ganz zu Grunde gehen, wogegen nichts seelentödtender wirkt, als gegen das innere Rechtsgefühl das äußere Recht in Anspruch nehmen.
Ein Menschenschlag, unruhiger und unterneh- mender als seine Nachbarn, ließ in dem kleinen Staate, von dem wir reden, manches weit greller hervortreten als anderswo unter gleichen Umständen. Holz- und Jagdfrevel waren an der Tagesordnung und bei den häufig vorfallenden Schlägereien hatte sich jeder selbst seines zerschlagenen Kopfes zu trösten. Da jedoch große und ergiebige Waldungen den Hauptreichthum des Landes ausmachten, ward aller- dings scharf über die Forsten gewacht, aber weniger auf gesetzlichem Wege, als in stets erneuten Ver- suchen, Gewalt und List mit gleichen Waffen zu überbieten.
Das Dorf B. galt für die hochmüthigste, schlaueste und kühnste Gemeinde des ganzen Fürsten- thums. Seine Lage inmitten tiefer und stolzer Waldeinsamkeit mochte schon früh den angebo- renen Starrsinn der Gemüther nähren; die Nähe eines Flusses, der in die See mündete und bedeckte Fahrzeuge trug, groß genug, um Schiffbauholz bequem und sicher außer Land zu führen, trug sehr dazu bei, die natürliche Kühnheit der Holzfrevler zu ermuthigen, und der Umstand, daß Alles umher von Förstern wimmelte, konnte hier nur aufregend
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ganz zu Grunde gehen, wogegen nichts ſeelentödtender wirkt, als gegen das innere Rechtsgefühl das äußere Recht in Anſpruch nehmen.
Ein Menſchenſchlag, unruhiger und unterneh- mender als ſeine Nachbarn, ließ in dem kleinen Staate, von dem wir reden, manches weit greller hervortreten als anderswo unter gleichen Umſtänden. Holz- und Jagdfrevel waren an der Tagesordnung und bei den häufig vorfallenden Schlägereien hatte ſich jeder ſelbſt ſeines zerſchlagenen Kopfes zu tröſten. Da jedoch große und ergiebige Waldungen den Hauptreichthum des Landes ausmachten, ward aller- dings ſcharf über die Forſten gewacht, aber weniger auf geſetzlichem Wege, als in ſtets erneuten Ver- ſuchen, Gewalt und Liſt mit gleichen Waffen zu überbieten.
Das Dorf B. galt für die hochmüthigſte, ſchlaueſte und kühnſte Gemeinde des ganzen Fürſten- thums. Seine Lage inmitten tiefer und ſtolzer Waldeinſamkeit mochte ſchon früh den angebo- renen Starrſinn der Gemüther nähren; die Nähe eines Fluſſes, der in die See mündete und bedeckte Fahrzeuge trug, groß genug, um Schiffbauholz bequem und ſicher außer Land zu führen, trug ſehr dazu bei, die natürliche Kühnheit der Holzfrevler zu ermuthigen, und der Umſtand, daß Alles umher von Förſtern wimmelte, konnte hier nur aufregend
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ganz zu Grunde gehen, wogegen nichts ſeelentödtender
wirkt, als gegen das innere Rechtsgefühl das äußere
Recht in Anſpruch nehmen.
Ein Menſchenſchlag, unruhiger und unterneh-
mender als ſeine Nachbarn, ließ in dem kleinen
Staate, von dem wir reden, manches weit greller
hervortreten als anderswo unter gleichen Umſtänden.
Holz- und Jagdfrevel waren an der Tagesordnung
und bei den häufig vorfallenden Schlägereien hatte
ſich jeder ſelbſt ſeines zerſchlagenen Kopfes zu tröſten.
Da jedoch große und ergiebige Waldungen den
Hauptreichthum des Landes ausmachten, ward aller-
dings ſcharf über die Forſten gewacht, aber weniger
auf geſetzlichem Wege, als in ſtets erneuten Ver-
ſuchen, Gewalt und Liſt mit gleichen Waffen zu
überbieten.
Das Dorf B. galt für die hochmüthigſte,
ſchlaueſte und kühnſte Gemeinde des ganzen Fürſten-
thums. Seine Lage inmitten tiefer und ſtolzer
Waldeinſamkeit mochte ſchon früh den angebo-
renen Starrſinn der Gemüther nähren; die Nähe
eines Fluſſes, der in die See mündete und bedeckte
Fahrzeuge trug, groß genug, um Schiffbauholz
bequem und ſicher außer Land zu führen, trug ſehr
dazu bei, die natürliche Kühnheit der Holzfrevler
zu ermuthigen, und der Umſtand, daß Alles umher
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/163>, abgerufen am 21.05.2024.
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