ostfriesischer Race, übersättigt wiederkaut, und den Vorübergehenden so träge und hochmüthig an- schnaubt, wie es nur der Wohlhäbigkeit auf vier Beinen erlaubt ist. Gräben und Teiche durchschneiden auch hier, wie überall, das Terrain, und würden, wie alles stehende Gewässer, widrig sein, wenn nicht eine weiße, von Vergißmeinnicht umwucherte Blü- thendecke und der aromatische Duft des Münzkrautes dem überwiegend entgegenwirkten; auch die Ufer der träg schleichenden Flüsse sind mit dieser Zierde ver- sehen, und mildern so das Unbehagen, das ein schläfriger Fluß immer erzeugt. -- Kurz diese Gegend bietet eine lebhafte Einsamkeit, ein fröhliches Allein- sein mit der Natur, wie wir es anderwärts noch nicht angetroffen. -- Dörfer trifft man alle Stunde Weges höchstens eines, und die zerstreuten Pachthöfe liegen so versteckt hinter Wallhecken und Bäumen, daß nur ein ferner Hahnenschrei, oder ein aus seiner Laubperrücke winkender Heiligenschein sie dir an- deutet, und du dich allein glaubst mit Gras und Vögeln, wie am vierten Tage der Schöpfung, bis ein langsames "Hott" oder "Haar" hinter der näch- sten Hecke dich aus dem Traume weckt, oder ein grellanschlagender Hofhund dich auf den Dachstreifen aufmerksam macht, der sich gerade neben dir, wie ein liegender Balken durch das Gestrüpp des Erd- walles zeichnet. -- So war die Physiognomie des
oſtfrieſiſcher Race, überſättigt wiederkaut, und den Vorübergehenden ſo träge und hochmüthig an- ſchnaubt, wie es nur der Wohlhäbigkeit auf vier Beinen erlaubt iſt. Gräben und Teiche durchſchneiden auch hier, wie überall, das Terrain, und würden, wie alles ſtehende Gewäſſer, widrig ſein, wenn nicht eine weiße, von Vergißmeinnicht umwucherte Blü- thendecke und der aromatiſche Duft des Münzkrautes dem überwiegend entgegenwirkten; auch die Ufer der träg ſchleichenden Flüſſe ſind mit dieſer Zierde ver- ſehen, und mildern ſo das Unbehagen, das ein ſchläfriger Fluß immer erzeugt. — Kurz dieſe Gegend bietet eine lebhafte Einſamkeit, ein fröhliches Allein- ſein mit der Natur, wie wir es anderwärts noch nicht angetroffen. — Dörfer trifft man alle Stunde Weges höchſtens eines, und die zerſtreuten Pachthöfe liegen ſo verſteckt hinter Wallhecken und Bäumen, daß nur ein ferner Hahnenſchrei, oder ein aus ſeiner Laubperrücke winkender Heiligenſchein ſie dir an- deutet, und du dich allein glaubſt mit Gras und Vögeln, wie am vierten Tage der Schöpfung, bis ein langſames „Hott“ oder „Haar“ hinter der näch- ſten Hecke dich aus dem Traume weckt, oder ein grellanſchlagender Hofhund dich auf den Dachſtreifen aufmerkſam macht, der ſich gerade neben dir, wie ein liegender Balken durch das Geſtrüpp des Erd- walles zeichnet. — So war die Phyſiognomie des
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oſtfrieſiſcher Race, überſättigt wiederkaut, und den
Vorübergehenden ſo träge und hochmüthig an-
ſchnaubt, wie es nur der Wohlhäbigkeit auf vier
Beinen erlaubt iſt. Gräben und Teiche durchſchneiden
auch hier, wie überall, das Terrain, und würden,
wie alles ſtehende Gewäſſer, widrig ſein, wenn nicht
eine weiße, von Vergißmeinnicht umwucherte Blü-
thendecke und der aromatiſche Duft des Münzkrautes
dem überwiegend entgegenwirkten; auch die Ufer der
träg ſchleichenden Flüſſe ſind mit dieſer Zierde ver-
ſehen, und mildern ſo das Unbehagen, das ein
ſchläfriger Fluß immer erzeugt. — Kurz dieſe Gegend
bietet eine lebhafte Einſamkeit, ein fröhliches Allein-
ſein mit der Natur, wie wir es anderwärts noch
nicht angetroffen. — Dörfer trifft man alle Stunde
Weges höchſtens eines, und die zerſtreuten Pachthöfe
liegen ſo verſteckt hinter Wallhecken und Bäumen,
daß nur ein ferner Hahnenſchrei, oder ein aus ſeiner
Laubperrücke winkender Heiligenſchein ſie dir an-
deutet, und du dich allein glaubſt mit Gras und
Vögeln, wie am vierten Tage der Schöpfung, bis
ein langſames „Hott“ oder „Haar“ hinter der näch-
ſten Hecke dich aus dem Traume weckt, oder ein
grellanſchlagender Hofhund dich auf den Dachſtreifen
aufmerkſam macht, der ſich gerade neben dir, wie
ein liegender Balken durch das Geſtrüpp des Erd-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/253>, abgerufen am 23.11.2024.
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