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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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Indeß waren Gerüchte von diesem Kampf, von der Wunde,
vom Tode Alexanders sehr bald in das Lager an der Hyarotis-
mündung gekommen, und hatten dort eine Bewegung hervor ge-
bracht, die nicht leicht zu beschreiben ist; von Mund zu Mund
ging die Kunde, und in kurzer Zeit füllte lautes Jammern und
Weinen das Lager; dann wurde es stiller, man begann zu fragen,
was nun werden sollte, Besorgniß, Muthlosigkeit, das furchtbarere
Schweigen der Verzweiflung nahm Ueberhand; wer sollte des
Heeres Führer werden? wie sollte das Heer in die Heimath zu-
rück kehren? wie die endlosen Länderstrecken, die furchtbaren Strö-
me, die öden Gebirge, die Wüsteneien hindurch Weg und Rath
finden? wie sich vertheidigen vor allen den streitbaren Völkern,
die ihre Freiheit zu vertheidigen, ihre Unabhängigkeit wieder zu
erkämpfen, ihre Rache an den Macedoniern zu stillen, nicht länger
zögern würden, da Alexander nicht mehr zu fürchten war? Und
als die Nachricht kam, noch lebe der König, so glaubte man es
kaum, so verzweifelte man, daß er dem Tode entrinnen würde:
und als Briefe von dem Könige selbst kamen, daß er in der Ge-
nesung sei, daß er in Kurzem in das Lager zurück kehren werde,
so meinte das Heer in seiner hoffnungslosen Bekümmerniß, der
Brief sei von des Königs Feldherren erdichtet, um die Gemüther

nannten außer Alexanders Brustwunde auch noch einen Keulen-
schlag gegen den Hals. Der Pfeil selbst wurde entweder durch
Perdikkas oder durch den Asklepiaden Kritobulus von Kos (Krito-
demus bei Arrian), den berühmten Arzt des Königs Philipp, der
diesem den Pfeil von Methone aus dem Auge gelöst hatte, heraus-
gezogen, Plinius VII. 37. Das Herauslösen des Pfeils erzählt
Plutarch de fort. Alex. II. fin. etwas anders: den Pfeil aus dem
Brustbeine heraus zu ziehen, vermochte man nicht; das Rohr ab-
zusägen wollte man nicht wagen, aus Furcht, der Knochen möchte
splittern; da Alexander die Bestürzung der Umgebung sah, sing
er selbst an, das Rohr an der Oberfläche des Harnisches mit dem
Dolche wegzuschneiden, aber die Hand erstarrte und sank herab, er
befahl daher, unerschrocken anzugreifen; er schalt die Umstehenden
wegen ihres Weinens und Mitleidens, er schalt sie Verräther, da
sie ihm ihre Hülfe versagten u. s. w.

Indeß waren Geruͤchte von dieſem Kampf, von der Wunde,
vom Tode Alexanders ſehr bald in das Lager an der Hyarotis-
muͤndung gekommen, und hatten dort eine Bewegung hervor ge-
bracht, die nicht leicht zu beſchreiben iſt; von Mund zu Mund
ging die Kunde, und in kurzer Zeit fuͤllte lautes Jammern und
Weinen das Lager; dann wurde es ſtiller, man begann zu fragen,
was nun werden ſollte, Beſorgniß, Muthloſigkeit, das furchtbarere
Schweigen der Verzweiflung nahm Ueberhand; wer ſollte des
Heeres Fuͤhrer werden? wie ſollte das Heer in die Heimath zu-
ruͤck kehren? wie die endloſen Laͤnderſtrecken, die furchtbaren Stroͤ-
me, die oͤden Gebirge, die Wuͤſteneien hindurch Weg und Rath
finden? wie ſich vertheidigen vor allen den ſtreitbaren Voͤlkern,
die ihre Freiheit zu vertheidigen, ihre Unabhaͤngigkeit wieder zu
erkaͤmpfen, ihre Rache an den Macedoniern zu ſtillen, nicht laͤnger
zoͤgern wuͤrden, da Alexander nicht mehr zu fuͤrchten war? Und
als die Nachricht kam, noch lebe der Koͤnig, ſo glaubte man es
kaum, ſo verzweifelte man, daß er dem Tode entrinnen wuͤrde:
und als Briefe von dem Koͤnige ſelbſt kamen, daß er in der Ge-
neſung ſei, daß er in Kurzem in das Lager zuruͤck kehren werde,
ſo meinte das Heer in ſeiner hoffnungsloſen Bekuͤmmerniß, der
Brief ſei von des Koͤnigs Feldherren erdichtet, um die Gemuͤther

