fragte nach. -- "Gott bewahre," sagte der Guts- herr, "ich weiß nichts von ihm; aber geschwind den Jäger gerufen und Försters Wilhelm! Wenn der armselige Krüppel," setzte er bewegt hinzu, "auch nur in einen trockenen Graben gefallen ist, so kann er nicht wieder heraus. Wer weiß, ob er nicht gar eines von seinen schiefen Beinen gebrochen hat! -- Nehmt die Hunde mit," rief er den abziehenden Jägern nach, "und sucht vor Allem in den Gräben; seht in die Steinbrüche!" rief er lauter.
Die Jäger kehrten nach einigen Stunden heim; sie hatten keine Spur gefunden. Herr von S. war in großer Unruhe: "Wenn ich mir denke, daß Einer so liegen muß wie ein Stein, und kann sich nicht helfen! Aber er kann noch leben; drei Tage hält's ein Mensch wohl ohne Nahrung aus." Er machte sich selbst auf den Weg; in allen Häusern wurde nachgefragt, überall in die Hörner geblasen, ge- rufen, die Hunde zum Suchen angehetzt -- um- sonst! -- Ein Kind hatte ihn gesehen, wie er am Rande des Brederholzes saß und an einem Löffel schnitzelte; "er schnitt ihn aber ganz entzwei," sagte das kleine Mädchen. Das war vor zwei Tagen gewesen. Nachmittags fand sich wieder eine Spur: abermals ein Kind, das ihn an der andern Seite des Waldes bemerkt hatte, wo er im Gebüsch ge- sessen, das Gesicht auf den Knieen, als ob er schliefe.
fragte nach. — „Gott bewahre,“ ſagte der Guts- herr, „ich weiß nichts von ihm; aber geſchwind den Jäger gerufen und Förſters Wilhelm! Wenn der armſelige Krüppel,“ ſetzte er bewegt hinzu, „auch nur in einen trockenen Graben gefallen iſt, ſo kann er nicht wieder heraus. Wer weiß, ob er nicht gar eines von ſeinen ſchiefen Beinen gebrochen hat! — Nehmt die Hunde mit,“ rief er den abziehenden Jägern nach, „und ſucht vor Allem in den Gräben; ſeht in die Steinbrüche!“ rief er lauter.
Die Jäger kehrten nach einigen Stunden heim; ſie hatten keine Spur gefunden. Herr von S. war in großer Unruhe: „Wenn ich mir denke, daß Einer ſo liegen muß wie ein Stein, und kann ſich nicht helfen! Aber er kann noch leben; drei Tage hält’s ein Menſch wohl ohne Nahrung aus.“ Er machte ſich ſelbſt auf den Weg; in allen Häuſern wurde nachgefragt, überall in die Hörner geblaſen, ge- rufen, die Hunde zum Suchen angehetzt — um- ſonſt! — Ein Kind hatte ihn geſehen, wie er am Rande des Brederholzes ſaß und an einem Löffel ſchnitzelte; „er ſchnitt ihn aber ganz entzwei,“ ſagte das kleine Mädchen. Das war vor zwei Tagen geweſen. Nachmittags fand ſich wieder eine Spur: abermals ein Kind, das ihn an der andern Seite des Waldes bemerkt hatte, wo er im Gebüſch ge- ſeſſen, das Geſicht auf den Knieen, als ob er ſchliefe.
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fragte nach. — „Gott bewahre,“ ſagte der Guts-
herr, „ich weiß nichts von ihm; aber geſchwind den
Jäger gerufen und Förſters Wilhelm! Wenn der
armſelige Krüppel,“ ſetzte er bewegt hinzu, „auch
nur in einen trockenen Graben gefallen iſt, ſo kann
er nicht wieder heraus. Wer weiß, ob er nicht gar
eines von ſeinen ſchiefen Beinen gebrochen hat! —
Nehmt die Hunde mit,“ rief er den abziehenden
Jägern nach, „und ſucht vor Allem in den Gräben;
ſeht in die Steinbrüche!“ rief er lauter.
Die Jäger kehrten nach einigen Stunden heim;
ſie hatten keine Spur gefunden. Herr von S. war
in großer Unruhe: „Wenn ich mir denke, daß Einer
ſo liegen muß wie ein Stein, und kann ſich nicht
helfen! Aber er kann noch leben; drei Tage hält’s
ein Menſch wohl ohne Nahrung aus.“ Er machte
ſich ſelbſt auf den Weg; in allen Häuſern wurde
nachgefragt, überall in die Hörner geblaſen, ge-
rufen, die Hunde zum Suchen angehetzt — um-
ſonſt! — Ein Kind hatte ihn geſehen, wie er am
Rande des Brederholzes ſaß und an einem Löffel
ſchnitzelte; „er ſchnitt ihn aber ganz entzwei,“ ſagte
das kleine Mädchen. Das war vor zwei Tagen
geweſen. Nachmittags fand ſich wieder eine Spur:
abermals ein Kind, das ihn an der andern Seite
des Waldes bemerkt hatte, wo er im Gebüſch ge-
ſeſſen, das Geſicht auf den Knieen, als ob er ſchliefe.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/239>, abgerufen am 23.11.2024.
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