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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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ner Wache die Lanze aus der Hand und schleuderte sie gegen Kli-
tus, der zähneknirschend und röchelnd zu Boden sank. Entsetzt wi-
chen die Freunde, des Königs Zorn war gebrochen; Bewußtsein,
Schmerz, Verzweiflung bewältigten ihn; man sagt, er habe den
Speer aus Klitus Brust gezogen und gegen den Boden gestemmt,
sich auf der Leiche zu ermorden; die Freunde hielten ihn zurück,
sie brachten ihn auf sein Lager. Dort lag er weinend und weh-
klagend, und rief den Namen des Ermordeten und den Namen
seiner Amme Lanice, der Schwester des Ermordeten: das sei der
schöne Ammenlohn, den ihr Pflegling zahle; ihre Söhne seien für
ihn kämpfend gefallen, ihren Bruder habe er mit eigener Hand [er-]
mordet, ermordet den, der sein Leben gerettet; er gedachte des gr[ei-]
sen Parmenion und seiner Söhne, er wurde nicht satt, sich an[zu-]
klagen als den Mörder seiner Freunde, sich zu verfluchen und [den]
Tod zu rufen. So lag er drei Tage lang über Klitus Leich[nam]
eingeschlossen in seinem Zelte, ohne Schlaf, ohne Speise und Tr[ank,]
endlich vor Ermattung stumm; nur einzelne tiefe Seufzer tö[nten]
noch aus dem Zelte hervor. Die Truppen, voll banger Sorge [um]
ihren König, kamen zusammen und richteten über den Todten: [er]
sei mit Recht getödtet; sie riefen nach ihrem Könige, der aber hö[rte]
sie nicht; endlich wagten es die Generale, das Zelt zu öffnen, [sie]
trugen den Leichnam hinaus, sie beschworen den König, seines [Hee-]
res und seines Reiches zu gedenken, sie sagten, nach den Zeich[en]
der Götter habe Dionysos die unselige That verhängt, sie erla[ng-]
ten es endlich, daß Alexander aß und trank und sein Zelt verl[ieß;]
dann ward er ruhiger, er befahl dem zürnenden Gotte zu opf[ern;]
mit kriegerischem Freudengeschrei empfingen ihn seine treuen Sch[aa-]
ren 70). --

Während dieser Vorgänge in Marakanda hatte Spitam[enes]
noch einmal einen Versuch gemacht, in die Baktrischen Lande [ein-]
zudringen; unter den Massageten, zu denen er mit dem Rest [sei]
ner Sogdianer geflüchtet war, hatte er einen Haufen von sechs [bis]
achthundert Reutern angeworben und war an deren Spitze plö[tz-]
lich vor einem der festen Grenzplätze erschienen, hatte die Besatz[ung]
herauszulocken gewußt und sie dann von einem Hinterhalt her ü[ber-]

70) Arrian. Curt. Diod. Plut.

ner Wache die Lanze aus der Hand und ſchleuderte ſie gegen Kli-
tus, der zaͤhneknirſchend und roͤchelnd zu Boden ſank. Entſetzt wi-
chen die Freunde, des Koͤnigs Zorn war gebrochen; Bewußtſein,
Schmerz, Verzweiflung bewaͤltigten ihn; man ſagt, er habe den
Speer aus Klitus Bruſt gezogen und gegen den Boden geſtemmt,
ſich auf der Leiche zu ermorden; die Freunde hielten ihn zuruͤck,
ſie brachten ihn auf ſein Lager. Dort lag er weinend und weh-
klagend, und rief den Namen des Ermordeten und den Namen
ſeiner Amme Lanice, der Schweſter des Ermordeten: das ſei der
ſchoͤne Ammenlohn, den ihr Pflegling zahle; ihre Soͤhne ſeien für
ihn kaͤmpfend gefallen, ihren Bruder habe er mit eigener Hand [er-]
mordet, ermordet den, der ſein Leben gerettet; er gedachte des gr[ei-]
ſen Parmenion und ſeiner Soͤhne, er wurde nicht ſatt, ſich an[zu-]
klagen als den Moͤrder ſeiner Freunde, ſich zu verfluchen und [den]
Tod zu rufen. So lag er drei Tage lang uͤber Klitus Leich[nam]
eingeſchloſſen in ſeinem Zelte, ohne Schlaf, ohne Speiſe und Tr[ank,]
endlich vor Ermattung ſtumm; nur einzelne tiefe Seufzer toͤ[nten]
noch aus dem Zelte hervor. Die Truppen, voll banger Sorge [um]
ihren Koͤnig, kamen zuſammen und richteten uͤber den Todten: [er]
ſei mit Recht getoͤdtet; ſie riefen nach ihrem Koͤnige, der aber hoͤ[rte]
ſie nicht; endlich wagten es die Generale, das Zelt zu oͤffnen, [ſie]
trugen den Leichnam hinaus, ſie beſchworen den Koͤnig, ſeines [Hee-]
res und ſeines Reiches zu gedenken, ſie ſagten, nach den Zeich[en]
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ten es endlich, daß Alexander aß und trank und ſein Zelt verl[ieß;]
dann ward er ruhiger, er befahl dem zuͤrnenden Gotte zu opf[ern;]
mit kriegeriſchem Freudengeſchrei empfingen ihn ſeine treuen Sch[aa-]
ren 70). —

