Alexander hatte die Perserflotte und ihre Bewegungen in den Hellenischen Gewässern nicht mehr zu fürchten. Freilich war sie ausgezogen, die Macedonische Macht da anzugreifen, wo jede Wunde tödtlich werden mußte; ein Sieg an der Küste von Hellas, ein energisches Auftreten im Peloponnes konnte den Plan Alexanders von Grund aus zerstören. Aber eben so war ihre Existenz mit dem Vordringen Alexanders gefährdet, und die größere Kühnheit und Consequenz des Willens durfte des ersten Sieges, und damit der mittelbaren Bewältigung des Gegners gewiß sein. Dazu kam, daß der Perserkönig die Wichtigkeit der Flotte und des Planes, den Memnon mit ihr gehabt hatte, verkannte; er hatte ihr im Laufe des Sommers die Griechischen Söldner genommen und die- selben nach Tripolis beschieden, um sie mit den übrigen Völkern bei Issus aufzuopfern. Die Flotte, um eine bedeutende Anzahl von Schiffen und Kämpfern vermindert, war in ihren Bewegungen ge- lähmt; dazu kam die sichtliche Unfähigkeit ihrer Befehlshaber; wäh- rend Alexander in Cilicien vordrang, hatten Pharnabazus und Au- tophradates, statt mit der gesammten Macht zu einem Hauptschlage auszuziehen, ihre Flotte in einzelne Geschwader aufgelöst, trieben sich selbst mit einem Theil ihrer Schiffe in der Gegend von Chios umher und brandschatzten, wo sie konnten, ohne sich darum zu be- kümmern, daß die wenigen Plätze, die noch an der Karischen Küste in den Händen der Perser waren, von den Statthaltern Alexanders erorbert wurden. Ein anderes Geschwader bei Cos behauptete diese Insel, den größten Theil der Flotte ließ man auf der Rhede von Siph- nos vor Anker, vielleicht in der Hoffnung, daß die Parthei des De- mosthenes in Athen, so wie die ihrer Heimath beraubten Thebaner einen Aufstand gegen Alexander beginnen würden; doch begnügten sich beide, zunächst Gesandte an den Großkönig zu senden. Eifriger war der Lacedämonische König Agis; nur mit einer Triere, aber mit offenbar sehr zweckmäßigen Plänen kam er zu den Admiralen nach Siphnos; bereit, gegen die Macedonier zu kriegen, verlangte er Subsidien und eine möglichst große Land- und Seemacht, um mit dieser nach dem Peloponnes abzugehen, und von da aus, mit den einzelnen Griechischen Staaten vereint, die nur das Zeichen zum Ab- fall zu erwarten schienen, gegen Antipater vorzurücken. Da gerade traf die Nachricht von der Schlacht bei Issus ein, die den Plänen
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Alexander hatte die Perſerflotte und ihre Bewegungen in den Helleniſchen Gewäſſern nicht mehr zu fürchten. Freilich war ſie ausgezogen, die Macedoniſche Macht da anzugreifen, wo jede Wunde tödtlich werden mußte; ein Sieg an der Küſte von Hellas, ein energiſches Auftreten im Peloponnes konnte den Plan Alexanders von Grund aus zerſtören. Aber eben ſo war ihre Exiſtenz mit dem Vordringen Alexanders gefährdet, und die größere Kühnheit und Conſequenz des Willens durfte des erſten Sieges, und damit der mittelbaren Bewältigung des Gegners gewiß ſein. Dazu kam, daß der Perſerkönig die Wichtigkeit der Flotte und des Planes, den Memnon mit ihr gehabt hatte, verkannte; er hatte ihr im Laufe des Sommers die Griechiſchen Söldner genommen und die- ſelben nach Tripolis beſchieden, um ſie mit den übrigen Völkern bei Iſſus aufzuopfern. Die Flotte, um eine bedeutende Anzahl von Schiffen und Kämpfern vermindert, war in ihren Bewegungen ge- lähmt; dazu kam die ſichtliche Unfähigkeit ihrer Befehlshaber; wäh- rend Alexander in Cilicien vordrang, hatten Pharnabazus und Au- tophradates, ſtatt mit der geſammten Macht zu einem Hauptſchlage auszuziehen, ihre Flotte in einzelne Geſchwader aufgelöſt, trieben ſich ſelbſt mit einem Theil ihrer Schiffe in der Gegend