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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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Lärm nicht bis zu der Stelle führe, wo die
Kommenden etwa in einer Viertelstunde angelangt
sein konnten, wurden eilends einige zuverlässige
Leute abgefertigt, die in Hemdärmeln mit Sense
und Rechen, wie Arbeiter, die aufs Feld ziehen,
den verschiedenen Trupps entgegen schlendern und
ihnen erzählen mußten, das Geläute im Dorfe
habe einem brennenden Schlote gegolten, der aber
bereits gelöscht sei. Die List gelang, alle trollten
sich fluchend heim, während drinnen die Schützen-
gilde auch ihr Bestes mit Faust und Kolben that,
und so der ganze Scandal mit einigen ernstlich
Verwundeten und einem Dutzend ins Loch Gesteckten
endigte, zwei Drittel der Gemeinde aber eine Woche
lang wie mit Pestbeulen behaftet aussahen, und
eine besondere Schwerfälligkeit in ihren Bewegungen
zeigten. -- Aehnliche Auftritte waren früher so
gewöhnlich, wie das tägliche Brod; noch heute,
trotz des langjährigen Zwanges, ist der gemeine
Mann innerlich nicht um ein Haar breit von
seinen Gelüsten und Ansichten abgewichen, er kann
wohl niedergehalten werden, die Gluth wird aber
unter der Asche immer fortglimmen. -- Erhöhter
Wohlstand würde Einiges mildern, wären nicht
Leichtsinn und die Leidenschaft, welche zuerst eine
dürftige Bevölkerung zu Wege bringen, deren ge-
ringes Eigenthum Schenkwirthen und Winkel-

Lärm nicht bis zu der Stelle führe, wo die
Kommenden etwa in einer Viertelſtunde angelangt
ſein konnten, wurden eilends einige zuverläſſige
Leute abgefertigt, die in Hemdärmeln mit Senſe
und Rechen, wie Arbeiter, die aufs Feld ziehen,
den verſchiedenen Trupps entgegen ſchlendern und
ihnen erzählen mußten, das Geläute im Dorfe
habe einem brennenden Schlote gegolten, der aber
bereits gelöſcht ſei. Die Liſt gelang, alle trollten
ſich fluchend heim, während drinnen die Schützen-
gilde auch ihr Beſtes mit Fauſt und Kolben that,
und ſo der ganze Scandal mit einigen ernſtlich
Verwundeten und einem Dutzend ins Loch Geſteckten
endigte, zwei Drittel der Gemeinde aber eine Woche
lang wie mit Peſtbeulen behaftet ausſahen, und
eine beſondere Schwerfälligkeit in ihren Bewegungen
zeigten. — Aehnliche Auftritte waren früher ſo
gewöhnlich, wie das tägliche Brod; noch heute,
trotz des langjährigen Zwanges, iſt der gemeine
Mann innerlich nicht um ein Haar breit von
ſeinen Gelüſten und Anſichten abgewichen, er kann
wohl niedergehalten werden, die Gluth wird aber
unter der Aſche immer fortglimmen. — Erhöhter
Wohlſtand würde Einiges mildern, wären nicht
Leichtſinn und die Leidenſchaft, welche zuerſt eine
dürftige Bevölkerung zu Wege bringen, deren ge-
ringes Eigenthum Schenkwirthen und Winkel-

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[269/0285] Lärm nicht bis zu der Stelle führe, wo die Kommenden etwa in einer Viertelſtunde angelangt ſein konnten, wurden eilends einige zuverläſſige Leute abgefertigt, die in Hemdärmeln mit Senſe und Rechen, wie Arbeiter, die aufs Feld ziehen, den verſchiedenen Trupps entgegen ſchlendern und ihnen erzählen mußten, das Geläute im Dorfe habe einem brennenden Schlote gegolten, der aber bereits gelöſcht ſei. Die Liſt gelang, alle trollten ſich fluchend heim, während drinnen die Schützen- gilde auch ihr Beſtes mit Fauſt und Kolben that, und ſo der ganze Scandal mit einigen ernſtlich Verwundeten und einem Dutzend ins Loch Geſteckten endigte, zwei Drittel der Gemeinde aber eine Woche lang wie mit Peſtbeulen behaftet ausſahen, und eine beſondere Schwerfälligkeit in ihren Bewegungen zeigten. — Aehnliche Auftritte waren früher ſo gewöhnlich, wie das tägliche Brod; noch heute, trotz des langjährigen Zwanges, iſt der gemeine Mann innerlich nicht um ein Haar breit von ſeinen Gelüſten und Anſichten abgewichen, er kann wohl niedergehalten werden, die Gluth wird aber unter der Aſche immer fortglimmen. — Erhöhter Wohlſtand würde Einiges mildern, wären nicht Leichtſinn und die Leidenſchaft, welche zuerſt eine dürftige Bevölkerung zu Wege bringen, deren ge- ringes Eigenthum Schenkwirthen und Winkel-

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/285>, abgerufen am 25.11.2024.