nannten außer Alexanders Bruſtwunde auch noch einen Keulen-
ſchlag gegen den Hals. Der Pfeil ſelbſt wurde entweder durch
Perdikkas oder durch den Asklepiaden Kritobulus von Kos (Krito-
demus bei Arrian), den beruͤhmten Arzt des Koͤnigs Philipp, der
dieſem den Pfeil von Methone aus dem Auge geloͤſt hatte, heraus-
gezogen, Plinius VII. 37. Das Herausloͤſen des Pfeils erzaͤhlt
Plutarch de fort. Alex. II. fin. etwas anders: den Pfeil aus dem
Bruſtbeine heraus zu ziehen, vermochte man nicht; das Rohr ab-
zuſaͤgen wollte man nicht wagen, aus Furcht, der Knochen moͤchte
ſplittern; da Alexander die Beſtuͤrzung der Umgebung ſah, ſing
er ſelbſt an, das Rohr an der Oberflaͤche des Harniſches mit dem
Dolche wegzuſchneiden, aber die Hand erſtarrte und ſank herab, er
befahl daher, unerſchrocken anzugreifen; er ſchalt die Umſtehenden
wegen ihres Weinens und Mitleidens, er ſchalt ſie Verraͤther, da
ſie ihm ihre Huͤlfe verſagten u. ſ. w.
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[441/0455] Indeß waren Geruͤchte von dieſem Kampf, von der Wunde, vom Tode Alexanders ſehr bald in das Lager an der Hyarotis- muͤndung gekommen, und hatten dort eine Bewegung hervor ge- bracht, die nicht leicht zu beſchreiben iſt; von Mund zu Mund ging die Kunde, und in kurzer Zeit fuͤllte lautes Jammern und Weinen das Lager; dann wurde es ſtiller, man begann zu fragen, was nun werden ſollte, Beſorgniß, Muthloſigkeit, das furchtbarere Schweigen der Verzweiflung nahm Ueberhand; wer ſollte des Heeres Fuͤhrer werden? wie ſollte das Heer in die Heimath zu- ruͤck kehren? wie die endloſen Laͤnderſtrecken, die furchtbaren Stroͤ- me, die oͤden Gebirge, die Wuͤſteneien hindurch Weg und Rath finden? wie ſich vertheidigen vor allen den ſtreitbaren Voͤlkern, die ihre Freiheit zu vertheidigen, ihre Unabhaͤngigkeit wieder zu erkaͤmpfen, ihre Rache an den Macedoniern zu ſtillen, nicht laͤnger zoͤgern wuͤrden, da Alexander nicht mehr zu fuͤrchten war? Und als die Nachricht kam, noch lebe der Koͤnig, ſo glaubte man es kaum, ſo verzweifelte man, daß er dem Tode entrinnen wuͤrde: und als Briefe von dem Koͤnige ſelbſt kamen, daß er in der Ge- neſung ſei, daß er in Kurzem in das Lager zuruͤck kehren werde, ſo meinte das Heer in ſeiner hoffnungsloſen Bekuͤmmerniß, der Brief ſei von des Koͤnigs Feldherren erdichtet, um die Gemuͤther 97) 97) nannten außer Alexanders Bruſtwunde auch noch einen Keulen- ſchlag gegen den Hals. Der Pfeil ſelbſt wurde entweder durch Perdikkas oder durch den Asklepiaden Kritobulus von Kos (Krito- demus bei Arrian), den beruͤhmten Arzt des Koͤnigs Philipp, der dieſem den Pfeil von Methone aus dem Auge geloͤſt hatte, heraus- gezogen, Plinius VII. 37. Das Herausloͤſen des Pfeils erzaͤhlt Plutarch de fort. Alex. II. fin. etwas anders: den Pfeil aus dem Bruſtbeine heraus zu ziehen, vermochte man nicht; das Rohr ab- zuſaͤgen wollte man nicht wagen, aus Furcht, der Knochen moͤchte ſplittern; da Alexander die Beſtuͤrzung der Umgebung ſah, ſing er ſelbſt an, das Rohr an der Oberflaͤche des Harniſches mit dem Dolche wegzuſchneiden, aber die Hand erſtarrte und ſank herab, er befahl daher, unerſchrocken anzugreifen; er ſchalt die Umſtehenden wegen ihres Weinens und Mitleidens, er ſchalt ſie Verraͤther, da ſie ihm ihre Huͤlfe verſagten u. ſ. w.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/455>, abgerufen am 22.11.2024.