von Chios umher und brandſchatzten, wo ſie konnten, ohne ſich darum zu be- kümmern, daß die wenigen Plätze, die noch an der Kariſchen Küſte in den Händen der Perſer waren, von den Statthaltern Alexanders erorbert wurden. Ein anderes Geſchwader bei Cos behauptete dieſe Inſel, den größten Theil der Flotte ließ man auf der Rhede von Siph- nos vor Anker, vielleicht in der Hoffnung, daß die Parthei des De- moſthenes in Athen, ſo wie die ihrer Heimath beraubten Thebaner einen Aufſtand gegen Alexander beginnen würden; doch begnügten ſich beide, zunächſt Geſandte an den Großkönig zu ſenden. Eifriger war der Lacedämoniſche König Agis; nur mit einer Triere, aber mit offenbar ſehr zweckmäßigen Plänen kam er zu den Admiralen nach Siphnos; bereit, gegen die Macedonier zu kriegen, verlangte er Subſidien und eine möglichſt große Land- und Seemacht, um mit dieſer nach dem Peloponnes abzugehen, und von da aus, mit den einzelnen Griechiſchen Staaten vereint, die nur das Zeichen zum Ab- fall zu erwarten ſchienen, gegen Antipater vorzurücken. Da gerade traf die Nachricht von der Schlacht bei Iſſus ein, die den Plänen
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Alexander hatte die Perſerflotte und ihre Bewegungen in den
Helleniſchen Gewäſſern nicht mehr zu fürchten. Freilich war ſie
ausgezogen, die Macedoniſche Macht da anzugreifen, wo jede Wunde
tödtlich werden mußte; ein Sieg an der Küſte von Hellas, ein
energiſches Auftreten im Peloponnes konnte den Plan Alexanders
von Grund aus zerſtören. Aber eben ſo war ihre Exiſtenz mit
dem Vordringen Alexanders gefährdet, und die größere Kühnheit
und Conſequenz des Willens durfte des erſten Sieges, und damit
der mittelbaren Bewältigung des Gegners gewiß ſein. Dazu kam,
daß der Perſerkönig die Wichtigkeit der Flotte und des Planes,
den Memnon mit ihr gehabt hatte, verkannte; er hatte ihr im
Laufe des Sommers die Griechiſchen Söldner genommen und die-
ſelben nach Tripolis beſchieden, um ſie mit den übrigen Völkern
bei Iſſus aufzuopfern. Die Flotte, um eine bedeutende Anzahl von
Schiffen und Kämpfern vermindert, war in ihren Bewegungen ge-
lähmt; dazu kam die ſichtliche Unfähigkeit ihrer Befehlshaber; wäh-
rend Alexander in Cilicien vordrang, hatten Pharnabazus und Au-
tophradates, ſtatt mit der geſammten Macht zu einem Hauptſchlage
auszuziehen, ihre Flotte in einzelne Geſchwader aufgelöſt, trieben
ſich ſelbſt mit einem Theil ihrer Schiffe in der Gegend von Chios
umher und brandſchatzten, wo ſie konnten, ohne ſich darum zu be-
kümmern, daß die wenigen Plätze, die noch an der Kariſchen Küſte
in den Händen der Perſer waren, von den Statthaltern Alexanders
erorbert wurden. Ein anderes Geſchwader bei Cos behauptete dieſe
Inſel, den größten Theil der Flotte ließ man auf der Rhede von Siph-
nos vor Anker, vielleicht in der Hoffnung, daß die Parthei des De-
moſthenes in Athen, ſo wie die ihrer Heimath beraubten Thebaner
einen Aufſtand gegen Alexander beginnen würden; doch begnügten
ſich beide, zunächſt Geſandte an den Großkönig zu ſenden. Eifriger
war der Lacedämoniſche König Agis; nur mit einer Triere, aber
mit offenbar ſehr zweckmäßigen Plänen kam er zu den Admiralen
nach Siphnos; bereit, gegen die Macedonier zu kriegen, verlangte
er Subſidien und eine möglichſt große Land- und Seemacht, um
mit dieſer nach dem Peloponnes abzugehen, und von da aus, mit den
einzelnen Griechiſchen Staaten vereint, die nur das Zeichen zum Ab-
fall zu erwarten ſchienen, gegen Antipater vorzurücken. Da gerade
traf die Nachricht von der Schlacht bei Iſſus ein, die den Plänen
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/191>, abgerufen am 22.11.2024.
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