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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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bedachte Frage sein, wer nach ihm das Diadem erhalten sollte; bei
der bekannten Anhänglichkeit der Macedonier für legitime Fürsten
konnte es Niemanden einfallen, etwa Parmenion oder seinen Sohn
oder einen Anderen der Generale auf den Thron zu setzen; dagegen
mußte der Lynkestier Alexander um so erwünschter sein, als durch
ihn, worauf gewiß besonders Rücksicht zu nehmen war, Antipater,
sein Schwiegervater, für die neue Ordnung der Dinge gewonnen
werden konnte; und es ist in der That merkwürdig, daß Antipater,
sobald er von den Vorgängen in Prophthasia und Ekbatana unter-
richtet war, Schritte that, die ohne solchen Zusammenhang unbe-
greiflich wären, daß er sich namentlich ins Geheim mit den Aeto-
liern verband, die Alexander wegen Zerstörung der ihm ergebenen
Stadt Oeniadä auf das Strengste zu bestrafen befohlen hatte; eine
Vorsicht, die für den Augenblick ohne weiteren Erfolg war, aber
dem Könige nicht unbekannt blieb, und der erste Beginn eines Mis-
trauens wurde, das in der Folgezeit sich vielfach bethätigen sollte 20).

Auf diese Weise war das Attentat gegen des Königs Leben
mit der strengsten Gerechtigkeit bestraft worden; das Herr hatte in
seiner richterlichen Entscheidung gezeigt, daß es, weit entfernt, Mis-
trauen oder Abneigung gegen Alexander zu hegen, vielmehr diejeni-
gen verabscheute, die, unter dem Vorwande, die Macedonische Sitte
aufrecht erhalten zu wollen, nur ihren Ehrgeiz und ihre Habsucht
zu befriedigen gedachten; und wenn selbst die Macedonier Alexanders
Medische Tracht früher ungern gesehen hatten, so war er ihnen durch
die große Gefahr, der er entronnen, durch dies ächt Macedonische Ge-
richt, in dem er nach alterthümlicher Weise als Kläger erschien,
durch die Anhänglichkeit selbst, die sie ihm bezeugt hatten, von
Neuem zu werth geworden, als daß sie an so kleinen Aeußerlich-
keiten hätten haften sollen. Ueberhaupt ist stets die Menge geneig-
ter zu bewundern, und durch Selbstsucht weniger mistrauisch als die
Vornehmeren; diese waren durch das strenge Strafexempel genugsam
geschreckt, um nicht wieder durch ihre engherzigen und eifersüchtigen
Besorgnisse die Pläne des Königs zu stören oder in dem Wahne, die
Gleichen des Königs zu sein, übertriebene Ansprüche zu machen; das
zu große Ansehn, das Parmenion durch seinen alten Ruhm, Philotas

20) Plut. Alex. 49.

bedachte Frage ſein, wer nach ihm das Diadem erhalten ſollte; bei
der bekannten Anhänglichkeit der Macedonier für legitime Fürſten
konnte es Niemanden einfallen, etwa Parmenion oder ſeinen Sohn
oder einen Anderen der Generale auf den Thron zu ſetzen; dagegen
mußte der Lynkeſtier Alexander um ſo erwünſchter ſein, als durch
ihn, worauf gewiß beſonders Rückſicht zu nehmen war, Antipater,
ſein Schwiegervater, für die neue Ordnung der Dinge gewonnen
werden konnte; und es iſt in der That merkwürdig, daß Antipater,
ſobald er von den Vorgängen in Prophthaſia und Ekbatana unter-
richtet war, Schritte that, die ohne ſolchen Zuſammenhang unbe-
greiflich wären, daß er ſich namentlich ins Geheim mit den Aeto-
liern verband, die Alexander wegen Zerſtörung der ihm ergebenen
Stadt Oeniadä auf das Strengſte zu beſtrafen befohlen hatte; eine
Vorſicht, die für den Augenblick ohne weiteren Erfolg war, aber
dem Könige nicht unbekannt blieb, und der erſte Beginn eines Mis-
trauens wurde, das in der Folgezeit ſich vielfach bethätigen ſollte 20).

