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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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Und wo war Friedrich? Ohne Zw-ifel fort,
weit genug, um die kurzen Arme einer so schwachen
Polizei nicht mehr fürchten zu dürfen. Er war
bald verschollen, vergessen. Ohm Simon redete
selten von ihm, und dann schlecht; die Judenfrau
tröstete sich am Ende und nahm einen andern
Mann. Nur die arme Margreth blieb ungetröstet.

Etwa ein halbes Jahr nachher las der Guts-
herr einige eben erhaltene Briefe in Gegenwart des
Amtsschreibers.

"Sonderbar, sonderbar!" sagte er. "Denken
Sie sich, Kapp, der Mergel ist vielleicht unschuldig
an dem Morde. So eben schreibt mir der Prä-
sident des Gerichtes zu P.: "Le vrai n'est pas
toujours vraisemblable;
das erfahre ich oft in
meinem Berufe und jetzt neuerdings. Wissen Sie
wohl, daß Ihr lieber Getreuer, Friedrich Mergel,
den Juden mag eben so wenig erschlagen haben,
als ich oder Sie? Leider fehlen die Beweise, aber
die Wahrscheinlichkeit ist groß. Ein Mitglied der
Schlemming'schen Bande (die wir jetzt, nebenbei
gesagt, größtentheis unter Schloß und Riegel haben),
Lumpenmoises genannt, hat im letzten Verhöre
ausgesagt, daß ihn nichts so sehr gereue, als der
Mord eines Glaubensgenossen, Aaron, den er im
Walde erschlagen und doch nur sechs Groschen bei
ihm gefunden habe.

Und wo war Friedrich? Ohne Zw-ifel fort,
weit genug, um die kurzen Arme einer ſo ſchwachen
Polizei nicht mehr fürchten zu dürfen. Er war
bald verſchollen, vergeſſen. Ohm Simon redete
ſelten von ihm, und dann ſchlecht; die Judenfrau
tröſtete ſich am Ende und nahm einen andern
Mann. Nur die arme Margreth blieb ungetröſtet.

Etwa ein halbes Jahr nachher las der Guts-
herr einige eben erhaltene Briefe in Gegenwart des
Amtsſchreibers.

„Sonderbar, ſonderbar!“ ſagte er. „Denken
Sie ſich, Kapp, der Mergel iſt vielleicht unſchuldig
an dem Morde. So eben ſchreibt mir der Prä-
ſident des Gerichtes zu P.: „Le vrai n’est pas
toujours vraisemblable;
das erfahre ich oft in
meinem Berufe und jetzt neuerdings. Wiſſen Sie
wohl, daß Ihr lieber Getreuer, Friedrich Mergel,
den Juden mag eben ſo wenig erſchlagen haben,
als ich oder Sie? Leider fehlen die Beweiſe, aber
die Wahrſcheinlichkeit iſt groß. Ein Mitglied der
Schlemming’ſchen Bande (die wir jetzt, nebenbei
geſagt, größtentheis unter Schloß und Riegel haben),
Lumpenmoiſes genannt, hat im letzten Verhöre
ausgeſagt, daß ihn nichts ſo ſehr gereue, als der
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[210/0226] Und wo war Friedrich? Ohne Zw-ifel fort, weit genug, um die kurzen Arme einer ſo ſchwachen Polizei nicht mehr fürchten zu dürfen. Er war bald verſchollen, vergeſſen. Ohm Simon redete ſelten von ihm, und dann ſchlecht; die Judenfrau tröſtete ſich am Ende und nahm einen andern Mann. Nur die arme Margreth blieb ungetröſtet. Etwa ein halbes Jahr nachher las der Guts- herr einige eben erhaltene Briefe in Gegenwart des Amtsſchreibers. „Sonderbar, ſonderbar!“ ſagte er. „Denken Sie ſich, Kapp, der Mergel iſt vielleicht unſchuldig an dem Morde. So eben ſchreibt mir der Prä- ſident des Gerichtes zu P.: „Le vrai n’est pas toujours vraisemblable; das erfahre ich oft in meinem Berufe und jetzt neuerdings. Wiſſen Sie wohl, daß Ihr lieber Getreuer, Friedrich Mergel, den Juden mag eben ſo wenig erſchlagen haben, als ich oder Sie? Leider fehlen die Beweiſe, aber die Wahrſcheinlichkeit iſt groß. Ein Mitglied der Schlemming’ſchen Bande (die wir jetzt, nebenbei geſagt, größtentheis unter Schloß und Riegel haben), Lumpenmoiſes genannt, hat im letzten Verhöre ausgeſagt, daß ihn nichts ſo ſehr gereue, als der Mord eines Glaubensgenoſſen, Aaron, den er im Walde erſchlagen und doch nur ſechs Groſchen bei ihm gefunden habe.

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/226>, abgerufen am 23.11.2024.