Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

Israeliten im Schlosse, um dem gnädigen Herrn
einen Handel anzutragen. Der Gegenstand war
die Buche, unter der Arons Stab gefunden und
wo der Mord wahrscheinlich verübt worden war. --
"Wollt ihr sie fällen? so mitten im vollen Laube?"
fragte der Gutsherr.

"Nein, Ihro Gnaden, sie muß stehen bleiben
im Winter und Sommer, so lange ein Span
daran ist." -- "Aber, wenn ich nun den Wald
hauen lasse, so schadet es dem jungen Aufschlag." --
"Wollen wir sie doch nicht um gewöhnlichen Preis."
Sie boten 200 Thaler. Der Handel ward ge-
schlossen und allen Förstern streng eingeschärft, die
Judenbuche auf keine Weise zu schädigen.

Darauf sah man an einem Abende wohl
gegen sechszig Juden, ihren Rabbiner an der Spitze,
in das Brederholz ziehen, alle schweigend und mit
gesenkten Augen.

Sie blieben über eine Stunde im Walde und
kehrten dann ebenso ernst und feierlich zurück, durch
das Dorf B. bis in das Zellerfeld, wo sie sich
zerstreuten und Jeder seines Weges ging.

Am nächsten Morgen stand an der Buche mit
dem Beil eingehauen:
sh sheh liy im kha`am'r b'am'aqvom haz'eh yik'@ga` ba'k k'aasher at'akh

14

Iſraeliten im Schloſſe, um dem gnädigen Herrn
einen Handel anzutragen. Der Gegenſtand war
die Buche, unter der Arons Stab gefunden und
wo der Mord wahrſcheinlich verübt worden war. —
„Wollt ihr ſie fällen? ſo mitten im vollen Laube?“
fragte der Gutsherr.

„Nein, Ihro Gnaden, ſie muß ſtehen bleiben
im Winter und Sommer, ſo lange ein Span
daran iſt.“ — „Aber, wenn ich nun den Wald
hauen laſſe, ſo ſchadet es dem jungen Aufſchlag.“ —
„Wollen wir ſie doch nicht um gewöhnlichen Preis.“
Sie boten 200 Thaler. Der Handel ward ge-
ſchloſſen und allen Förſtern ſtreng eingeſchärft, die
Judenbuche auf keine Weiſe zu ſchädigen.

Darauf ſah man an einem Abende wohl
gegen ſechszig Juden, ihren Rabbiner an der Spitze,
in das Brederholz ziehen, alle ſchweigend und mit
geſenkten Augen.

Sie blieben über eine Stunde im Walde und
kehrten dann ebenſo ernſt und feierlich zurück, durch
das Dorf B. bis in das Zellerfeld, wo ſie ſich
zerſtreuten und Jeder ſeines Weges ging.

Am nächſten Morgen ſtand an der Buche mit
dem Beil eingehauen:
שׂ שֶׂה לִי אִם חַעַמּר בַּמָּקוֹם הַזֶּה יִכְּגַע בָּך כַּאֲשֶׁר אַתָּח

