heer vertheilt, damit das Uebrige, mit dem koͤnigli-
chen Siegel verwahrt und auf Kameele gepackt, an die Kuͤſte ge-
bracht wuͤrde; aber als Alexander mit den erſten Colonnen zum
weiteren Marſche aufbrach, riſſen die bei den Vorraͤthen beſtellten
Wachen die Siegel auf, und von ihren hungernden Kameraden
ſchreiend umdraͤngt, theilten ſie aus, was ſie bewahren ſollten, un-
bekuͤmmert, wie ſie ihr Leben verwirkten, um es vor dem Hun-
gertode zu retten. Alexander ließ es ungeahndet; Zucht und Ge-
ſetz war zu Ende, es galt das nackte Leben zu retten. Er eilte
neue Vorraͤthe aufzutreiben und ſie unter ſicherer Bedeckung hin-
abzuſenden; er befahl den Einwohnern, aus dem Inneren des
Landes ſo viel Getraide, Dattelfrucht und Schlachtvieh als irgend
moͤglich aufzubringen und an die Kuͤſten zu ſchaffen; zuverlaͤſſige
Maͤnner wurden zuruͤckgelaſſen, dieſe Transporte zu beſorgen.

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[473/0487] reszug aufgeſcheucht, wie Voͤgel im Dohnenſtrich fingen. In der Naͤhe ſolcher Plaͤtze wurde uͤbernachtet und aus den Blaͤttern der Myrrhen und Narden die naͤchtliche Streu bereitet. Aber mit jedem neuen Marſche wurde die Kuͤſte oͤder und unwegſamer. Die Baͤche erſtarben im heißen Sande, auch die Vegetation hoͤrte auf; von Menſchen und Thieren war auf weite Strecken keine Spur; man begann die Naͤchte zu marſchiren, um waͤhrend des Tages zu ruhen, man zog tiefer landein, um auf dem naͤchſten Wege dieſe Einoͤde zuruͤckzulegen, und zugleich fuͤr die Flotte Vorraͤthe an die Kuͤſte zu ſchaffen; einzelne Trupps wurden dann an die Kuͤſte hinab geſandt, die Vorraͤthe aufzuſtapeln, Brunnen zu gra- ben, die Zugaͤnglichkeit des Strandes fuͤr die Schiffe zu unterſu- chen. Einige dieſer Reuter unter Thoas Fuͤhrung brachten die Nach- richt, an der Kuͤſte ſeien wenige aͤrmliche Fiſcherhuͤtten, aus Wall- fiſchribben und Seemuſcheln erbaut; die Bewohner, armſelig und ſtumpfſinnig, lebten von gedoͤrrten Fiſchen und Fiſchmehl, und traͤn- ken das brakige Waſſer der Strandgruben; man hatte das Gebiet der Ichthyophagen erreicht. Tiefer landein, ſo hieß es, finde man einzelne Dorfſchaften; dorthin mußte das Heer, da der Mangel an Lebensmitteln ſchon empfindlich zu werden begann. Nach lan- gen, ermuͤdenden Nachtmaͤrſchen, in denen ſchon nicht mehr die ſtrengſte Ordnung und Mannszucht zu erhalten war, erreichte man dieſe Gegend; die Vorraͤthe, die ſie darbot, wurden moͤglichſt ſpar- ſam an das Heer vertheilt, damit das Uebrige, mit dem koͤnigli- chen Siegel verwahrt und auf Kameele gepackt, an die Kuͤſte ge- bracht wuͤrde; aber als Alexander mit den erſten Colonnen zum weiteren Marſche aufbrach, riſſen die bei den Vorraͤthen beſtellten Wachen die Siegel auf, und von ihren hungernden Kameraden ſchreiend umdraͤngt, theilten ſie aus, was ſie bewahren ſollten, un- bekuͤmmert, wie ſie ihr Leben verwirkten, um es vor dem Hun- gertode zu retten. Alexander ließ es ungeahndet; Zucht und Ge- ſetz war zu Ende, es galt das nackte Leben zu retten. Er eilte neue Vorraͤthe aufzutreiben und ſie unter ſicherer Bedeckung hin- abzuſenden; er befahl den Einwohnern, aus dem Inneren des Landes ſo viel Getraide, Dattelfrucht und Schlachtvieh als irgend moͤglich aufzubringen und an die Kuͤſten zu ſchaffen; zuverlaͤſſige Maͤnner wurden zuruͤckgelaſſen, dieſe Transporte zu beſorgen.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/487>, abgerufen am 27.04.2024.