Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.O, eure Zahl ist Legion! Ihr Halbgesegneten, wo scheu In's Herz der Genius gefloh'n, Und öde ließ die Phantasei; Ihr, die ihr möchtet flügellos Euch schwingen mit des Sehnens Hauch, Und nieder an der Erde Schooß Sinkt, wie ein kranker Nebelrauch. Nicht klag' ich euch, weil ihr gering, Nicht weil ihr ärmlich und versiegt; Ich weiß es, daß der Zauberring Euch unbewußt am Finger liegt; O ihr seid reich und wißt es nicht, Denn reich ist nur der Träume Land; O ihr seid stark und wißt es nicht, Denn stark ist nur der Liebe Band. Wenn ihr am leeren Pulte neigt Und an der öden Staffelei, Um euch des Himmels Odem steigt Und in euch der Beklemmung Schrei; Wenn zitternd nach dem Ideal Ihr eure heißen Arme streckt, Und kaum für's nächste Kummermahl Den Halm die nächste Furche reckt. O, eure Zahl iſt Legion! Ihr Halbgeſegneten, wo ſcheu In’s Herz der Genius gefloh’n, Und öde ließ die Phantaſei; Ihr, die ihr möchtet flügellos Euch ſchwingen mit des Sehnens Hauch, Und nieder an der Erde Schooß Sinkt, wie ein kranker Nebelrauch. Nicht klag’ ich euch, weil ihr gering, Nicht weil ihr ärmlich und verſiegt; Ich weiß es, daß der Zauberring Euch unbewußt am Finger liegt; O ihr ſeid reich und wißt es nicht, Denn reich iſt nur der Träume Land; O ihr ſeid ſtark und wißt es nicht, Denn ſtark iſt nur der Liebe Band. Wenn ihr am leeren Pulte neigt Und an der öden Staffelei, Um euch des Himmels Odem ſteigt Und in euch der Beklemmung Schrei; Wenn zitternd nach dem Ideal Ihr eure heißen Arme ſtreckt, Und kaum für’s nächſte Kummermahl Den Halm die nächſte Furche reckt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0045" n="29"/> <lg n="5"> <l>O, eure Zahl iſt Legion!</l><lb/> <l>Ihr Halbgeſegneten, wo ſcheu</l><lb/> <l>In’s Herz der Genius gefloh’n,</l><lb/> <l>Und öde ließ die Phantaſei;</l><lb/> <l>Ihr, die ihr möchtet flügellos</l><lb/> <l>Euch ſchwingen mit des Sehnens Hauch,</l><lb/> <l>Und nieder an der Erde Schooß</l><lb/> <l>Sinkt, wie ein kranker Nebelrauch.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Nicht klag’ ich euch, weil ihr gering,</l><lb/> <l>Nicht weil ihr ärmlich und verſiegt;</l><lb/> <l>Ich weiß es, daß der Zauberring</l><lb/> <l>Euch unbewußt am Finger liegt;</l><lb/> <l>O ihr ſeid reich und wißt es nicht,</l><lb/> <l>Denn reich iſt nur der Träume Land;</l><lb/> <l>O ihr ſeid ſtark und wißt es nicht,</l><lb/> <l>Denn ſtark iſt nur der Liebe Band.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Wenn ihr am leeren Pulte neigt</l><lb/> <l>Und an der öden Staffelei,</l><lb/> <l>Um euch des Himmels Odem ſteigt</l><lb/> <l>Und in euch der Beklemmung Schrei;</l><lb/> <l>Wenn zitternd nach dem Ideal</l><lb/> <l>Ihr eure heißen Arme ſtreckt,</l><lb/> <l>Und kaum für’s nächſte Kummermahl</l><lb/> <l>Den Halm die nächſte Furche reckt.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [29/0045]
O, eure Zahl iſt Legion!
Ihr Halbgeſegneten, wo ſcheu
In’s Herz der Genius gefloh’n,
Und öde ließ die Phantaſei;
Ihr, die ihr möchtet flügellos
Euch ſchwingen mit des Sehnens Hauch,
Und nieder an der Erde Schooß
Sinkt, wie ein kranker Nebelrauch.
Nicht klag’ ich euch, weil ihr gering,
Nicht weil ihr ärmlich und verſiegt;
Ich weiß es, daß der Zauberring
Euch unbewußt am Finger liegt;
O ihr ſeid reich und wißt es nicht,
Denn reich iſt nur der Träume Land;
O ihr ſeid ſtark und wißt es nicht,
Denn ſtark iſt nur der Liebe Band.
Wenn ihr am leeren Pulte neigt
Und an der öden Staffelei,
Um euch des Himmels Odem ſteigt
Und in euch der Beklemmung Schrei;
Wenn zitternd nach dem Ideal
Ihr eure heißen Arme ſtreckt,
Und kaum für’s nächſte Kummermahl
Den Halm die nächſte Furche reckt.
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Zitationshilfe: | Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/45>, abgerufen am 16.07.2024. |