Und Mord und Brand, und Brand und Mord Im Ohre hallt es immerfort; Wie fühlt sich ihr Gemüth beschwert! Stellt sie die Sache Gott anheim? Läßt sprießen des Verbrechens Keim? Sucht sie zu hindern, wie's vermag Ein machtlos Weib von ihrem Schlag? So fallen, reulos, unbewehrt, Von seines Untergebnen Hand! Und schaudernd sie am Heerde stand So jammervoll in ihrer Schöne, Wie unterm Kreuze Magdalene. Vielleicht gibt ihr die Kirche ein, Was mag des Himmels Wille seyn. Schon weicht dem Morgenroth die Nacht, Laut wird das Vogelnest am Ast; Sie kann schon gehn, der Bürger wacht; Und ach! ihr dünkt, mit dieser Last Wie Kain gemarkt von Gottes Hand, Sie könne wandern durch das Land. Fremd scheint es ihr, daß alles stumm, Gesperrt die Läden rings herum. Gottlob, die Kirche! Aber wie! Weit auf die Pforten, schon so früh? Und -- ist sie blind? -- der Ampel Licht, Der Hochaltar -- sie sieht ihn nicht! Es ist zu viel: ihr Auge schattet, Und auf ein Grab sinkt sie ermattet. Da über ihr Gezisch, Geknarr, Die Uhr im Thurme mit Geschnarr
Und Mord und Brand, und Brand und Mord Im Ohre hallt es immerfort; Wie fühlt ſich ihr Gemüth beſchwert! Stellt ſie die Sache Gott anheim? Läßt ſprießen des Verbrechens Keim? Sucht ſie zu hindern, wie's vermag Ein machtlos Weib von ihrem Schlag? So fallen, reulos, unbewehrt, Von ſeines Untergebnen Hand! Und ſchaudernd ſie am Heerde ſtand So jammervoll in ihrer Schöne, Wie unterm Kreuze Magdalene. Vielleicht gibt ihr die Kirche ein, Was mag des Himmels Wille ſeyn. Schon weicht dem Morgenroth die Nacht, Laut wird das Vogelneſt am Aſt; Sie kann ſchon gehn, der Bürger wacht; Und ach! ihr dünkt, mit dieſer Laſt Wie Kain gemarkt von Gottes Hand, Sie könne wandern durch das Land. Fremd ſcheint es ihr, daß alles ſtumm, Geſperrt die Läden rings herum. Gottlob, die Kirche! Aber wie! Weit auf die Pforten, ſchon ſo früh? Und — iſt ſie blind? — der Ampel Licht, Der Hochaltar — ſie ſieht ihn nicht! Es iſt zu viel: ihr Auge ſchattet, Und auf ein Grab ſinkt ſie ermattet. Da über ihr Geziſch, Geknarr, Die Uhr im Thurme mit Geſchnarr
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><lgtype="poem"><lgn="15"><pbfacs="#f0530"n="516"/><l>Und Mord und Brand, und Brand und Mord</l><lb/><l>Im Ohre hallt es immerfort;</l><lb/><l>Wie fühlt ſich ihr Gemüth beſchwert!</l><lb/><l>Stellt ſie die Sache Gott anheim?</l><lb/><l>Läßt ſprießen des Verbrechens Keim?</l><lb/><l>Sucht ſie zu hindern, wie's vermag</l><lb/><l>Ein machtlos Weib von ihrem Schlag?</l><lb/><l>So fallen, reulos, unbewehrt,</l><lb/><l>Von ſeines Untergebnen Hand!</l><lb/><l>Und ſchaudernd ſie am Heerde ſtand</l><lb/><l>So jammervoll in ihrer Schöne,</l><lb/><l>Wie unterm Kreuze Magdalene.</l><lb/><l>Vielleicht gibt ihr die Kirche ein,</l><lb/><l>Was mag des Himmels Wille ſeyn.</l><lb/><l>Schon weicht dem Morgenroth die Nacht,</l><lb/><l>Laut wird das Vogelneſt am Aſt;</l><lb/><l>Sie kann ſchon gehn, der Bürger wacht;</l><lb/><l>Und ach! ihr dünkt, mit dieſer Laſt</l><lb/><l>Wie Kain gemarkt von Gottes Hand,</l><lb/><l>Sie könne wandern durch das Land.</l><lb/><l>Fremd ſcheint es ihr, daß alles ſtumm,</l><lb/><l>Geſperrt die Läden rings herum.</l><lb/><l>Gottlob, die Kirche! Aber wie!</l><lb/><l>Weit auf die Pforten, ſchon ſo früh?</l><lb/><l>Und — iſt ſie blind? — der Ampel Licht,</l><lb/><l>Der Hochaltar —ſie ſieht ihn nicht!</l><lb/><l>Es iſt zu viel: ihr Auge ſchattet,</l><lb/><l>Und auf ein Grab ſinkt ſie ermattet.</l><lb/><l>Da über ihr Geziſch, Geknarr,</l><lb/><l>Die Uhr im Thurme mit Geſchnarr</l><lb/></lg></lg></div></div></div></body></text></TEI>
[516/0530]
Und Mord und Brand, und Brand und Mord
Im Ohre hallt es immerfort;
Wie fühlt ſich ihr Gemüth beſchwert!
Stellt ſie die Sache Gott anheim?
Läßt ſprießen des Verbrechens Keim?
Sucht ſie zu hindern, wie's vermag
Ein machtlos Weib von ihrem Schlag?
So fallen, reulos, unbewehrt,
Von ſeines Untergebnen Hand!
Und ſchaudernd ſie am Heerde ſtand
So jammervoll in ihrer Schöne,
Wie unterm Kreuze Magdalene.
Vielleicht gibt ihr die Kirche ein,
Was mag des Himmels Wille ſeyn.
Schon weicht dem Morgenroth die Nacht,
Laut wird das Vogelneſt am Aſt;
Sie kann ſchon gehn, der Bürger wacht;
Und ach! ihr dünkt, mit dieſer Laſt
Wie Kain gemarkt von Gottes Hand,
Sie könne wandern durch das Land.
Fremd ſcheint es ihr, daß alles ſtumm,
Geſperrt die Läden rings herum.
Gottlob, die Kirche! Aber wie!
Weit auf die Pforten, ſchon ſo früh?
Und — iſt ſie blind? — der Ampel Licht,
Der Hochaltar — ſie ſieht ihn nicht!
Es iſt zu viel: ihr Auge ſchattet,
Und auf ein Grab ſinkt ſie ermattet.
Da über ihr Geziſch, Geknarr,
Die Uhr im Thurme mit Geſchnarr
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/530>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.