Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Des Alten Blut zu Eis gerinnt.
Er tappt umher: "Henry! Henry!
Wo bist du nur? wo bist du, Kind?"
Da wieder das Gestöhn beginnt,
Und "Vater! Vater!" und auf's neu'
"Mein Vater!" wimmert's im Geschrei.
Der Alte, nach dem Laut gerichtet,
Hat jenen Winkel bald erreicht,
Wo, schwach vom nächt'gen Strahl umlichtet,
Sich dunkel eine Nische zeigt,
Drin sichtbar halb ein Leichnam ruht,
Auf breiter Stirn den Schweizerhut.
Und um des Todten Hand geklemmt
Der Knabe wimmert und sich stemmt
Den lieben Vater aufzuwecken.
"Was machst du, Henry? Kind, komm her!
Er ist's ja nicht, er kehrt nicht mehr,
Du arme Waise!" und im Schrecken
Hat er des Knaben Arm geschüttelt,
Bis, von dem Todtenhaupt gerüttelt,
Der Hut sich in die Kante stellt,
Und dicht an seine Ferse fällt.
Mit Einem Ruck des Kindes Hand
Befreiend, stürzt in tollem Graus
Der Alte in die Nacht hinaus.
Die Thüre hat er eingerannt,
Und klirrend sprengt sich hinter ihm
Die Feder ein mit Ungestüm.

Des Alten Blut zu Eis gerinnt.
Er tappt umher: „Henry! Henry!
Wo biſt du nur? wo biſt du, Kind?“
Da wieder das Geſtöhn beginnt,
Und „Vater! Vater!“ und auf's neu'
„Mein Vater!“ wimmert's im Geſchrei.
Der Alte, nach dem Laut gerichtet,
Hat jenen Winkel bald erreicht,
Wo, ſchwach vom nächt'gen Strahl umlichtet,
Sich dunkel eine Niſche zeigt,
Drin ſichtbar halb ein Leichnam ruht,
Auf breiter Stirn den Schweizerhut.
Und um des Todten Hand geklemmt
Der Knabe wimmert und ſich ſtemmt
Den lieben Vater aufzuwecken.
„Was machſt du, Henry? Kind, komm her!
Er iſt's ja nicht, er kehrt nicht mehr,
Du arme Waiſe!“ und im Schrecken
Hat er des Knaben Arm geſchüttelt,
Bis, von dem Todtenhaupt gerüttelt,
Der Hut ſich in die Kante ſtellt,
Und dicht an ſeine Ferſe fällt.
Mit Einem Ruck des Kindes Hand
Befreiend, ſtürzt in tollem Graus
Der Alte in die Nacht hinaus.
Die Thüre hat er eingerannt,
Und klirrend ſprengt ſich hinter ihm
Die Feder ein mit Ungeſtüm.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="20">
                <pb facs="#f0436" n="422"/>
                <l>Des Alten Blut zu Eis gerinnt.</l><lb/>
                <l>Er tappt umher: &#x201E;Henry! Henry!</l><lb/>
                <l>Wo bi&#x017F;t du nur? wo bi&#x017F;t du, Kind?&#x201C;</l><lb/>
                <l>Da wieder das Ge&#x017F;töhn beginnt,</l><lb/>
                <l>Und &#x201E;Vater! Vater!&#x201C; und auf's neu'</l><lb/>
                <l>&#x201E;Mein Vater!&#x201C; wimmert's im Ge&#x017F;chrei.</l><lb/>
                <l>Der Alte, nach dem Laut gerichtet,</l><lb/>
                <l>Hat jenen Winkel bald erreicht,</l><lb/>
                <l>Wo, &#x017F;chwach vom nächt'gen Strahl umlichtet,</l><lb/>
                <l>Sich dunkel eine Ni&#x017F;che zeigt,</l><lb/>
                <l>Drin &#x017F;ichtbar halb ein Leichnam ruht,</l><lb/>
                <l>Auf breiter Stirn den Schweizerhut.</l><lb/>
                <l>Und um des Todten Hand geklemmt</l><lb/>
                <l>Der Knabe wimmert und &#x017F;ich &#x017F;temmt</l><lb/>
                <l>Den lieben Vater aufzuwecken.</l><lb/>
                <l>&#x201E;Was mach&#x017F;t du, Henry? Kind, komm her!</l><lb/>
                <l>Er i&#x017F;t's ja nicht, er kehrt nicht mehr,</l><lb/>
                <l>Du arme Wai&#x017F;e!&#x201C; und im Schrecken</l><lb/>
                <l>Hat er des Knaben Arm ge&#x017F;chüttelt,</l><lb/>
                <l>Bis, von dem Todtenhaupt gerüttelt,</l><lb/>
                <l>Der Hut &#x017F;ich in die Kante &#x017F;tellt,</l><lb/>
                <l>Und dicht an &#x017F;eine Fer&#x017F;e fällt.</l><lb/>
                <l>Mit Einem Ruck des Kindes Hand</l><lb/>
                <l>Befreiend, &#x017F;türzt in tollem Graus</l><lb/>
                <l>Der Alte in die Nacht hinaus.</l><lb/>
                <l>Die Thüre hat er eingerannt,</l><lb/>
                <l>Und klirrend &#x017F;prengt &#x017F;ich hinter ihm</l><lb/>
                <l>Die Feder ein mit Unge&#x017F;tüm.</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[422/0436] Des Alten Blut zu Eis gerinnt. Er tappt umher: „Henry! Henry! Wo biſt du nur? wo biſt du, Kind?“ Da wieder das Geſtöhn beginnt, Und „Vater! Vater!“ und auf's neu' „Mein Vater!“ wimmert's im Geſchrei. Der Alte, nach dem Laut gerichtet, Hat jenen Winkel bald erreicht, Wo, ſchwach vom nächt'gen Strahl umlichtet, Sich dunkel eine Niſche zeigt, Drin ſichtbar halb ein Leichnam ruht, Auf breiter Stirn den Schweizerhut. Und um des Todten Hand geklemmt Der Knabe wimmert und ſich ſtemmt Den lieben Vater aufzuwecken. „Was machſt du, Henry? Kind, komm her! Er iſt's ja nicht, er kehrt nicht mehr, Du arme Waiſe!“ und im Schrecken Hat er des Knaben Arm geſchüttelt, Bis, von dem Todtenhaupt gerüttelt, Der Hut ſich in die Kante ſtellt, Und dicht an ſeine Ferſe fällt. Mit Einem Ruck des Kindes Hand Befreiend, ſtürzt in tollem Graus Der Alte in die Nacht hinaus. Die Thüre hat er eingerannt, Und klirrend ſprengt ſich hinter ihm Die Feder ein mit Ungeſtüm.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/436
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/436>, abgerufen am 22.11.2024.