14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0225" n="209"/>
I&#x017F;raeliten im Schlo&#x017F;&#x017F;e, um dem gnädigen Herrn<lb/>
einen Handel anzutragen. Der Gegen&#x017F;tand war<lb/>
die Buche, unter der Arons Stab gefunden und<lb/>
wo der Mord wahr&#x017F;cheinlich verübt worden war. &#x2014;<lb/>
&#x201E;Wollt ihr &#x017F;ie fällen? &#x017F;o mitten im vollen Laube?&#x201C;<lb/>
fragte der Gutsherr.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein, Ihro Gnaden, &#x017F;ie muß &#x017F;tehen bleiben<lb/>
im Winter und Sommer, &#x017F;o lange ein Span<lb/>
daran i&#x017F;t.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Aber, wenn ich nun den Wald<lb/>
hauen la&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;o &#x017F;chadet es dem jungen Auf&#x017F;chlag.&#x201C; &#x2014;<lb/>
&#x201E;Wollen wir &#x017F;ie doch nicht um gewöhnlichen Preis.&#x201C;<lb/>
Sie boten 200 Thaler. Der Handel ward ge-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und allen För&#x017F;tern &#x017F;treng einge&#x017F;chärft, die<lb/>
Judenbuche auf keine Wei&#x017F;e zu &#x017F;chädigen.</p><lb/>
        <p>Darauf &#x017F;ah man an einem Abende wohl<lb/>
gegen &#x017F;echszig Juden, ihren Rabbiner an der Spitze,<lb/>
in das Brederholz ziehen, alle &#x017F;chweigend und mit<lb/>
ge&#x017F;enkten Augen.</p><lb/>
        <p>Sie blieben über eine Stunde im Walde und<lb/>
kehrten dann eben&#x017F;o ern&#x017F;t und feierlich zurück, durch<lb/>
das Dorf B. bis in das Zellerfeld, wo &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
zer&#x017F;treuten und Jeder &#x017F;eines Weges ging.</p><lb/>
        <p>Am näch&#x017F;ten Morgen &#x017F;tand an der Buche mit<lb/>
dem Beil eingehauen:<lb/>
&#x05E9;&#x05C2; &#x05E9;&#x05C2;&#x05B6;&#x05D4; &#x05DC;&#x05B4;&#x05D9; &#x05D0;&#x05B4;&#x05DD; &#x05D7;&#x05B7;&#x05E2;&#x05B7;&#x05DE;&#x05BC;&#x05E8; &#x05D1;&#x05BC;&#x05B7;&#x05DE;&#x05BC;&#x05B8;&#x05E7;&#x05D5;&#x05B9;&#x05DD; &#x05D4;&#x05B7;&#x05D6;&#x05BC;&#x05B6;&#x05D4; &#x05D9;&#x05B4;&#x05DB;&#x05BC;&#x05B0;&#x05D2;&#x05B7;&#x05E2; &#x05D1;&#x05B8;&#x05BC;&#x05DA; &#x05DB;&#x05BC;&#x05B7;&#x05D0;&#x05B2;&#x05E9;&#x05C1;&#x05B6;&#x05E8; &#x05D0;&#x05B7;&#x05EA;&#x05BC;&#x05B8;&#x05D7;</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">14</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0225] Iſraeliten im Schloſſe, um dem gnädigen Herrn einen Handel anzutragen. Der Gegenſtand war die Buche, unter der Arons Stab gefunden und wo der Mord wahrſcheinlich verübt worden war. — „Wollt ihr ſie fällen? ſo mitten im vollen Laube?“ fragte der Gutsherr. „Nein, Ihro Gnaden, ſie muß ſtehen bleiben im Winter und Sommer, ſo lange ein Span daran iſt.“ — „Aber, wenn ich nun den Wald hauen laſſe, ſo ſchadet es dem jungen Aufſchlag.“ — „Wollen wir ſie doch nicht um gewöhnlichen Preis.“ Sie boten 200 Thaler. Der Handel ward ge- ſchloſſen und allen Förſtern ſtreng eingeſchärft, die Judenbuche auf keine Weiſe zu ſchädigen. Darauf ſah man an einem Abende wohl gegen ſechszig Juden, ihren Rabbiner an der Spitze, in das Brederholz ziehen, alle ſchweigend und mit geſenkten Augen. Sie blieben über eine Stunde im Walde und kehrten dann ebenſo ernſt und feierlich zurück, durch das Dorf B. bis in das Zellerfeld, wo ſie ſich zerſtreuten und Jeder ſeines Weges ging. Am nächſten Morgen ſtand an der Buche mit dem Beil eingehauen: שׂ שֶׂה לִי אִם חַעַמּר בַּמָּקוֹם הַזֶּה יִכְּגַע בָּך כַּאֲשֶׁר אַתָּח 14

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/225
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/225>, abgerufen am 18.05.2024.