Waͤhrend dieſer Vorgaͤnge in Marakanda hatte Spitam[enes]
noch einmal einen Verſuch gemacht, in die Baktriſchen Lande [ein-]
zudringen; unter den Maſſageten, zu denen er mit dem Reſt [ſei]
ner Sogdianer gefluͤchtet war, hatte er einen Haufen von ſechs [bis]
achthundert Reutern angeworben und war an deren Spitze ploͤ[tz-]
lich vor einem der feſten Grenzplaͤtze erſchienen, hatte die Beſatz[ung]
herauszulocken gewußt und ſie dann von einem Hinterhalt her uͤ[ber-]

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[338/0352] ner Wache die Lanze aus der Hand und ſchleuderte ſie gegen Kli- tus, der zaͤhneknirſchend und roͤchelnd zu Boden ſank. Entſetzt wi- chen die Freunde, des Koͤnigs Zorn war gebrochen; Bewußtſein, Schmerz, Verzweiflung bewaͤltigten ihn; man ſagt, er habe den Speer aus Klitus Bruſt gezogen und gegen den Boden geſtemmt, ſich auf der Leiche zu ermorden; die Freunde hielten ihn zuruͤck, ſie brachten ihn auf ſein Lager. Dort lag er weinend und weh- klagend, und rief den Namen des Ermordeten und den Namen ſeiner Amme Lanice, der Schweſter des Ermordeten: das ſei der ſchoͤne Ammenlohn, den ihr Pflegling zahle; ihre Soͤhne ſeien für ihn kaͤmpfend gefallen, ihren Bruder habe er mit eigener Hand er- mordet, ermordet den, der ſein Leben gerettet; er gedachte des grei- ſen Parmenion und ſeiner Soͤhne, er wurde nicht ſatt, ſich anzu- klagen als den Moͤrder ſeiner Freunde, ſich zu verfluchen und den Tod zu rufen. So lag er drei Tage lang uͤber Klitus Leichnam eingeſchloſſen in ſeinem Zelte, ohne Schlaf, ohne Speiſe und Trank, endlich vor Ermattung ſtumm; nur einzelne tiefe Seufzer toͤnten noch aus dem Zelte hervor. Die Truppen, voll banger Sorge um ihren Koͤnig, kamen zuſammen und richteten uͤber den Todten: er ſei mit Recht getoͤdtet; ſie riefen nach ihrem Koͤnige, der aber hoͤrte ſie nicht; endlich wagten es die Generale, das Zelt zu oͤffnen, ſie trugen den Leichnam hinaus, ſie beſchworen den Koͤnig, ſeines Hee- res und ſeines Reiches zu gedenken, ſie ſagten, nach den Zeichen der Goͤtter habe Dionyſos die unſelige That verhaͤngt, ſie erlang- ten es endlich, daß Alexander aß und trank und ſein Zelt verließ; dann ward er ruhiger, er befahl dem zuͤrnenden Gotte zu opfern; mit kriegeriſchem Freudengeſchrei empfingen ihn ſeine treuen Schaa- ren 70). — Waͤhrend dieſer Vorgaͤnge in Marakanda hatte Spitamenes noch einmal einen Verſuch gemacht, in die Baktriſchen Lande ein- zudringen; unter den Maſſageten, zu denen er mit dem Reſt ſei ner Sogdianer gefluͤchtet war, hatte er einen Haufen von ſechs bis achthundert Reutern angeworben und war an deren Spitze ploͤtz- lich vor einem der feſten Grenzplaͤtze erſchienen, hatte die Beſatzung herauszulocken gewußt und ſie dann von einem Hinterhalt her uͤber- 70) Arrian. Curt. Diod. Plut.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/352>, abgerufen am 07.05.2024.