so weit zu nahen, daß sein Geschütz ihre Mauern zerschmettern konnte. Mit dem nächsten Morgen begann die Arbeit, der König war überall, zu loben, zu ermuntern, selbst Hand an zu legen; mit dem lebendigsten Wetteifer wurde gearbeitet, Bäume gefällt, in die Tiefe gesenkt, Felsstücke aufgethürmt, Erde aufgeschüttet; schon war am Ende des ersten Tages eine Strecke von dreihundert Schritten gebaut; die Indier, anfangs voll Spott über dieß tollkühne Unternehmen, suchten am nächsten Tage die Arbeit zu stören; bald war der Damm weit genug vorgerückt, daß die Schleuderer und die Maschinen von seiner Höhe aus ihre An- griffe abzuwehren vermochte. Am sechsten Tage war der Damm bis in die Nähe einer isolirten Felsspitze gelangt, die, in gleicher Höhe mit der Burg, von den Feinden besetzt war; sie zu behaup- ten oder zu erobern, wurde für das Schicksal der Burg entschei- dend. Eine Schaar auserwählter Macedonier wurde gegen sie ge- sandt; ein entsetzlicher Kampf begann; Alexander selbst eilte an der Spitze seiner Leibschaar nach; mit der größten Anstrengung wurde die Höhe erstürmt. Dieß und das stete Näherrücken des Dammes, den nichts mehr aufzuhalten vermochte, ließ die Indier daran ver- zweifeln, sich auf die Dauer gegen einen Feind zu behaupten, den Felsen und Abgründe nicht hemmten, sondern langsam aber desto sicherer zum Ziele führten, und der den staunenswürdigen Beweis gab, daß Menschenwille und Menschenkraft auch die letzte Schei- dewand, welche die Natur in ihren Riesengestaltungen aufgethürmt, zu überwinden und zu einem Mittel seiner Zwecke umzuschaffen im Stande sei. Sie sandten an Alexander einen Herold ab, mit dem Erbieten, unter günstigen Bedingungen die Feste zu überge- ben; sie wollten nur bis zur Nacht Zeit gewinnen, um sich dann auf geheimen Wegen aus der Feste in das flache Land zu zer- streuen. Alexander merkte ihre Absicht; er zog seine Posten ein, und ließ die Feinde ungestört ihren Abzug beginnen; dann wählte er siebenhundert der Hypaspisten aus, zog in der Stille der Nacht den Felsen hinauf, und begann die verlassene Mauer zu erklettern; er selbst war der erste oben; sobald seine Schaar an verschiedenen Punkten nachgestiegen war, stürzten sie alle mit lautem Kriegsge- schrei über die nur zur Flucht gerüsteten Feinde; viele wurden er- schlagen, andere zerschmetterten in den Abgründen; am nächsten
ſo weit zu nahen, daß ſein Geſchuͤtz ihre Mauern zerſchmettern konnte. Mit dem naͤchſten Morgen begann die Arbeit, der Koͤnig war uͤberall, zu loben, zu ermuntern, ſelbſt Hand an zu legen; mit dem lebendigſten Wetteifer wurde gearbeitet, Baͤume gefaͤllt, in die Tiefe geſenkt, Felsſtuͤcke aufgethuͤrmt, Erde aufgeſchuͤttet; ſchon war am Ende des erſten Tages eine Strecke von dreihundert Schritten gebaut; die Indier, anfangs voll Spott uͤber dieß tollkuͤhne Unternehmen, ſuchten am naͤchſten Tage die Arbeit zu ſtoͤren; bald war der Damm weit genug vorgeruͤckt, daß die Schleuderer und die Maſchinen von ſeiner Hoͤhe aus ihre An- griffe abzuwehren vermochte. Am ſechsten Tage war der Damm bis in die Naͤhe einer iſolirten Felsſpitze gelangt, die, in gleicher Hoͤhe mit der Burg, von den Feinden beſetzt war; ſie zu behaup- ten oder zu erobern, wurde fuͤr das Schickſal der Burg entſchei- dend. Eine Schaar auserwaͤhlter Macedonier wurde gegen ſie ge- ſandt; ein entſetzlicher Kampf begann; Alexander ſelbſt eilte an der Spitze ſeiner Leibſchaar nach; mit der groͤßten Anſtrengung wurde die Hoͤhe erſtuͤrmt. Dieß und das ſtete Naͤherruͤcken des Dammes, den nichts mehr aufzuhalten vermochte, ließ die Indier daran ver- zweifeln, ſich auf die Dauer gegen einen Feind zu behaupten, den Felſen und Abgruͤnde