Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.2. An blühender Akazie lehnt ein blonder bleicher Mann, Sehr mangelt ihm der Sitz, allein die Kinder spielen dran, So schreibt er stehend, immer Ball und Peitschenhieb ge¬ wärt'gend, Schnellfingrig für die Druckerei den Lückenbüßer fert'gend. "In Osten steigt das junge Licht, es rauscht im Eichenhain, Schon schlang der alte Erebus die alten Schatten ein, Des Geistes Siegel sind gelöst, der Aether aufgeschlossen, Und aus vermorschter Dogmen Staub lebend'ge Cedern sprossen. O Geistesfessel, härter du als jemals ein Tyrann, Geschlagen um des Sclaven Leib, du tausendjähr'ger Bann! Geheim doch sicher hat der Rost genagt an deinem Ringe, Nun wackelt er und fürchtet sich vor jedes Knaben Klinge! Hin ist die Zeit wo ein Gespenst im Büßermantel schlich, In seinen Bettelsack des Deutschen Gold und Ehre strich, Wo Greise, Schulmonarchen gleich, die stumpfe Geißel schwenkten, Des Sonnenrosses Zaum dem Grab verfallne Hände lenkten. Nicht wird im zarten Kinde mehr des Mannes Keim erstickt,
Frei schießt die Eichenlode, unbeengt und ungeknickt; Was mehr als Wissen, wirkender als Gaben, die zerstückelt -- Des kräftgen Wollens Einheit wird im jungen Mark ent¬ wickelt. 2. An blühender Akazie lehnt ein blonder bleicher Mann, Sehr mangelt ihm der Sitz, allein die Kinder ſpielen dran, So ſchreibt er ſtehend, immer Ball und Peitſchenhieb ge¬ wärt'gend, Schnellfingrig für die Druckerei den Lückenbüßer fert'gend. „In Oſten ſteigt das junge Licht, es rauſcht im Eichenhain, Schon ſchlang der alte Erebus die alten Schatten ein, Des Geiſtes Siegel ſind gelöst, der Aether aufgeſchloſſen, Und aus vermorſchter Dogmen Staub lebend'ge Cedern ſproſſen. O Geiſtesfeſſel, härter du als jemals ein Tyrann, Geſchlagen um des Sclaven Leib, du tauſendjähr'ger Bann! Geheim doch ſicher hat der Roſt genagt an deinem Ringe, Nun wackelt er und fürchtet ſich vor jedes Knaben Klinge! Hin iſt die Zeit wo ein Geſpenſt im Büßermantel ſchlich, In ſeinen Bettelſack des Deutſchen Gold und Ehre ſtrich, Wo Greiſe, Schulmonarchen gleich, die ſtumpfe Geißel ſchwenkten, Des Sonnenroſſes Zaum dem Grab verfallne Hände lenkten. Nicht wird im zarten Kinde mehr des Mannes Keim erſtickt,
Frei ſchießt die Eichenlode, unbeengt und ungeknickt; Was mehr als Wiſſen, wirkender als Gaben, die zerſtückelt — Des kräftgen Wollens Einheit wird im jungen Mark ent¬ wickelt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0045" n="31"/> </div> <div n="3"> <head>2.<lb/></head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>An blühender Akazie lehnt ein blonder bleicher Mann,</l><lb/> <l>Sehr mangelt ihm der Sitz, allein die Kinder ſpielen dran,</l><lb/> <l>So ſchreibt er ſtehend, immer Ball und Peitſchenhieb ge¬</l><lb/> <l>wärt'gend,</l><lb/> <l>Schnellfingrig für die Druckerei den Lückenbüßer fert'gend.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>„In Oſten ſteigt das junge Licht, es rauſcht im Eichenhain,</l><lb/> <l>Schon ſchlang der alte Erebus die alten Schatten ein,</l><lb/> <l>Des Geiſtes Siegel ſind gelöst, der Aether aufgeſchloſſen,</l><lb/> <l>Und aus vermorſchter Dogmen Staub lebend'ge Cedern ſproſſen.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>O Geiſtesfeſſel, härter du als jemals ein Tyrann,</l><lb/> <l>Geſchlagen um des Sclaven Leib, du tauſendjähr'ger Bann!</l><lb/> <l>Geheim doch ſicher hat der Roſt genagt an deinem Ringe,</l><lb/> <l>Nun wackelt er und fürchtet ſich vor jedes Knaben Klinge!</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>Hin iſt die Zeit wo ein Geſpenſt im Büßermantel ſchlich,</l><lb/> <l>In ſeinen Bettelſack des Deutſchen Gold und Ehre ſtrich,</l><lb/> <l>Wo Greiſe, Schulmonarchen gleich, die ſtumpfe Geißel</l><lb/> <l>ſchwenkten,</l><lb/> <l>Des Sonnenroſſes Zaum dem Grab verfallne Hände lenkten.</l><lb/> </lg> <lg n="5"> <l>Nicht wird im zarten Kinde mehr des Mannes Keim erſtickt,</l><lb/> <l>Frei ſchießt die Eichenlode, unbeengt und ungeknickt;</l><lb/> <l>Was mehr als Wiſſen, wirkender als Gaben, die zerſtückelt —</l><lb/> <l>Des kräftgen Wollens Einheit wird im jungen Mark ent¬</l><lb/> <l>wickelt.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [31/0045]
2.
An blühender Akazie lehnt ein blonder bleicher Mann,
Sehr mangelt ihm der Sitz, allein die Kinder ſpielen dran,
So ſchreibt er ſtehend, immer Ball und Peitſchenhieb ge¬
wärt'gend,
Schnellfingrig für die Druckerei den Lückenbüßer fert'gend.
„In Oſten ſteigt das junge Licht, es rauſcht im Eichenhain,
Schon ſchlang der alte Erebus die alten Schatten ein,
Des Geiſtes Siegel ſind gelöst, der Aether aufgeſchloſſen,
Und aus vermorſchter Dogmen Staub lebend'ge Cedern ſproſſen.
O Geiſtesfeſſel, härter du als jemals ein Tyrann,
Geſchlagen um des Sclaven Leib, du tauſendjähr'ger Bann!
Geheim doch ſicher hat der Roſt genagt an deinem Ringe,
Nun wackelt er und fürchtet ſich vor jedes Knaben Klinge!
Hin iſt die Zeit wo ein Geſpenſt im Büßermantel ſchlich,
In ſeinen Bettelſack des Deutſchen Gold und Ehre ſtrich,
Wo Greiſe, Schulmonarchen gleich, die ſtumpfe Geißel
ſchwenkten,
Des Sonnenroſſes Zaum dem Grab verfallne Hände lenkten.
Nicht wird im zarten Kinde mehr des Mannes Keim erſtickt,
Frei ſchießt die Eichenlode, unbeengt und ungeknickt;
Was mehr als Wiſſen, wirkender als Gaben, die zerſtückelt —
Des kräftgen Wollens Einheit wird im jungen Mark ent¬
wickelt.
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