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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Hier naht kein Wild, wo sie eingescharrt
Die tolle Gertrud vom Gestade,
Ich höre genau wie der Holzwurm pocht
In ihrer zerfallenden Lade."

Zur Seite sprang ich, eisig durchgraut,
Mir war als hab ich gesündigt,
Indeß der Bursch mit flüsterndem Laut
Die schaurige Mähre verkündigt:
"Wie Jene gesucht, bei Tag und Nacht,
Nach dem fremden ertrunkenen Weibe,
Das ihr der tückische See gebracht,
Verloren an Seele und Leibe.
Ob ihres Blutes? man wußte es nicht!
Kein Fragen löste das Schweigen.
Doch schlief die Welle, dann sah ihr Gesicht
Man über den Spiegel sich beugen,
Und zeigte er ihr das eigene Bild,
Dann flüsterte sie beklommen:
"Wie alt sie sieht, wie irre und wild,
Und wie entsetzlich verkommen!"
"Doch wenn der Sturm die Woge gerührt,
Dann war sie vom Bösen geschlagen,
Was sie für bedenkliche Reden geführt,
Das möge er lieber nicht sagen.
So war sie gerannt vor Jahresfrist,
-- Man sah's vom lavirenden Schiffe --
Zur Brandung, wo sie am hohlsten ist,
Und kopfüber gefahren vom Riffe.

Hier naht kein Wild, wo ſie eingeſcharrt
Die tolle Gertrud vom Geſtade,
Ich höre genau wie der Holzwurm pocht
In ihrer zerfallenden Lade.“

Zur Seite ſprang ich, eiſig durchgraut,
Mir war als hab ich geſündigt,
Indeß der Burſch mit flüſterndem Laut
Die ſchaurige Mähre verkündigt:
„Wie Jene geſucht, bei Tag und Nacht,
Nach dem fremden ertrunkenen Weibe,
Das ihr der tückiſche See gebracht,
Verloren an Seele und Leibe.
Ob ihres Blutes? man wußte es nicht!
Kein Fragen löste das Schweigen.
Doch ſchlief die Welle, dann ſah ihr Geſicht
Man über den Spiegel ſich beugen,
Und zeigte er ihr das eigene Bild,
Dann flüſterte ſie beklommen:
„Wie alt ſie ſieht, wie irre und wild,
Und wie entſetzlich verkommen!“
„Doch wenn der Sturm die Woge gerührt,
Dann war ſie vom Böſen geſchlagen,
Was ſie für bedenkliche Reden geführt,
Das möge er lieber nicht ſagen.
So war ſie gerannt vor Jahresfriſt,
— Man ſah's vom lavirenden Schiffe —
Zur Brandung, wo ſie am hohlſten iſt,
Und kopfüber gefahren vom Riffe.
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[332/0346] Hier naht kein Wild, wo ſie eingeſcharrt Die tolle Gertrud vom Geſtade, Ich höre genau wie der Holzwurm pocht In ihrer zerfallenden Lade.“ Zur Seite ſprang ich, eiſig durchgraut, Mir war als hab ich geſündigt, Indeß der Burſch mit flüſterndem Laut Die ſchaurige Mähre verkündigt: „Wie Jene geſucht, bei Tag und Nacht, Nach dem fremden ertrunkenen Weibe, Das ihr der tückiſche See gebracht, Verloren an Seele und Leibe. Ob ihres Blutes? man wußte es nicht! Kein Fragen löste das Schweigen. Doch ſchlief die Welle, dann ſah ihr Geſicht Man über den Spiegel ſich beugen, Und zeigte er ihr das eigene Bild, Dann flüſterte ſie beklommen: „Wie alt ſie ſieht, wie irre und wild, Und wie entſetzlich verkommen!“ „Doch wenn der Sturm die Woge gerührt, Dann war ſie vom Böſen geſchlagen, Was ſie für bedenkliche Reden geführt, Das möge er lieber nicht ſagen. So war ſie gerannt vor Jahresfriſt, — Man ſah's vom lavirenden Schiffe — Zur Brandung, wo ſie am hohlſten iſt, Und kopfüber gefahren vom Riffe.

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/346>, abgerufen am 22.11.2024.