Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

versetzte Kapp, das wird kein kleiner Aerger für Frau Margreth sein. -- Ach Gott, die denkt jetzt daran nicht! Mit diesen Worten stand der Gutsherr auf und verließ das Zimmer, um mit Herrn Kapp die gerichtliche Leichenschau vorzunehmen. -- Die Untersuchung war kurz, gewaltsamer Tod erwiesen, der vermuthliche Thäter entflohen, die Anzeigen gegen ihn zwar gravirend, doch ohne persönliches Geständniß nicht beweisend, seine Flucht allerdings sehr verdächtig. So mußte die gerichtliche Verhandlung ohne genügenden Erfolg geschlossen werden.

Die Juden der Umgegend hatten großen Antheil gezeigt. Das Haus der Wittwe ward nie leer von Jammernden und Rathenden.

Seit Menschengedenken waren nicht so viel Juden beisammen in L. gesehen worden.

Durch den Mord ihres Glaubensgenossen aufs Aeußerste erbittert, hatten sie weder Mühe noch Geld gespart, dem Thäter auf die Spur zu kommen. Man weiß sogar, daß einer derselben, gemeinhin der Wucherjoel genannt, einem seiner Kunden, der ihm mehrere Hunderte schuldete und den er für einen besonders listigen Kerl hielt, Erlaß der ganzen Summe angeboten hatte, falls er ihm zur Verhaftung des Mergel verhelfen wolle; denn der Glaube war allgemein unter den Juden, daß der Thäter nur mit guter Beihilfe entwischt und wahrscheinlich noch in der Umgegend sei. Als dennoch Alles nichts half und die gerichtliche Ver-

versetzte Kapp, das wird kein kleiner Aerger für Frau Margreth sein. — Ach Gott, die denkt jetzt daran nicht! Mit diesen Worten stand der Gutsherr auf und verließ das Zimmer, um mit Herrn Kapp die gerichtliche Leichenschau vorzunehmen. — Die Untersuchung war kurz, gewaltsamer Tod erwiesen, der vermuthliche Thäter entflohen, die Anzeigen gegen ihn zwar gravirend, doch ohne persönliches Geständniß nicht beweisend, seine Flucht allerdings sehr verdächtig. So mußte die gerichtliche Verhandlung ohne genügenden Erfolg geschlossen werden.

Die Juden der Umgegend hatten großen Antheil gezeigt. Das Haus der Wittwe ward nie leer von Jammernden und Rathenden.

Seit Menschengedenken waren nicht so viel Juden beisammen in L. gesehen worden.

Durch den Mord ihres Glaubensgenossen aufs Aeußerste erbittert, hatten sie weder Mühe noch Geld gespart, dem Thäter auf die Spur zu kommen. Man weiß sogar, daß einer derselben, gemeinhin der Wucherjoel genannt, einem seiner Kunden, der ihm mehrere Hunderte schuldete und den er für einen besonders listigen Kerl hielt, Erlaß der ganzen Summe angeboten hatte, falls er ihm zur Verhaftung des Mergel verhelfen wolle; denn der Glaube war allgemein unter den Juden, daß der Thäter nur mit guter Beihilfe entwischt und wahrscheinlich noch in der Umgegend sei. Als dennoch Alles nichts half und die gerichtliche Ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter">
        <p><pb facs="#f0063"/>
versetzte Kapp, das wird kein      kleiner Aerger für Frau Margreth sein. &#x2014; Ach Gott, die denkt jetzt daran nicht! Mit diesen      Worten stand der Gutsherr auf und verließ das Zimmer, um mit Herrn Kapp die gerichtliche      Leichenschau vorzunehmen. &#x2014; Die Untersuchung war kurz, gewaltsamer Tod erwiesen, der      vermuthliche Thäter entflohen, die Anzeigen gegen ihn zwar gravirend, doch ohne persönliches      Geständniß nicht beweisend, seine Flucht allerdings sehr verdächtig. So mußte die gerichtliche      Verhandlung ohne genügenden Erfolg geschlossen werden.</p><lb/>
        <p>Die Juden der Umgegend hatten großen Antheil gezeigt. Das Haus der Wittwe ward nie leer von      Jammernden und Rathenden.</p><lb/>
        <p>Seit Menschengedenken waren nicht so viel Juden beisammen in L. gesehen worden.</p><lb/>
        <p>Durch den Mord ihres Glaubensgenossen aufs Aeußerste erbittert, hatten sie weder Mühe noch      Geld gespart, dem Thäter auf die Spur zu kommen. Man weiß sogar, daß einer derselben, gemeinhin      der Wucherjoel genannt, einem seiner Kunden, der ihm mehrere Hunderte schuldete und den er für      einen besonders listigen Kerl hielt, Erlaß der ganzen Summe angeboten hatte, falls er ihm zur      Verhaftung des Mergel verhelfen wolle; denn der Glaube war allgemein unter den Juden, daß der      Thäter nur mit guter Beihilfe entwischt und wahrscheinlich noch in der Umgegend sei. Als      dennoch Alles nichts half und die gerichtliche Ver-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0063] versetzte Kapp, das wird kein kleiner Aerger für Frau Margreth sein. — Ach Gott, die denkt jetzt daran nicht! Mit diesen Worten stand der Gutsherr auf und verließ das Zimmer, um mit Herrn Kapp die gerichtliche Leichenschau vorzunehmen. — Die Untersuchung war kurz, gewaltsamer Tod erwiesen, der vermuthliche Thäter entflohen, die Anzeigen gegen ihn zwar gravirend, doch ohne persönliches Geständniß nicht beweisend, seine Flucht allerdings sehr verdächtig. So mußte die gerichtliche Verhandlung ohne genügenden Erfolg geschlossen werden. Die Juden der Umgegend hatten großen Antheil gezeigt. Das Haus der Wittwe ward nie leer von Jammernden und Rathenden. Seit Menschengedenken waren nicht so viel Juden beisammen in L. gesehen worden. Durch den Mord ihres Glaubensgenossen aufs Aeußerste erbittert, hatten sie weder Mühe noch Geld gespart, dem Thäter auf die Spur zu kommen. Man weiß sogar, daß einer derselben, gemeinhin der Wucherjoel genannt, einem seiner Kunden, der ihm mehrere Hunderte schuldete und den er für einen besonders listigen Kerl hielt, Erlaß der ganzen Summe angeboten hatte, falls er ihm zur Verhaftung des Mergel verhelfen wolle; denn der Glaube war allgemein unter den Juden, daß der Thäter nur mit guter Beihilfe entwischt und wahrscheinlich noch in der Umgegend sei. Als dennoch Alles nichts half und die gerichtliche Ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T14:10:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T14:10:05Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_judenbuche_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_judenbuche_1910/63
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_judenbuche_1910/63>, abgerufen am 25.11.2024.