Auf dieſe Weiſe war das Attentat gegen des Königs Leben
mit der ſtrengſten Gerechtigkeit beſtraft worden; das Herr hatte in
ſeiner richterlichen Entſcheidung gezeigt, daß es, weit entfernt, Mis-
trauen oder Abneigung gegen Alexander zu hegen, vielmehr diejeni-
gen verabſcheute, die, unter dem Vorwande, die Macedoniſche Sitte
aufrecht erhalten zu wollen, nur ihren Ehrgeiz und ihre Habſucht
zu befriedigen gedachten; und wenn ſelbſt die Macedonier Alexanders
Mediſche Tracht früher ungern geſehen hatten, ſo war er ihnen durch
die große Gefahr, der er entronnen, durch dies ächt Macedoniſche Ge-
richt, in dem er nach alterthümlicher Weiſe als Kläger erſchien,
durch die Anhänglichkeit ſelbſt, die ſie ihm bezeugt hatten, von
Neuem zu werth geworden, als daß ſie an ſo kleinen Aeußerlich-
keiten hätten haften ſollen. Ueberhaupt iſt ſtets die Menge geneig-
ter zu bewundern, und durch Selbſtſucht weniger mistrauiſch als die
Vornehmeren; dieſe waren durch das ſtrenge Strafexempel genugſam
geſchreckt, um nicht wieder durch ihre engherzigen und eiferſüchtigen
Beſorgniſſe die Pläne des Königs zu ſtören oder in dem Wahne, die
Gleichen des Königs zu ſein, übertriebene Anſprüche zu machen; das
zu große Anſehn, das Parmenion durch ſeinen alten Ruhm, Philotas

20) Plut. Alex. 49.
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[298/0312] bedachte Frage ſein, wer nach ihm das Diadem erhalten ſollte; bei der bekannten Anhänglichkeit der Macedonier für legitime Fürſten konnte es Niemanden einfallen, etwa Parmenion oder ſeinen Sohn oder einen Anderen der Generale auf den Thron zu ſetzen; dagegen mußte der Lynkeſtier Alexander um ſo erwünſchter ſein, als durch ihn, worauf gewiß beſonders Rückſicht zu nehmen war, Antipater, ſein Schwiegervater, für die neue Ordnung der Dinge gewonnen werden konnte; und es iſt in der That merkwürdig, daß Antipater, ſobald er von den Vorgängen in Prophthaſia und Ekbatana unter- richtet war, Schritte that, die ohne ſolchen Zuſammenhang unbe- greiflich wären, daß er ſich namentlich ins Geheim mit den Aeto- liern verband, die Alexander wegen Zerſtörung der ihm ergebenen Stadt Oeniadä auf das Strengſte zu beſtrafen befohlen hatte; eine Vorſicht, die für den Augenblick ohne weiteren Erfolg war, aber dem Könige nicht unbekannt blieb, und der erſte Beginn eines Mis- trauens wurde, das in der Folgezeit ſich vielfach bethätigen ſollte 20). Auf dieſe Weiſe war das Attentat gegen des Königs Leben mit der ſtrengſten Gerechtigkeit beſtraft worden; das Herr hatte in ſeiner richterlichen Entſcheidung gezeigt, daß es, weit entfernt, Mis- trauen oder Abneigung gegen Alexander zu hegen, vielmehr diejeni- gen verabſcheute, die, unter dem Vorwande, die Macedoniſche Sitte aufrecht erhalten zu wollen, nur ihren Ehrgeiz und ihre Habſucht zu befriedigen gedachten; und wenn ſelbſt die Macedonier Alexanders Mediſche Tracht früher ungern geſehen hatten, ſo war er ihnen durch die große Gefahr, der er entronnen, durch dies ächt Macedoniſche Ge- richt, in dem er nach alterthümlicher Weiſe als Kläger erſchien, durch die Anhänglichkeit ſelbſt, die ſie ihm bezeugt hatten, von Neuem zu werth geworden, als daß ſie an ſo kleinen Aeußerlich- keiten hätten haften ſollen. Ueberhaupt iſt ſtets die Menge geneig- ter zu bewundern, und durch Selbſtſucht weniger mistrauiſch als die Vornehmeren; dieſe waren durch das ſtrenge Strafexempel genugſam geſchreckt, um nicht wieder durch ihre engherzigen und eiferſüchtigen Beſorgniſſe die Pläne des Königs zu ſtören oder in dem Wahne, die Gleichen des Königs zu ſein, übertriebene Anſprüche zu machen; das zu große Anſehn, das Parmenion durch ſeinen alten Ruhm, Philotas 20) Plut. Alex. 49.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/312>, abgerufen am 23.04.2024.