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Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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-- Geld von Simon? Wirfs fort, fort! -- nein, gieb's den Armen. Doch nein, behalt's, flüsterte sie kaum hörbar; wir sind selber arm; wer weiß, ob wir beim Betteln vorbeikommen! -- Ich soll Montag wieder zum Ohm und ihm bei der Einsaat helfen. -- Du wieder zu ihm? nein, nein, nimmermehr! Sie umfaßte ihr Kind mit Heftigkeit. Doch, fügte sie hinzu und ein Thränenstrom stürzte ihr plötzlich über die eingefallenen Wangen; geh, er ist mein einziger Bruder, und die Verleumdung ist groß. Aber halte Gott vor Augen und vergiß das tägliche Gebet nicht.

Margreth legte das Gesicht an die Mauer und weinte laut. Sie hatte manche harte Last getragen, ihres Mannes üble Behandlung, noch schwerer seinen Tod, und es war eine bittere Stunde, als die Wittwe das letzte Stück Ackerland einem Gläubiger zur Nutznießung überlassen mußte und der Pflug vor ihrem Hause stille stand. Aber so war ihr nie zu Muth gewesen; dennoch, nachdem sie einen Abend durchgeweint, eine Nacht durchwacht hatte, war sie dahin gekommen, zu denken, ihr Bruder Simon könne so gottlos nicht sein, der Knabe gehöre gewiß nicht ihm, Aehnlichkeiten wollen nichts beweisen. Hatte sie doch selbst vor vierzig Jahren ein Schwesterchen verloren, das genau dem fremden Hechelkrämer glich. Was glaubt man nicht gern, wenn man so wenig hat und durch Unglauben dies Wenige verlieren soll.

Von dieser Zeit an war Friedrich selten mehr zu

— Geld von Simon? Wirfs fort, fort! — nein, gieb's den Armen. Doch nein, behalt's, flüsterte sie kaum hörbar; wir sind selber arm; wer weiß, ob wir beim Betteln vorbeikommen! — Ich soll Montag wieder zum Ohm und ihm bei der Einsaat helfen. — Du wieder zu ihm? nein, nein, nimmermehr! Sie umfaßte ihr Kind mit Heftigkeit. Doch, fügte sie hinzu und ein Thränenstrom stürzte ihr plötzlich über die eingefallenen Wangen; geh, er ist mein einziger Bruder, und die Verleumdung ist groß. Aber halte Gott vor Augen und vergiß das tägliche Gebet nicht.

Margreth legte das Gesicht an die Mauer und weinte laut. Sie hatte manche harte Last getragen, ihres Mannes üble Behandlung, noch schwerer seinen Tod, und es war eine bittere Stunde, als die Wittwe das letzte Stück Ackerland einem Gläubiger zur Nutznießung überlassen mußte und der Pflug vor ihrem Hause stille stand. Aber so war ihr nie zu Muth gewesen; dennoch, nachdem sie einen Abend durchgeweint, eine Nacht durchwacht hatte, war sie dahin gekommen, zu denken, ihr Bruder Simon könne so gottlos nicht sein, der Knabe gehöre gewiß nicht ihm, Aehnlichkeiten wollen nichts beweisen. Hatte sie doch selbst vor vierzig Jahren ein Schwesterchen verloren, das genau dem fremden Hechelkrämer glich. Was glaubt man nicht gern, wenn man so wenig hat und durch Unglauben dies Wenige verlieren soll.

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T14:10:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T14:10:05Z)

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_judenbuche_1910/30>, abgerufen am 27.04.2024.