Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Mutter, kommt der Vater heute nicht? fragte er. Nein, Kind, morgen. -- Aber warum nicht, Mutter? Er hat's doch versprochen. -- Ach Gott, wenn Der Alles hielte, was er verspricht! Mach, mach voran, daß du fertig wirst. Sie hatte sich kaum niedergelegt, so erhob sich eine Windsbraut, als ob sie das Haus mitnehmen wollte. Die Bettstatt bebte, und im Schornstein rasselt es wie ein Kobold. -- Mutter, es pocht draußen! -- Still, Fritzchen, das ist das lockere Brett im Giebel, das der Wind jagt. -- Nein, Mutter, an der Thür! -- Sie schließt nicht; die Klinke ist zerbrochen. Gott, schlaf doch! bring mich nicht um das armselige bischen Nachtruhe. -- Aber wenn nun der Vater kommt? -- Die Mutter drehte sich heftig im Bett um. -- Den hält der Teufel fest genug! -- Wo ist der Teufel, Mutter? -- Wart, du Unrast! er steht vor der Thür und will dich holen, wenn du nicht ruhig bist! Friedrich ward still; er horchte noch ein Weilchen und schlief dann ein. Nach einigen Stunden erwachte er. Der Wind hatte sich gewendet und zischte wie eine Schlange durch die Fensterritze an seinem Ohr. Seine Schulter war erstarrt; er kroch tief unters Deckbett und lag aus Furcht ganz still. Nach einer Weile bemerkte er, daß die Mutter auch nicht schlief. Er hörte sie weinen und mitunter: "Gegrüßt seist du, Maria!" und "bitte für uns arme Sünder!" Die Kügelchen des Rosenkranzes glitten an seinem Gesicht hin. Ein un- Mutter, kommt der Vater heute nicht? fragte er. Nein, Kind, morgen. — Aber warum nicht, Mutter? Er hat's doch versprochen. — Ach Gott, wenn Der Alles hielte, was er verspricht! Mach, mach voran, daß du fertig wirst. Sie hatte sich kaum niedergelegt, so erhob sich eine Windsbraut, als ob sie das Haus mitnehmen wollte. Die Bettstatt bebte, und im Schornstein rasselt es wie ein Kobold. — Mutter, es pocht draußen! — Still, Fritzchen, das ist das lockere Brett im Giebel, das der Wind jagt. — Nein, Mutter, an der Thür! — Sie schließt nicht; die Klinke ist zerbrochen. Gott, schlaf doch! bring mich nicht um das armselige bischen Nachtruhe. — Aber wenn nun der Vater kommt? — Die Mutter drehte sich heftig im Bett um. — Den hält der Teufel fest genug! — Wo ist der Teufel, Mutter? — Wart, du Unrast! er steht vor der Thür und will dich holen, wenn du nicht ruhig bist! Friedrich ward still; er horchte noch ein Weilchen und schlief dann ein. Nach einigen Stunden erwachte er. Der Wind hatte sich gewendet und zischte wie eine Schlange durch die Fensterritze an seinem Ohr. Seine Schulter war erstarrt; er kroch tief unters Deckbett und lag aus Furcht ganz still. Nach einer Weile bemerkte er, daß die Mutter auch nicht schlief. Er hörte sie weinen und mitunter: „Gegrüßt seist du, Maria!“ und „bitte für uns arme Sünder!“ Die Kügelchen des Rosenkranzes glitten an seinem Gesicht hin. Ein un- <TEI> <text> <body> <div type="chapter"> <pb facs="#f0014"/> <p>Mutter, kommt der Vater heute nicht? fragte er.</p><lb/> <p>Nein, Kind, morgen. — Aber warum nicht, Mutter? Er hat's doch versprochen. — Ach Gott, wenn Der Alles hielte, was er verspricht! Mach, mach voran, daß du fertig wirst.</p><lb/> <p>Sie hatte sich kaum niedergelegt, so erhob sich eine Windsbraut, als ob sie das Haus mitnehmen wollte. Die Bettstatt bebte, und im Schornstein rasselt es wie ein Kobold. — Mutter, es pocht draußen! — Still, Fritzchen, das ist das lockere Brett im Giebel, das der Wind jagt. — Nein, Mutter, an der Thür! — Sie schließt nicht; die Klinke ist zerbrochen. Gott, schlaf doch! bring mich nicht um das armselige bischen Nachtruhe. — Aber wenn nun der Vater kommt? — Die Mutter drehte sich heftig im Bett um. — Den hält der Teufel fest genug! — Wo ist der Teufel, Mutter? — Wart, du Unrast! er steht vor der Thür und will dich holen, wenn du nicht ruhig bist!</p><lb/> <p>Friedrich ward still; er horchte noch ein Weilchen und schlief dann ein. Nach einigen Stunden erwachte er. Der Wind hatte sich gewendet und zischte wie eine Schlange durch die Fensterritze an seinem Ohr. Seine Schulter war erstarrt; er kroch tief unters Deckbett und lag aus Furcht ganz still. Nach einer Weile bemerkte er, daß die Mutter auch nicht schlief. Er hörte sie weinen und mitunter: „Gegrüßt seist du, Maria!“ und „bitte für uns arme Sünder!“ Die Kügelchen des Rosenkranzes glitten an seinem Gesicht hin. Ein un-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
Mutter, kommt der Vater heute nicht? fragte er.
Nein, Kind, morgen. — Aber warum nicht, Mutter? Er hat's doch versprochen. — Ach Gott, wenn Der Alles hielte, was er verspricht! Mach, mach voran, daß du fertig wirst.
Sie hatte sich kaum niedergelegt, so erhob sich eine Windsbraut, als ob sie das Haus mitnehmen wollte. Die Bettstatt bebte, und im Schornstein rasselt es wie ein Kobold. — Mutter, es pocht draußen! — Still, Fritzchen, das ist das lockere Brett im Giebel, das der Wind jagt. — Nein, Mutter, an der Thür! — Sie schließt nicht; die Klinke ist zerbrochen. Gott, schlaf doch! bring mich nicht um das armselige bischen Nachtruhe. — Aber wenn nun der Vater kommt? — Die Mutter drehte sich heftig im Bett um. — Den hält der Teufel fest genug! — Wo ist der Teufel, Mutter? — Wart, du Unrast! er steht vor der Thür und will dich holen, wenn du nicht ruhig bist!
Friedrich ward still; er horchte noch ein Weilchen und schlief dann ein. Nach einigen Stunden erwachte er. Der Wind hatte sich gewendet und zischte wie eine Schlange durch die Fensterritze an seinem Ohr. Seine Schulter war erstarrt; er kroch tief unters Deckbett und lag aus Furcht ganz still. Nach einer Weile bemerkte er, daß die Mutter auch nicht schlief. Er hörte sie weinen und mitunter: „Gegrüßt seist du, Maria!“ und „bitte für uns arme Sünder!“ Die Kügelchen des Rosenkranzes glitten an seinem Gesicht hin. Ein un-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/droste_judenbuche_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/droste_judenbuche_1910/14 |
Zitationshilfe: | Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_judenbuche_1910/14>, abgerufen am 16.07.2024. |