nicht hemmten, ſondern langſam aber deſto ſicherer zum Ziele fuͤhrten, und der den ſtaunenswuͤrdigen Beweis gab, daß Menſchenwille und Menſchenkraft auch die letzte Schei- dewand, welche die Natur in ihren Rieſengeſtaltungen aufgethuͤrmt, zu uͤberwinden und zu einem Mittel ſeiner Zwecke umzuſchaffen im Stande ſei. Sie ſandten an Alexander einen Herold ab, mit dem Erbieten, unter guͤnſtigen Bedingungen die Feſte zu uͤberge- ben; ſie wollten nur bis zur Nacht Zeit gewinnen, um ſich dann auf geheimen Wegen aus der Feſte in das flache Land zu zer- ſtreuen. Alexander merkte ihre Abſicht; er zog ſeine Poſten ein, und ließ die Feinde ungeſtoͤrt ihren Abzug beginnen; dann waͤhlte er ſiebenhundert der Hypaspiſten aus, zog in der Stille der Nacht den Felſen hinauf, und begann die verlaſſene Mauer zu erklettern; er ſelbſt war der erſte oben; ſobald ſeine Schaar an verſchiedenen Punkten nachgeſtiegen war, ſtuͤrzten ſie alle mit lautem Kriegsge- ſchrei uͤber die nur zur Flucht geruͤſteten Feinde; viele wurden er- ſchlagen, andere zerſchmetterten in den Abgruͤnden; am naͤchſten
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ſo weit zu nahen, daß ſein Geſchuͤtz ihre Mauern zerſchmettern
konnte. Mit dem naͤchſten Morgen begann die Arbeit, der Koͤnig
war uͤberall, zu loben, zu ermuntern, ſelbſt Hand an zu legen; mit
dem lebendigſten Wetteifer wurde gearbeitet, Baͤume gefaͤllt, in die
Tiefe geſenkt, Felsſtuͤcke aufgethuͤrmt, Erde aufgeſchuͤttet; ſchon
war am Ende des erſten Tages eine Strecke von dreihundert
Schritten gebaut; die Indier, anfangs voll Spott uͤber dieß
tollkuͤhne Unternehmen, ſuchten am naͤchſten Tage die Arbeit zu
ſtoͤren; bald war der Damm weit genug vorgeruͤckt, daß die
Schleuderer und die Maſchinen von ſeiner Hoͤhe aus ihre An-
griffe abzuwehren vermochte. Am ſechsten Tage war der Damm
bis in die Naͤhe einer iſolirten Felsſpitze gelangt, die, in gleicher
Hoͤhe mit der Burg, von den Feinden beſetzt war; ſie zu behaup-
ten oder zu erobern, wurde fuͤr das Schickſal der Burg entſchei-
dend. Eine Schaar auserwaͤhlter Macedonier wurde gegen ſie ge-
ſandt; ein entſetzlicher Kampf begann; Alexander ſelbſt eilte an der
Spitze ſeiner Leibſchaar nach; mit der groͤßten Anſtrengung wurde
die Hoͤhe erſtuͤrmt. Dieß und das ſtete Naͤherruͤcken des Dammes,
den nichts mehr aufzuhalten vermochte, ließ die Indier daran ver-
zweifeln, ſich auf die Dauer gegen einen Feind zu behaupten, den
Felſen und Abgruͤnde nicht hemmten, ſondern langſam aber deſto
ſicherer zum Ziele fuͤhrten, und der den ſtaunenswuͤrdigen Beweis
gab, daß Menſchenwille und Menſchenkraft auch die letzte Schei-
dewand, welche die Natur in ihren Rieſengeſtaltungen aufgethuͤrmt,
zu uͤberwinden und zu einem Mittel ſeiner Zwecke umzuſchaffen
im Stande ſei. Sie ſandten an Alexander einen Herold ab, mit
dem Erbieten, unter guͤnſtigen Bedingungen die Feſte zu uͤberge-
ben; ſie wollten nur bis zur Nacht Zeit gewinnen, um ſich dann
auf geheimen Wegen aus der Feſte in das flache Land zu zer-
ſtreuen. Alexander merkte ihre Abſicht; er zog ſeine Poſten ein,
und ließ die Feinde ungeſtoͤrt ihren Abzug beginnen; dann waͤhlte
er ſiebenhundert der Hypaspiſten aus, zog in der Stille der Nacht
den Felſen hinauf, und begann die verlaſſene Mauer zu erklettern;
er ſelbſt war der erſte oben; ſobald ſeine Schaar an verſchiedenen
Punkten nachgeſtiegen war, ſtuͤrzten ſie alle mit lautem Kriegsge-
ſchrei uͤber die nur zur Flucht geruͤſteten Feinde; viele wurden er-
ſchlagen, andere zerſchmetterten in den Abgruͤnden; am naͤchſten
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/393>, abgerufen am 23.11.2024.
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