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Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Warte, Johannes, sagte Friedrich stolz, ich will dir mein halbes Butterbrod geben, es ist mir doch zu groß, die Mutter schneidet allemal übers ganze Brod.

Laß doch, sagte Margreth, er geht ja nach Hause.

Ja, aber er bekommt nichts mehr; Ohm Simon ißt um sieben Uhr. Margreth wandte sich zu dem Knaben: Hebt man dir nichts auf? Sprich, wer sorgt für dich? Niemand, stotterte das Kind. -- Niemand? wiederholte sie; da nimm, nimm! fügte sie heftig hinzu; du heißt Niemand und Niemand sorgt für dich! Das sei Gott geklagt! Und nun mach dich fort! Friedrich, geh nicht mit ihm, hörst du, geht nicht zusammen durchs Dorf. Ich will ja nur Holz holen aus dem Schuppen, antwortete Friedrich. -- Als beide Knaben fort waren, warf sich Margreth auf einen Stuhl und schlug die Hände mit dem Ausdruck des tiefsten Jammers zusammen. Ihr Gesicht war bleich wie ein Tuch. Ein falscher Eid, ein falscher Eid! stöhnte sie. Was ist's? Simon, Simon, wie willst du vor Gott bestehen!

So saß sie eine Weile starr mit geklemmten Lippen, wie in völliger Geistesabwesenheit. Friedrich stand vor ihr und hatte sie schon zweimal angeredet. Was ist's? was willst du? rief sie auffahrend. -- Ich bringe Euch Geld, sagte er, mehr erstaunt, als erschreckt. -- Geld? wo? Sie regte sich, und die kleine Münze fiel klingend auf den Boden. Friedrich hob sie auf. -- Geld vom Ohm Simon, weil ich ihm habe arbeiten helfen. Ich kann mir nun selber was verdienen. --

Warte, Johannes, sagte Friedrich stolz, ich will dir mein halbes Butterbrod geben, es ist mir doch zu groß, die Mutter schneidet allemal übers ganze Brod.

Laß doch, sagte Margreth, er geht ja nach Hause.

Ja, aber er bekommt nichts mehr; Ohm Simon ißt um sieben Uhr. Margreth wandte sich zu dem Knaben: Hebt man dir nichts auf? Sprich, wer sorgt für dich? Niemand, stotterte das Kind. — Niemand? wiederholte sie; da nimm, nimm! fügte sie heftig hinzu; du heißt Niemand und Niemand sorgt für dich! Das sei Gott geklagt! Und nun mach dich fort! Friedrich, geh nicht mit ihm, hörst du, geht nicht zusammen durchs Dorf. Ich will ja nur Holz holen aus dem Schuppen, antwortete Friedrich. — Als beide Knaben fort waren, warf sich Margreth auf einen Stuhl und schlug die Hände mit dem Ausdruck des tiefsten Jammers zusammen. Ihr Gesicht war bleich wie ein Tuch. Ein falscher Eid, ein falscher Eid! stöhnte sie. Was ist's? Simon, Simon, wie willst du vor Gott bestehen!

So saß sie eine Weile starr mit geklemmten Lippen, wie in völliger Geistesabwesenheit. Friedrich stand vor ihr und hatte sie schon zweimal angeredet. Was ist's? was willst du? rief sie auffahrend. — Ich bringe Euch Geld, sagte er, mehr erstaunt, als erschreckt. — Geld? wo? Sie regte sich, und die kleine Münze fiel klingend auf den Boden. Friedrich hob sie auf. — Geld vom Ohm Simon, weil ich ihm habe arbeiten helfen. Ich kann mir nun selber was verdienen. —

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[0029] Warte, Johannes, sagte Friedrich stolz, ich will dir mein halbes Butterbrod geben, es ist mir doch zu groß, die Mutter schneidet allemal übers ganze Brod. Laß doch, sagte Margreth, er geht ja nach Hause. Ja, aber er bekommt nichts mehr; Ohm Simon ißt um sieben Uhr. Margreth wandte sich zu dem Knaben: Hebt man dir nichts auf? Sprich, wer sorgt für dich? Niemand, stotterte das Kind. — Niemand? wiederholte sie; da nimm, nimm! fügte sie heftig hinzu; du heißt Niemand und Niemand sorgt für dich! Das sei Gott geklagt! Und nun mach dich fort! Friedrich, geh nicht mit ihm, hörst du, geht nicht zusammen durchs Dorf. Ich will ja nur Holz holen aus dem Schuppen, antwortete Friedrich. — Als beide Knaben fort waren, warf sich Margreth auf einen Stuhl und schlug die Hände mit dem Ausdruck des tiefsten Jammers zusammen. Ihr Gesicht war bleich wie ein Tuch. Ein falscher Eid, ein falscher Eid! stöhnte sie. Was ist's? Simon, Simon, wie willst du vor Gott bestehen! So saß sie eine Weile starr mit geklemmten Lippen, wie in völliger Geistesabwesenheit. Friedrich stand vor ihr und hatte sie schon zweimal angeredet. Was ist's? was willst du? rief sie auffahrend. — Ich bringe Euch Geld, sagte er, mehr erstaunt, als erschreckt. — Geld? wo? Sie regte sich, und die kleine Münze fiel klingend auf den Boden. Friedrich hob sie auf. — Geld vom Ohm Simon, weil ich ihm habe arbeiten helfen. Ich kann mir nun selber was verdienen. —

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T14:10:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_judenbuche_1910/29>, abgerufen am 19.04.2024.